1400 Personen haben am Montagnachmittag auf dem Rütli den 1. August gefeiert. Festrednerin Carla Del Ponte zeigte sich zuversichtlich, dass die Schweiz ihre Herausforderungen meistern könne, wenn sie sich ihre Fähigkeit zur Offenheit beibehalte.
Die 69-jährige Tessinerin war die erste Persönlichkeit aus der italienischen Schweiz, die an der Bundesfeier auf dem Rütli die Rede halten durfte. Die ehemalige Bundesanwältin, Chefanklägerin am internationalen Strafgerichtshof der UNO in Den Haag und Botschafterin tat dies eloquent in Italienisch, Deutsch und Französisch.
Del Ponte sagte, der grösste Schatz der Schweiz sei ihre sprachliche und kulturelle Mannigfaltigkeit, die positiv und mit Offenheit gelebt werde. Die Schweiz dürfe nicht ihre ihre Fähigkeit zur Offenheit, ihre Lust sich zu erklären und andere zu verstehen, verlieren. Wenn es nicht gelänge, die Vielfältigkeit und die Offenheit als positive Werte zu sehen, werde die Basis derjenigen Schweiz sabotiert, auf die das Land stolz sei.
«Angst schlechter Ratgeber»
Als Beispiel für diese wichtige Offenheit nannte die Tessinerin den Bau des im Juni eröffneten Gotthard-Basistunnels. Die Schweiz müsse ihre Unabhängigkeit und Vielfältigkeit bewahren, sagte Del Ponte. Die Angst sei ein schlechter Ratgeber, die zu einem Fall in Stillstand und Isolation münden könne.
Auch die zweite Rednerin, Annemarie Huber-Hotz, plädierte für Offenheit, und zwar im Dialog zwischen den Menschen. Huber-Hotz, die als Präsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) sprach, wies auf die bahnbrechenden Entwicklungen in Technik und Wissenschaft hin, zu denen auch der Gotthard-Basistunnel gehöre. Trotzdem gebe es noch immer Gewalt, Terrorismus und Stellvertreterkriege.
Das SRK war von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) zur Rütli-Feier eingeladen worden, weil es dieses Jahr sein 150-jähriges Bestehen feiert. SRK und SGG könnten die Welt zwar nicht grundlegend verändern, sagte Huber-Hotz, die früher selbst der SGG vorgestanden hatte. Sie könnten mit ihrer Freiwilligenarbeit aber dazu beitragen, dass frische Luft in die menschlichen, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen ströme.
Zur Rütli-Feier gehören traditionellerweise auch Alphornbläser, Fahnenschwinger und Darbietungen der Musikgesellschaft Brunnen. Zudem trat beim diesjährigen Anlass, der bei meist sonnigem Wetter durchgeführt werden konnte, auch der Schweizer Jugendchor auf.
Feuertaufe für umstrittene Neuerung
Aufgabe des Jugendchors war es, die Nationalhymne mit einem neuen Text («Weisses Kreuz auf rotem Grund, unser Zeichen für den Bund…») probeweise vorzutragen. Die Zeilen stammen von Werner Widmer, der sich in einem Wettbewerb der SGG durchgesetzt hat.
Wie SGG-Geschäftsleiter Lukas Niederberger auf Anfrage sagte, hörten die meisten der 1400 Anwesenden «einfach mal zu». Beim französischen Teil des neuen Hymnentextes sowie bei der sogenannten Schweizer Strophe hätten dann einige auf der Rütliwiese mitgesungen. «Es gab keine negativen Reaktionen, Pfiffe blieben aus.»
Der Plan der SGG, den traditionellen Schweizerpsalm durch einen zeitgemässeren Text zu ersetzen, war in konservativen Kreisen auf brüske Ablehnung gestossen. SGG-Präsident Jean-Daniel Gerber versicherte, dass die SGG offiziell immer die alte Hymne singen werde, bis nicht offiziell eine neue bestimmt sei.
Mit Unterstützung des Jugendchores und der Musikgesellschaft Brunnen stimmte die Festgemeinde auf dem Rütli denn auch den Schweizerpsalm an und sang die erste Strophe in den vier Landessprachen.