Waffenlobby nimmt die Bilateralen ins Visier

Schweizer Cowboys wehren sich gegen eine neue EU-Richtlinie zur Einschränkung von Serienfeuerwaffen – und nehmen damit ein Ende des Schengen/Dublin-Abkommens in Kauf. 

Waffenfreiheit über alles: Schützen nehmen die Beziehungen zur EU ins Visier.

Die EU hat im Rahmen der Schengen-Regulierungen («Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts») eine Richtlinie erlassen, die im Kampf gegen terroristische Attentate die Verwendung von Serienfeuerwaffen einschrän­ken will. Und weil die Schweiz als Mitglied des Schengen/Dublin-Raumes diese im Prinzip übernehmen muss, rumort es nun in Schützenkreisen.

Die EU verbietet neuerdings halbautomatische Gewehre mit einem Magazin von mehr als zehn Schuss oder Pistolen mit über 20 Schuss, weil mit ihnen ohne Nachladen wieder und wieder geschossen werden kann. Dem von Simonetta Sommaruga geführten Justiz- und Polizeidepartement ist es jedoch gelungen, aus Rücksicht auf schweizerische Verhältnisse kleine Sonderregelungen auszuhandeln.

Die «fremddiktierte» Verschärfung des Waffenrechts sei eine Attacke auf die wichtige Waffentradition der Schweiz.

Nach diesen sollen die Wehrmänner weiterhin ihre Waffen nach Hause nehmen dürfen und müssten Besitzer halbautomatischer Waffen keine medizinischen oder psychologischen Tests absolvieren. Auch für Jäger würde sich nichts mit dem neuen Gesetz ändern.

Aber: Sportschützen würden inskünftig eine Bewilligung für halbautomatische Waffen brauchen. Bedingung für eine Bewilligung wäre die Mitgliedschaft in einem Schiessclub. Und wer schon eine solche Waffe besitzt, müsste in den nächsten drei Jahren (!) nachträglich eine Bewilligung einholen. Nach Schätzungen ginge es dabei um 200’000 Waffen. Dass es derart viele sein könnten, wird als Ablehnungsargument eingesetzt, es könnte aber geradeso gut ein Argument für die Befürwortung sein.

Die Gegnerschaft setzt ein stets leicht verfügbares Allerweltsargument ein: die Bürokratie. Und sie moniert, dass unbescholtene Bürger «enteignet» würden, dass der legale Waffenbesitz erschwert, gegen illegalen Waffenbesitz aber nichts unternommen würde. Die «fremddiktierte» Verschärfung des Waffenrechts sei eine Attacke auf die wichtige Waffentradition der Schweiz.

Der Gesamtbundesrat hat nun nach der ordentlichen Vernehmlassung bei interessierten Kreisen eine leicht abgeänderte Regelung mit Antrag auf Zustimmung dem Parlament zugestellt. Erstberatung wird in der Sommersession sein. SVP-Bundesrat Guy Parmelin, Chef des VBS-Departements, stellt sich ebenfalls hinter die Vorlage. Das hat er am vergangenen Samstag auch vor der Generalversammlung der Pro Tell, der Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht, getan, allerdings, wie die Medien berichten, mit wenig Erfolg.

Pro-Tell-Präsident Jean-Luc Addor weibelt für das Recht, in der Schweiz öffentlich Waffen tragen zu dürfen.

Obwohl das Parlament die Vorlage noch gar nicht behandelt hat, beschloss Pro Tell einstimmig, das Referendum zu ergreifen. Unterstützt wird dieser Widerstand vom Schweizerischen Schiesssportverband, vom Schweizerischen Unteroffiziersverband und von der SVP. Auf der anderen Seite ist die Linke natürlich für die Umsetzung der Richtlinie, auch wenn diese einigen zu wenig weit geht. Bemerkenswert und wichtig ist die Zustimmung des Polizeibeamtenverbands (VSPB).

Die Sportschützen und insbesondere die 12’000 Mitglieder von Pro Tell müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie mit ihrem Veto gegen eine minime Beschränkung ihrer Freizeitbeschäftigung gesamtschweizerische Interessen gefährden und dass sie dies scheinheilig unter Berufung auf die hohe Schweizerfreiheit tun, derweil sie bloss egoistische Interessen verfolgen. Verständlich, dass Bundesrat Cassis nach seiner Wahl aus diesem Verein ausgetreten ist, wie auch sein Beitritt kurz vor der Wahl wenig verständlich war.

Im Moment haben bei Pro Tell radikale Kräfte die Oberhand. Der 70-jährige Präsident, Brigadier a. D. Hans-Peter Wüthrich, hat im Februar 2018 entnervt das Handtuch geworfen. Und SVP-Nationalrätin Sylvia Flückiger hat den Vorstand ebenfalls aus Protest verlassen. Jetzt amtet interimistisch der den radikalen Flügel repräsentierende Co-Präsident: der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor.

Addor hat mit einer parlamentarischen Initiative die Forderung eingebracht, dass man in der Schweiz das Recht haben soll, wie in Amerika öffentlich Waffen zu tragen. Waffennarr Addor ist Befürworter der Todesstrafe und wegen Rassendiskriminierung verurteilt. Und er ist auch Co-Präsident der zur Bekämpfung der EU-Waffenrichtlinie gebildeten «Parlamentarischen Gruppe für ein freiheitliches Waffenrecht».

Die Ablehnung der neuen Waffenregelung würde das Ende der Schengen/Dublin-Mitgliedschaft bedeuten.

Der andere Co-Präsident ist der Urner Josef Dittli, FDP, also einer Partei zugehörig, die der abgeschwächten Richtlinie zustimmt. Dittli distanziert sich von Addor und Gleichgesinnten mit der Erklärung: «Die Schweiz ist nicht der Wilde Westen.» Wäre ja sonderbar, dass in einem Moment, da starke Kräfte in den USA das Waffenrecht einschränken wollen, die Schweiz es liberalisieren würde.

Die Ablehnung der neuen Waffenregelung würde mit einiger Wahrscheinlichkeit das Ende der Schengen/Dublin-Mitgliedschaft bedeuten. Daraus machen die Befürworter, etwa die FDP, ein starkes Argument. Auf der gegnerischen Seite gibt es (wie schon bei der Personenfreizügigkeit) gemäss den in bestimmten Milieus herrschenden illusionären Einschätzungen die Meinung, dass dies schon nicht eintreten werde, weil auch die EU ein grosses Interesse an der schweizerischen Mitgliedschaft habe.

Auf der ablehnenden Seite gibt es aber auch die Meinung, dass es um Schengen/Dublin überhaupt nicht schade sei, zumal die Aussengrenzen nicht hermetisch abgeschlossen seien. Darum ist sogar die Vermutung geäussert worden, dass für einige Aktive die Verteidigung der Waffenfreiheit nur ein Vorwand und das Hauptziel die Herauslösung aus dem EU-System sei. So wird auf Schengen/Dublin gezielt, dabei aber auf schweizerische Interessen geschossen.

Missachtung des Volkswillens

Die Schweiz ist im Zuge der Bilateralen II dem Schengen/Dublin-Abkommen beigetreten, nachdem im Juni 2005 in einer Volksabstimmung eine Ja-Mehrheit von 54,6 Prozent zustande gekommen war. Würde man den Waffenfreunden mit dem Argument kommen, dass sie mit ihrer Opposition den berühmten Volkswillen missachten würden, kämen sie allerdings – wie bei der Personenfreizügigkeit oder dem Anti-Rassismusgesetz – mit dem Gegenargument, dass man bei der Präsentation der Vorlage getäuscht worden sei, sich die Regelung nicht bewährt und die Praxis in eine ungute Richtung entwickelt habe.

Der Bundesrat hat im Auftrag des Parlaments die volkswirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen von Schengen/Dublin untersuchen lassen. Sein im Februar 2018 veröffentlichter Bericht kommt auf Milliarden-Franken-Einkommensverluste für den Fall, dass die Schweiz nicht länger assoziiertes Mitglied von Schengen/Dublin wäre. Die Aussicht auf materielle Einbussen in Kombination mit der erschwerten Einschränkung von Asylgesuchen könnte die einen und anderen Waffenfreunde vielleicht doch noch zum Einlenken bewegen.

Gegner, die in der Waffenrichtlinie – durchaus zutreffend – eine von aussen auferlegte Bestimmung sehen, könnten in ganz Schengen/Dublin trotz der Abstimmung von 2005 einen aufgezwungenen Vertrag sehen. In Wirklichkeit kam in den Verhandlungen der Bilateralen II der Wunsch nach einem Einbezug mit guten Gründen von schweizerischer Seite. Die Gegenseite ging anfänglich davon aus, dass diese Mitwirkung eigentlich EU-Mitgliedern vorbehalten sei.

Ein Berner Bauer auf dem Weg nach oben

Von einem besonderen Protagonisten der Szene muss noch kurz die Rede sein: von SVP-Nationalrat Werner Salzmann, Präsident der Berner Kantonalpartei, Präsident der nationalrätlichen Sicherheitskommission und Präsident des Berner Schiesssportverbandes. Dem in der Berner Steuerverwaltung mit einer Halbtagesstelle versehenen 55-jährigen Bauernsohn wird nachgesagt, dass er mit seinem Einsatz den Weg «nach oben» suche. Der ambitionierte Berner, so wird in der Presse vermutet, könnte durch den Abschuss der schweizerischen Schengen/Dublin-Mitgliedschaft dauerhafte Berühmtheit erlangen.

Diese Art, persönliche Ambitionen umzusetzen, soll hier nicht zum Vorwurf gemacht werden. Wichtiger ist die Frage, ob der Politiker damit Erfolg hat. Salzmanns Sicherheitskommission ist dem Präsidenten jedenfalls nicht gefolgt, kürzlich hat sie mit 15 zu neun Stimmen im Sinne des Bundesrats entschieden.

Einmal mehr könnte ein emotionales Nein das rationale Ja überwiegen.

Der Schweiz droht aber in jedem Fall eine neue europapolitische Baustelle. Muss man das bedauern? Man könnte Pro Tell & Cie. auch dankbar sein, dass sie zu einem europapolitischen Kampf aufrufen, den sie wahrscheinlich verlieren werden und welcher der integrationsbemühten Seite zu einem Sieg verhelfen wird. Pro Tell hat sich richtigerweise nicht die Kraft für eine Volksinitiative zugetraut, die in genereller Weise eine «Souveränität des Waffenrechts» fordern würde.

Sicher kann man nicht sein, dass auch das Referendum erfolglos bleiben wird. Einmal mehr (wie beim EWR 1992) könnte ein emotionales Nein das rationale Ja überwiegen. Emotionale Mobilisierung sollte aber, vor allem wenn es um die Einschränkung des privaten Waffengebrauchs und -besitzes geht, auch in einer zustimmenden Variante möglich sein.

Dazu die erfreuliche Mitteilung: Während 2004 noch 43 Prozent der Ordonanzwaffen von entlassenen Armeeangehörigen in den Privatbesitz übernommen worden waren, sind es jetzt nur noch 11 Prozent.

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