Der Manipulator

Der umstrittene Basler Historiker Daniele Ganser ist mit einem Hypnotiseur in Aarau aufgetreten. Thema: mediale Gehirnwäsche. Ein denkwürdiger Abend – mit einem Ganser, der unter dem Mantel des Skeptikers sein Publikum an der Nase herumführt.

Wendet dieselben Methoden an, die er kritisiert: Daniele Ganser, Basler Historiker. (Bild: Nils Fisch)

Daniele Ganser – Pardon: Doktor Daniele Ganser – hält sein Publikum lange fest, er zieht es während fast zweieinhalb Stunden an sich und lässt es erst gehen, als er die letzte seiner vielen Botschaften platziert hat: «Wir signieren noch Bücher. Wer ein subversives Weihnachtsgeschenk will, kann sich das jetzt kaufen.»

Vergangene Woche in Aarau, der umstrittene Historiker probiert ein neues Format aus. Gemeinsam mit dem TV-Hypnotiseur Gabriel Palacios spricht Ganser über «Manipulation durch die Medien – verdeckte Kriegspropaganda durch unbemerkte mediale Gehirnwäsche». 35 Franken im Vorverkauf kostet der Abend im mondänen Kultur- und Kongresshaus, 40 Franken an der Abendkasse. Der Ticketverkäufer hat die Veranstaltung mit einem Warnhinweis versehen: Man würde nach dem Vortrag nie mehr Medien so konsumieren können wie vorher.

Jeder Platz ist besetzt, 400 Zuhörer sind gekommen. Ganser ist ein sicherer Wert, seit Jahren tingelt er von Vortrag zu Vortrag, erhält viel Geld für seine kräftigen Thesen zum US-Imperialismus, zu 9/11 und den Medien. Als er in Aarau die Bühne betritt, liefert er einen Disclaimer vorneweg, er will nicht in den Chor der rechtsextremen «Lügenpresse»-Rufe einstimmen: «Es gibt sehr viele gute Journalisten.» Doch um diese geht es in der Folge nicht oder nur am Rande und dann auf eher irritierende Art und Weise. Doch dazu später mehr.

Vorsicht beim Fernsehen!

Zunächst zum Kern der Veranstaltung, der Zusammenführung von Wirkmechanismen von Massenmedien und jenen der Hypnose. Demnach schaut der Mensch in einer vergleichsweise tiefen Bewusstseinsstufe Fernsehen, er ist entspannt – und damit anfällig für Manipulationen. Ein Schockerlebnis, wie etwa der Anschlag auf das World Trade Center 2001, frisst sich in diesem Zustand am kritischen Denken vorbei ins Gedächtnis ein. Danach hätten Politiker leichtes Spiel, ihre Botschaften zu platzieren. Als der ehemalige US-Präsident George W. Bush nach 9/11 vor die Kameras trat und als Landesvater Vergeltung ankündigte, hatte er demnach leichtes Spiel.

Ähnlich, so Gabriel Palacios, funktioniert Hypnose. Der Hypnotiseur versetzt durch Zureden sein Gegenüber in einen tieferen Bewusstseinszustand, womit dieser quasi zu seinem Spielball wird. Mit ein paar Experimenten im Saal versucht Palacios, diesen Vorgang erlebbar zu machen.

Einmal gesetzt, bleibe der «Anker» (Ganser) drin im Kopf. Das Erlebte lasse sich jederzeit reaktivieren; es reiche, jemanden oder eine Gruppe als «Terroristen» zu brandmarken, um die Bevölkerung aufzuwiegeln. «Muslime» und «Terroristen» würden dabei als Synonyme funktionieren, sagt Ganser und zeigt eine Karte: Alle Länder, auf welche die USA 2016 Bomben abwarfen, waren muslimische Länder.

Ganser stellt seine Erkenntnisse als Geistesblitze dar. Das verstärkt die Überzeugung des Publikums, Teil einer aufgeklärten Elite zu sein.

«Wir sind unter Hypnose», sagt Ganser. «Muslime sind Terroristen, deshalb geht das durch. Stellen Sie sich vor, die USA hätten christliche Länder bombardiert. Das hätte uns aufgescheucht! Den Muslimen aber ist im Kollektiv jedes Recht auf Leben abgesprochen worden.»

Es sind nicht nur neue Beobachtungen und Ganser vermeidet es tunlichst, auf die Quellen hinzuweisen. Dabei ist vieles offensichtlich angelehnt an sein Vorbild Noam Chomsky. Der grosse linke amerikanische Intellektuelle kritisiert die US-Politik seit Jahrzehnten für ihren imperialistischen Kern, Präsidentschaft für Präsidentschaft. Chomsky hat sich intensiv am Thema Gedankenkontrolle in demokratischen Gesellschaften abgearbeitet.

Doch Ganser verweigert ihm die Reverenz. Er stellt seine Erkenntnisse gerne als Geistesblitze dar, zu denen er im Austausch mit sich selber oder mit Fachleuten, so auch mit Palacios, gekommen sei. Das kann seiner Eitelkeit geschuldet sein, es erzeugt aber auch eine gewisse Wirkung beim Publikum, indem es durch die vermeintliche Exklusivität der Erkenntnis den Glauben verstärkt, Teil einer aufgeklärten Elite zu sein. Ganser spielt immer wieder damit, etwa wenn er versichert, die Leute im Saal seien nicht allein mit ihrer Skepsis, auch wenn sie oft schief angeschaut würden: «Sie sind nicht die Einzigen, die sich diese Fragen stellen.»

Dünne Datenlage

Trotzdem sind Gansers Überlegungen zu den Bewusstseinszuständen interessant, man hätte sie gerne weiter erforscht gesehen. Aber sie belegen nicht die Manipulation durch Medien. Ganser präsentiert dafür einige altbekannte Beispiele von Verfehlungen und tatsächlichen Manipulationen. Die Brutkasten-Lüge vor dem ersten Irak-Krieg, das rot eingefärbte Wasser im «Blick» nach dem Anschlag in Luxor 1997, die britische «Sun», die Saddam Hussein und Osama bin Laden aufs Cover setzte und damit für den zweiten Angriff auf den Irak warb.

Es sind immer Einzelbeispiele, die er fürs Ganze nimmt. Kein besonders wissenschaftlicher Ansatz eines Mannes, dessen akademischer Hintergrund als Legitimation seiner Thesen herhalten muss. Ganser praktiziert eine Art empirische Herangehensweise, wobei die vorgelegte Datenlage so dünn ist, dass es in Wahrheit reine Deduktion ist: Ganser formuliert eine These und sucht sich die passenden Beispiele für deren Bestätigung zusammen.

Ganser lobt Putins Propagandaschleudern als Alternative zu den manipulativen Westmedien.

Was nicht passt, blendet er aus. Etwa den meisterhaften Propagandakrieg der Russen. Auf Russland lässt sich Ganser nicht gerne ansprechen, sein Fokus gilt den USA und der Nato. Der Überfall der Ukraine? Kommt nicht vor, obwohl sich jeder «Friedensforscher» brennend dafür interessieren müsste. Denn selbstverständlich galt es auch in Russland, ein Volk darauf zu trimmen, dass es glaubt, rundherum von Feinden umgeben zu sein und dass nur Krieg der Ausweg ist.

Über Trumps Intervention in Syrien spricht er minutenlang, Putins Bombenkrieg erschöpft sich in einer hastig weggedrückten Grafik. An einer Stelle lobt er als Alternativen zu den manipulativen Westmedien Putins Propagandaschleudern. Es lohne sich, immer wenn ein Krieg ausbreche, auf Portale wie «Sputnik News» oder «Russia Today» zu gehen. Dazu muss man wissen, dass Ganser auf diesen Kanälen gerne und oft befragt wird.

Der Hit zum Mitsingen kommt ganz am Schluss

Gegen Ende der Veranstaltung in Aarau kommt er auf sein bekanntestes Thema zu sprechen: den Einsturz von WTC 7, einem Nebengebäude der Twin Towers in New York, von dem Ganser behauptet, es sei gesprengt worden. Er hat die Geschichte hundertfach vorgetragen, er hat sie perfektioniert. Jede Pointe sitzt, jeder Lacher kommt an der richtigen Stelle.

Es beginnt so: «Meine Studenten sind auf mich zu gekommen, sie wollten über 9/11 sprechen. Ich antwortete, ich müsse erst darüber schlafen. Es verging dann ein Jahr.» (Lacher) «Dann kam der Bericht der Regierung und Bush erklärte, das sei die Wahrheit. Das hat mich sofort skeptisch gemacht.» (Lacher).

Ganser funktioniert jetzt wie eine Rockband, die lange genug im Geschäft ist. Der Hit, bei dem alle mitsingen können, kommt immer zum Schluss. Während Ganser spricht, nicken die Köpfe rundherum im Saal. Sitznachbarn raunen sich zu: «Jetzt muesch luege.» Wer Ganser schon mal erlebt hat, der kann sich erinnern. Der Anker sitzt.

Sein stärkstes Argument, dass sich der Terroranschlag nicht so abgespielt hat, wie (von den Massenmedien) behauptet, ist der Pass eines Attentäters, der vor dem Ort der Katastrophe gefunden wurde. Ganser wird laut, das Publikum ist erregt: Ganser zeigt Bilder der Zerstörung, spricht von einer Turbine, die pulverisiert wurde: «Aber dieser Pass, der hat den Aufprall überstanden!»

Die Anspannung im Saal geht in Gejohle über: Wie kann man nur so blöd sein, der US-Propaganda zu glauben? Was Ganser nicht erzählt, dass Hunderte Artefakte aus dem Innenraum der Crash-Flugzeuge gefunden wurden: Handys, Portemonnaies, sogar ein Paar intakter Filzpantoffeln.

Von Hypnotiseur Palacios ist da schon lange nichts mehr zu sehen. Er darf erst wieder zum Schlusswort ran und empfiehlt den Leuten, ihrer eigenen Meinung zu folgen und diese zu verbreiten, «auch wenn man nicht studiert hat». Dabei hätte er die Gelegenheit gehabt, dem Publikum den einzigen angemessenen Ratschlag mit nach Hause zu geben nach dieser denkwürdigen Veranstaltung: Skeptisch zu sein – auch gegenüber jenen Dingen, die gerade erzählt wurden.

Sollten wir nicht auch alert sein, wenn Doktor Daniele Ganser seine Geschichten erzählt?

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