Loops, Trance und Müesliriegel

Das Sinfonieorchester Basel ist auf Konzerttournee in England. Beim ersten Konzert waren zwar auch einige Sitzreihen leer, dennoch: ein gelungener Auftakt. Notgedrungen wurde dieser mit Mineralwasser und Müesliriegel gefeiert.

Endlich geschafft! Die Cellistinnen Yolena Orea-Sanchez und Phoebe Lin hatten ihre liebe Mühe bei der Reise: Erst fehlte im Flugzeug ein eigener Sitzplatz für das Cello, dann mussten sie eine Stunde warten, ehe sie nach Grossbritannien einreisen durften. (Bild: Jean-François Taillard)

Das Sinfonieorchester Basel ist auf Konzerttournee in England. Beim ersten Konzert waren zwar auch einige Sitzreihen leer, dennoch: ein gelungener Auftakt. Notgedrungen wurde dieser mit Mineralwasser und Müesliriegel gefeiert.

Das Warwick Arts Centre ist ein grosses Gebäude mit sage und schreibe 14 Sälen. Vier Veranstaltungen laufen am diesem Abend parallel, vier weitere gab es schon am frühen und späten Nachmittag zu sehen. Entsprechend bunt gemischt ist das Publikum, das sich auf den verschiedenen Ebenen und Innenterrassen dieses raffiniert verschachtelten Gebäudes in Cafeteria, Bars und Sitzecken auf den Abend einstimmt. Viele Studenten sind darunter; der Campus der University of Warwick liegt vis-à-vis.

Empfindliche Lücken in den Stuhlreihen

Hier soll nun also das erste Gastspiel der England-Tournee des Sinfonieorchesters Basel stattfinden. 1800 Sitzplätze fasst die Butterworth Hall mit Mehrzweckhallenatmosphäre. Ob die an einem Mittwochabend zu füllen sei, bezweifeln schon am Nachmittag einige Musiker. Sie sollten recht behalten: Etwa 600 Menschen haben sich eingefunden – trotz enthusiastischer Ankündigung seitens des Veranstalters. Das sind nicht wenige, lassen in diesem grossen Saal aber empfindlich viele Lücken in den Stuhlreihen entstehen.

Dass durch die Radioübertragung durch die BBC weit mehr Publikum dabei sein dürfte, motiviert nicht alle gleichermassen. Tourmanager Yannick Studer betont bei seiner kurzen Ansprache ans Orchester: «Es kommen nur sehr wenige ausländische Orchester in den Genuss einer Live-Übertragung durch die BBC. Das ist eine grosse Ehre für uns!» Doch für Solotrompeter Immanuel Richter kann das Radio den spärlich besetzten Saal auch nicht füllen: «Mikrophone sind tot. Ich brauche richtige Leute im Publikum», sagt er. 

Zugängliche Minimal-Musik

Dennoch: Das Konzert in Coventry ist ein grosser Erfolg, das Publikum macht beim Applaus ordentlich Krawall. Nicht nur, weil das Orchester mit seinem kompakten Klang, seiner grossen dynamischen Spannbreite und seiner Farbenvielfalt überzeugt. Nicht nur, weil Dirigent Dennis Russell Davies jedem Werk dieses Abends einen eigenen Charakter zu geben vermag: mitreissende, schwer atmende Expressivität für «These Words» von Arvo Pärt; gerade Klangflächen als Tableau für solistische Eskapaden von Cellist Matt Haimovitz bei Philip Glass‘ 2. Cellokonzert «Naqoyqatsi»; geballte Klangwucht und fragile harmonische Wanderungen bei John Adams‘ «Harmonielehre». Sondern auch, weil diese als «Minimalmusic» etikettierte Musik beim Publikum gut ankommt.

Tubist David LeClair: «Diese Musik spricht auch einfache Leute an. Mir haben manche nach den Konzerten in Basel gesagt: `Das höre ich gerne, dabei kann ich träumen!’»

Bei den Musikern ist die Programmwahl allerdings nicht unumstritten. Nicht alle finden einen Zugang dazu. David LeClair: «In dieser Musik gibt es viele Wiederholungen, viele Loops. Wir sind es gewohnt, mit Musik Geschichten zu erzählen. Aber hier? Ich verstehe die Botschaft nicht!» Atmosphäre zu schaffen, dies sei das Ziel dieser Musik, meint Flötistin Rahel Leuenberger; Trompeter Immanuel Richter sagt: «Für mich ist das Hintergrundmusik.»

Auch Pianistin Christina Bauer-Clark erklärt: «Bei dieser Musik erzählst du nichts. Du spielst einfach, was da steht. Das Notenbild sieht immer gleich aus, Seitenlang. Man kommt in Trance – und muss sich wahnsinnig konzentrieren, dass man in diesen schnellen Rhythmen dabei bleibt.» Lachend fügt sie hinzu: «Wenn dann alle Musiker zum gleichen Zeitpunkt beim Ende angekommen sind, dann war es gut.»

Wo bleibt das Bier?

Nach dem Konzert gibts im Bus Sandwich und Müesliriegel für alle. Bier ist keines dabei. «Dafür müssen die Musiker schon selber sorgen», lacht Tourbegleiterin Clara Fasse. Dass Alkohol vonnöten ist, weiss auch sie. Sie wurde so oft gefragt, wie viel Alkohol man mit ins Land nehmen dürfe, dass sie die zulässigen Maximalmengen kurzerhand in den offiziellen Reiseplan hineinschrieb. «In einem Job, in dem die Arbeitszeiten so extrem sind und oft erst spät abends enden, da brauchen manche nach dem Konzert erst einmal ein Bier, um runter zu kommen.» Wie viel Alkohol schon vor einem Konzert fliesst, darüber zu sprechen scheint Tabu. «Die, die das brauchen, werden sich schon darum kümmern», sagt Fasse.

Ein Ferngespräch mit Philip Glass

Es ist kurz nach 1 Uhr, als wir endlich im Hotel ankommen. «Jetzt hat sogar schon die Hotelbar zu!», frotzelt ein Bratscher. Beim zweiten Konzert dürfte dies kein Problem sein: Heute gehts direkt nach London in die Cadogan Hall, wo das Sinfonieorchester Basel innerhalb eines Minimalmusic-Festivals gleich drei Mal auftreten wird. Für das erste Stück, Philip Glass‘ Overture von 2012, musste Bibliothekarin Masja Herzog noch bis gestern Änderungen in der Instrumentierung vornehmen – unter anderem, weil erst ein Telefonat zwischen Dirigent Dennis Russell Davies und Philip Glass einige Fehler aufdeckte: Der Komponist hatte unter anderem vergessen, auch für die Fagotte eigene Stimmen zu komponieren.

Nächster Artikel