Hat die Schweiz als literarische Kulisse ausgedient?

An der BuchBasel widmen sich gleich mehrere Veranstaltungen der Eigen- und Fremdwahrnehmung der Schweiz in der Literatur. Ein Blick auf das Schaffen junger, international bekannter Schweizer Autoren zeigt aber: helvetische Schauplätze sind Mangelware.

(Bild: Nils Fisch)

An der BuchBasel widmen sich gleich mehrere Veranstaltungen der Eigen- und Fremdwahrnehmung der Schweiz in der Literatur. Ein Blick auf das Schaffen junger, international bekannter Schweizer Autoren zeigt aber: helvetische Schauplätze sind Mangelware.

Das nun bereits zwölfte Literaturfestival BuchBasel steht ins Haus. Zahlreiche Autorinnen und Autoren werden am Wochenende der Stadt ihre Aufwartung machen, Experten moderieren Podien, und das Publikum kommt in den Genuss eines vielfältigen Programms, kurzum: Basel wird für ein Wochenende zur Buchstabenhochburg des Landes.

Nun bieten solche Literaturfestivals bekanntermassen eine gute Gelegenheit, eine Art Nabelschau vorzunehmen. Auswärtige Prominenz hin oder her, die BuchBasel soll vor allem auch der hiesigen Literaturszene die Chance geben sich zu präsentieren: Was also gibt es Neues aus den helvetischen Schreibstuben?

Diese Frage stellt sich nicht nur bezüglich eines der diesjährigen Schwerpunkte, der da lautet: «Die Deutschen und Wir». Sondern die Schweiz rückt auch ganz allein ins Zentrum, zum Beispiel am Freitagabend, wenn ein Podium die Schweiz als Topos der Literatur hinterfragt und Fragen wie die folgenden diskutiert: Welche Bilder werden von unserem Land zwischen den Buchdeckeln vermittelt? Finden ausser dem klischierten Alpen-Topos noch weitere Motive statt? Und: Werden Schweizer Autorinnen und Autoren in Deutschland überhaupt wahrgenommen? 

Antworten darauf zu finden, wird nicht allzu einfach sein, denn es gibt vielfältige Parameter zu berücksichtigen – allen voran den Umstand, dass ein Schweizer Autor heute nicht mehr zwingend in der Schweiz wohnhaft ist und deshalb gar nicht immer als solcher wahrgenommen wird.

Schweizer in Deutschland

Schauen wir also nach Deutschland. Kennt man sie da, die Schweizer Literaten? Ja, zumindest in der Szene werden sie wahrgenommen.

Auf der Longlist für den deutschen Buchpreis standen in den vergangenen drei Jahren beispielsweise jeweils mindestens drei Schweizer, in diesem Jahr schafften es mit Monique Schwitter und Rolf Lappert deren zwei auf die Shortlist. Der renommierte Bachmann-Preis 2015 ging an die Deutsch-Schweizerin Nora Gomringer, Michael Fehr und Dorothee Elminger gewannen in den letzten Jahren den Kelag Preis, und die Schweiz-Rumänin Dana Grigorcea gewann, ebenfalls in diesem Jahr, den «3Sat»- und den Ernst-Willner-Preis.

Doch wie schweizerisch sind denn diese «Schweizer» und «Schweizerinnen»? Monique Schwitter lebt in Hamburg, Nora Gomringer in Bamberg. Dorothee Elmiger zog erst kürzlich wieder zurück nach Zürich. Alle drei veröffentlichen ihre Werke bei deutschen bzw. österreichischen Verlagen, was sie automatisch ein bisschen vom Label «Schweizer Literatur» befreit.

Wenig helvetische Motive

Der Erfolg ist den Schweizern innerhalb der deutschsprachigen Literaturszene aber nicht abzustreiten. Der «Tages-Anzeiger» bescheinigte der Schweizer Literaturszene bereits 2010 «eine nie dagewesene Erfolgswelle», und fünf Jahre später ist noch immer keine Ebbe in Sicht.

Suchen wir aber nach der Bearbeitung helvetischer Motive auf der literarischen Ebene, so wird es schwierig: Die Schweiz hat als Kulisse für Literatur Seltenheitswert, vor allem bei Autorinnen und Autoren der Generation nach Ralph Dutli, Peter von Matt und Thomas Hürlimann.

Für junge Autorinnen und Autoren scheint vor allem die urbane Schweiz als Schauplatz ihrer Geschichten ausgedient zu haben. Die ländliche, um nicht zu sagen typische Schweiz dagegen, die findet hie und da noch ihre Verwendung. So hat zum Beispiel der Bündner Erfolgsautor Arno Camenisch den Bündner Bergen eine düstere Trilogie abgelauscht, Jens Steiner wurde für seine Schweizer Dorfgeschichte «Carambole» mit dem Schweizer Buchpreis 2013 bedacht und der schon genannte Michael Fehr sorgt zur Zeit mit dem Bergkrimi «Simeliberg» für Furore.

Swissness als Marke?

Das wärs dann zunächst einmal: Drei Vertreter einer jüngeren Autorengeneration mit internationaler Reichweite lokalisieren ihre Geschichten in den Bergen. Und dennoch ist die Verwendung ebendieser typischen Schweiz-Facette einen Gedanken wert. Ist es schlichtweg einfacher, sich an einmal eingeschlagenen Pflöcken zu orientieren? Wird ein «Schweiz-Roman» nur darum als solcher wahrgenommen, weil er in den Bergen spielt? Ist der Berg-Topos vielleicht auch interessant, weil er eben eine gewisse «Swissness» vermittelt, die wiederum als Marke auf Anklang stossen könnte?

Für Alexander Honold, Literaturwissenschaftler und Podiums-Moderator an der Buch Basel, hat die letzte Frage durchaus ihre Berechtigung. «Vor allem deutsche Verlage haben Interesse an einem gewissen Swissness-Faktor, wenn sie Schweizer Literatur ins Programm nehmen», sagt Honold. Dass hinter den erwähnten Beispielen marktstrategische Interessen stehen, glaubt er aber nicht. Camenisch, Steiner und Fehr publizieren überdies alle bei Schweizer Verlagen.

Globalisierte Generation

Die FAZ nahm vor einigen Jahren die mangelnde Heimatliebe junger Schweizer Autoren unter die Lupe und diagnostizierte aus Frankfurt: «Es mangelt vor allem an Stoff, der die jungen (Schweizer) Schriftsteller existenziell umtreiben würde.» Ist die Schweiz, vor allem die städtische, also schlicht zu langweilig und gesichtslos, um jungen Autorinnen und Autoren als Tummelplatz der Fantasie zu dienen?

Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch einfach nicht so wichtig, ob Dorothee Elmigers «Einladung an die Waghalsigen» nun im Ruhrgebiet oder im Schweizer Mittelland spielt, ob Ada aus Simone Lapperts «Wurfschatten» in Berlin oder Zürich gegen ihre Ängste kämpft.

Vielleicht ist die Frage nach der Repräsentation der Schweiz in der Literatur auch einfach überholt. Junge Autoren sind Teil einer globalisierten Generation, sie reisen viel, leben überall und schreiben ohne Koordinatenzwang. Einige von ihnen schreiben über die Berge, andere über Städte. Über die Schweiz schreiben die wenigsten.

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Dem Schwerpunkt «Die Deutschen und Wir» sind während der Buch Basel eine Reihe von Veranstaltungen angeschlossen:

Freitag, 6. November um 18:30 Uhr, Festsaal im Volkshaus: Die Literaturkritikerin Christine Lötscher, sowie die Literaturwissenschaftler und Autoren Peter Utz und Alexander Honold diskutieren über einige der hier aufgeworfenenen Fragen, sowie über die literarische Schweiz zwischen Klischee und Kritik.

Samstag, 7. November um 11:00 Uhr, Galeriesaal im Volkshaus: Die AutorInnen Angelika Overath, Silvio Huonder und Matthias Nawrat sprechen über grenzüberschreitende Schreiberfahrungen. Wie nehmen sie die Spannungsfelder zwischen Deutschland und der Schweiz wahr? Wie beeinflussen die Grenzüberschreitungen ihr Schreiben und ihre Sprache? Moderation: Markus Wüest.

Samstag, 7. November um 14:00 Uhr, Unionssaal im Volkshaus: Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz ist von geographischer und kultureller Nähe ebenso geprägt wie von ausbalancierter politischer Abgrenzung und hartnäckig-klischierten Vorurteilen. Die beiden Historiker Thomas Maissen und Robert Labhardt fragen nach den historischen Wurzeln dieser schwierigen Nachbarschaft. Moderation: Matthias Daum (Leiter des Schweizer Büros der ZEIT).

Samstag, 7. November um 17:00 Uhr, Unionssaal im Volkshaus: Auftritt eines der prominentesten Gäste der diesjährigen Buch Basel: Peer Steinbrück. Der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Bundesminister der Finanzen hat eine gesellschaftspolitische Agenda jenseits parteipolitischer Barrieren entworfen. Über diese wird er Auskunft geben wie auch zum Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz. Und gewiss auch zur Frage, ob die Kavallerie gegen den Schweizer Finanzplatz schon ausgemustert ist. Mit den Moderatoren Matthias Daum (Leiter des Schweizer Büros der ZEIT) und Patrick Marcolli (langjähriger Korrespondent in Berlin).

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