Am 19. Jahrestag der Rückgabe an China haben in der früheren britischen Kolonie Hongkong Protestkundgebungen stattgefunden. Am Rande einer offiziellen Feierstunde forderten Zehntausende den Rücktritt des als Peking-treu geltenden Verwaltungschefs Leung Chun Ying.
Die Demonstranten verbrannten am Freitag ein Bild des unpopulären Politikers. Für den Nachmittag haben Oppositionelle zu einer Grosskundgebung aufgerufen.
Nach Angaben der Organisatoren nahmen 110’000 Demonstranten an der Kundgebung teil – etwas mehr als erwartet. Die Polizei gab die Teilnehmerzahl dagegen mit 19’300 an. Erstmals wollten am Freitag auch Anhänger der stark an Zulauf gewinnenden Unabhängigkeitsbewegung auf die Strasse gehen.
«Wir wollen unsere eigene Regierung wählen», riefen die Demonstranten. Viele von ihnen trugen gelbe Regenschirme, das Symbol der Demokratiebewegung, die mit Massenprotesten im Jahr 2014 die Stadt weitgehend lahmgelegt hatte.
Die Bürger Hongkongs seien «wütend auf die gegenwärtige Regierung und sehr enttäuscht über den bisherigen Verlauf der Entwicklung», sagte der Kundgebungsorganisator Jackie Hung von der Zivilen Bürgerrechtsfront.
Die Polizei warnte im Vorfeld, sie werde «resolut und wirksam gegen illegale Aktionen» vorgehen. Sie verwies ausdrücklich darauf, dass eine von Unabhängigkeitsbefürwortern geplante Kundgebung nicht offiziell angemeldet und genehmigt sei.
Nicht genug Autonomie
Die damalige britische Kronkolonie Hongkong war 1997 an China übergeben worden – unter der Formel «ein Land, zwei Systeme». Die Volksrepublik sagte Hongkong für 50 Jahre eine weitreichende innere Autonomie zu.
Die Hongkonger Opposition wirft Peking jedoch vor, sich zunehmend in die Angelegenheiten der Stadt einzumischen und damit die Autonomievereinbarungen zu verletzen. Der Hongkonger Führung lastet sie an, sich dem chinesischen Einfluss nicht wirksam genug entgegenzustellen.
2014 hatte sich dieser Ärger schon einmal in wochenlangen Grossdemonstrationen entladen, die allerdings ohne Folgen blieben. Nun gewinnen Fürsprecher einer völligen Unabhängigkeit Hongkongs langsam an Zulauf. Einige von ihnen fordern eine gewaltsame Loslösung von China.
Mehrere Gruppen von Unabhängigkeitsbefürwortern wollten sich noch am Freitag vor dem chinesischen Verbindungsbüro in Hongkong zu Protesten treffen. Hunderte Polizisten riegelten aus Angst vor Ausschreitungen die Umgebung ab.
Wirbel um Buchhändler
Der Peking-kritische Buchhändler Lam Wing Kee sagte seine Teilnahme an der Grossdemonstration des Pro-Demokratie-Lagers kurzfristig ab. Als Grund gab er eine «ernsthafte Bedrohung» seiner Sicherheit an. «Er hat beobachtet, dass er in den letzten zwei Tagen von Unbekannten verfolgt wurde», sagte der Oppositionsabgeordnete Albert Ho. Die Teilnahme an der Kundgebung sei für Lam deshalb zu gefährlich.
Der Fall des Hongkonger Buchhändlers Lam, der im vergangenen Jahr vorübergehend verschwunden war, sorgte in den vergangenen Wochen für Unruhe und Empörung.
Lam beschuldigte die chinesischen Behörden kürzlich nach seinem Wiederauftauchen, ihn in die Volksrepublik entführt und monatelang festgehalten und verhört zu haben. Lam vertrieb in seinem Buchladen Titel, die sich kritisch mit der Führung in Peking auseinandersetzten.
Gemäss Anhängern der Opposition ist er einer von fünf Buchhändlern, die im Laufe des vergangenen Jahres entführt wurden.
Der Fall schürte die Sorgen der Opposition, dass China sich zunehmend über die Autonomieregelungen für Hongkong hinwegsetzt. «Der Fall Lam ist ein klares Zeichen dafür, dass China das Prinzip ‚Ein Land, zwei Systeme‘ bereits zerstört hat», sagte der Oppositionelle Edward Leung von der Unabhängigkeitsgruppe Hong Kong Indigenious im Vorfeld der Kundgebungen.
Zum Feiertag am 1. Juli ruft die Hongkonger Opposition traditionell zu Protestkundgebungen auf. Im vergangenen Jahr folgten 48’000 Menschen dem Aufruf, es war die geringste Zahl sei 2008.