Wir kämpfen mit: Das Spitzelgesetz muss verhindert werden!

Die TagesWoche unterstützt das Referendum gegen die Überwachung von Versicherten. Sie tut das publizistisch, indem sie die Problematik sorgfältig ausleuchtet. Sie involviert sich aber auch darüber hinaus.

Wir haben die Überwacher überwacht: Hier im bernischen Stettlen wohnt Lorenz Hess, BDP-Nationalrat und Versicherungslobbyist.

Die vom Parlament beschlossene Generalbewilligung zur Überwachung von Versicherten halten wir in Tragweite und Machart für erschreckend. Darum ruft die TagesWoche ihre Leserinnen und Leser dazu auf, Unterschriften zu sammeln – damit eine Volksabstimmung über das neue Sozialversicherungsgesetz möglich wird.

Abstimmungsbögen und eine Anleitung sind bequem online erhältlich – zusätzlich sind sie in unsere gedruckte Ausgabe integriert. Kommen bis zum 5. Juli 50’000 gültige Unterschriften zusammen, kommt das Anliegen vors Volk.

Warum tun wir das?

Weil das neue Sozialversicherungsgesetz in beispielloser Art grundrechtliche rote Linien überschreitet. Künftig können Leistungsempfänger von Krankenkassen, Invalidenversicherung, AHV und Suva observiert werden. Den Entscheid darüber fällt aber kein Richter, sondern ein beliebiger Sachbearbeiter.

Privatdetektive dürfen in Wohnzimmer und Gärten spähen, und wenn das nicht reicht, mit richterlichem Beschluss GPS-Tracker an Autos kleben oder Drohnen zur Standortbestimmung einsetzen. (Dieser letzte Punkt geht auch dem Bundesrat zu weit.) Dafür reicht eine blosse Vermutung über einen missbräuchlichen Leistungsbezug – die Beobachtung eines missgünstigen Nachbarn etwa, der zu viel Zeit am Fenster verbringt.

In diesem Gesetz, glauben wir, kondensiert eine problematische Entwicklung in der Schweiz. Bürger werden gegeneinander aufgebracht, das Denunziantentum wird gefördert. Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, werden unter Generalverdacht gestellt, entwürdigt und entwertet. Rechtsstaatliche Grundsätze wie das Prinzip der Verhältnismässigkeit werden für ein paar Millionen Franken im Jahr preisgegeben.

Der Carport neben dem Haus der CVP-Nationalrätin Ruth Humbel in Birmenstorf AG.

Das Gesetz wurde im beschleunigten Verfahren ohne eingehende Diskussionen in den Räten verabschiedet. National- und Ständerat mussten in einer einzigen Session eine Einigung finden, und sie fanden sie mit breiter, rechtsbürgerlicher Mehrheit. Die Lobbyisten hatten leichtes Spiel, eine öffentliche Debatte konnte gar nie aufkommen.

Die Wortführer für das neue Gesetz stehen allesamt auf den Gehaltslisten von Versicherungen. Damit keine Verwechslung aufkommt: Es sind nicht typische Milizpolitiker, die ihren Beruf in die Politik hineintragen – es sind Politiker, die Versicherungsmandate erhalten haben, weil sie Politiker sind. Und die jetzt etwas zurückgeben.

Wir halten das für einen demokratischen Tabubruch. Grundrechte dürfen nicht im Eilverfahren ausradiert werden – und ganz sicher nicht unter der Anleitung gekaufter Lobbyisten.

Überschreiten wir eine Grenze? Oh ja.

Für die Bebilderung unseres Schwerpunkt-Themas haben wir die Privathäuser der Nationalräte Ruth Humbel (CVP), Lorenz Hess (BDP) und Thomas de Courten (SVP) ausgespäht. Humbel und Hess zählen zu den eifrigsten Fürsprechern der Schnüffelbewilligung, der Baselbieter de Courten präsidiert die nationalrätliche Sozial- und Gesundheitskommission, die das Gesetz vorgespurt hat.

Das Mehrfamilienhaus in Rünenberg, in dem SVP-Nationalrat Thomas de Courten wohnt.

Wir haben Fenster und Vorgärten fotografiert, haben uns auf die Lauer gelegt. Entstanden ist ein kleiner Nachhilfeunterricht in Empathie: So fühlt sich das an, wenn man unter Generalverdacht steht, einem der letzte Rückzugsort genommen wird und das Misstrauen vor nichts haltmacht. Es dringt durch Löcher in der Hecke und durch Fenster ohne Vorhänge, es begleitet einen zum Einkaufen und beim Spazieren.

In unserem Verständnis haben wir damit eine Grenze überschritten – nach neuem Bundesrecht nicht. Die privaten Spitzel dürfen noch sehr viel mehr. Aber wer nichts verbrochen hat, muss ja nichts befürchten, oder?

Es geht auch ohne Lobby

Der Empörung einer kleinen Gruppe politisch bewusster Menschen ist es zu verdanken, dass wir jetzt die Chance erhalten, eine Abstimmung über das neue Sozialversicherungsgesetz zu erzwingen. Die eigentlich in der Pflicht stehende Linke hat zunächst gekniffen, weil sie die Mühe und das Risiko einer Niederlage scheute. Das macht fassungslos. Aber es schafft auch Raum für neue Kräfte.

Das Anliegen ist denn auch keines, das in ein typisches Links-rechts-Schema passen würde: Es geht uns alle an, es kann uns alle treffen. Als Präzedenzfall ist das Eil-Konstrukt ein Horror für jeden Bürger: Grundrechte wie das Recht auf Privatsphäre werden ausgehöhlt, wenn private Spitzel ohne richterliche Genehmigung ins Feld ziehen.

Die direkte Demokratie und neue, digitale Kommunikationswege machen es möglich, dass es auch ohne grosse Parteien geht. Wir brauchen keine Lobby, kein Parteikalkül, keine volle Kampagnenkasse. Wir brauchen keine Ressource ausser der wichtigsten: den Glauben an eine freie, anständige und vertrauensvolle Gesellschaft – und den Willen, diese zu verteidigen.

Wir kämpfen gerne mit.

https://tageswoche.ch/politik/unterstuetzen-sie-das-referendum-so-gehts/

Dossier Schnüffeln ohne Grenzen?

Das im Eilverfahren beschlossene Sozialversicherungsgesetz beschneidet unsere Grundrechte. Wenn wir jetzt handeln, können wir es verhindern.

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