Heute vor 30 Jahren starben in Brüssel vor dem Meistercup-Final zwischen Liverpool und Juventus Turin 39 Menschen. Noch immer steht Heysel für eine der schlimmsten Fussball-Katastrophen.
Die schrecklichen Bilder wird wohl keiner der Augenzeugen je vergessen: Reglos am Boden liegende Fans, weinende und schreiende Menschen, überforderte Polizisten. «Das Spiel dauerte nicht 90 Minuten. Es wird immer noch gespielt. Niemand kann das jemals löschen», sagte der damalige Siegtorschütze und heutige UEFA-Präsident Michel Platini vor einigen Jahren über Meistercup-Final 1985 im Heysel-Stadion in Brüssel.
Zuschauer und Polizei bedecken die Leichen der Opfer am 29. Mai 1985.
Das Hauptproblem war, dass ein als neutrale Zone bedachter Sektor auf der Tribünenseite der Liverpooler Supporter mit Juve-Fans gefüllt und nur durch einen Maschendrahtzaun abgetrennt war. Wohl mehr als 100 englische Fans stürmten rund 30 Minuten vor dem geplanten Spielbeginn um 20.15 Uhr nach gegenseitigen Stein- und Fackelwürfen diesen Block, was zu Panik führte.
Die Juve-Fans versuchten zu flüchten, wurden zu Tode getrampelt oder starben unter einer einstürzenden Mauer. Die viel zu späte Reaktion der Polizei und das baufällige Stadion trugen ebenfalls zu der Tragödie bei. Trotz der unfassbaren Szenen pfiff der Schweizer Schiedsrichter André Daina auf Druck von mehreren Seiten die Partie mit einer Verspätung von fast anderthalb Stunden gegen den Willen der meisten Akteure doch an.
Die meisten der 39 Todesopfer waren Fans von Juventus Turin. Beim italienischen Rekordmeister, der 1985 durch den Treffer Platinis das erste Mal den Meistercup, den Vorgänger-Wettbewerb der Champions League, gewann, ist die Katastrophe von Heysel als grösstes Drama der Klubgeschichte stets präsent. Im Museum des diesjährigen Champions-League-Finalisten gibt es einen eigenen Bereich, auch im neuen Juventus-Stadium wird mit 39 Sternen der Toten gedacht. «Die Opfer sind immer in unseren Herzen», sagte Klub-Präsident Andrea Agnelli am 25. Jahrestag der Katastrophe. In diesem Jahr soll mit einer Messe an die Opfer erinnert werden.
«39 Engel schauen mit Stolz herab»: Juventus Fans gedenken ihrer Kameraden. (Bild: LUCA BRUNO)
In Liverpool tat man sich schwer, die Schuld zu akzeptieren. «Das war ein Moment grosser nationaler Schande, für die Fans und andere in England», sagt der Fussball-Soziologe John Williams von der englischen Universität Leicester. Die Betroffenen hätten überwiegend versucht zu vergessen, was passiert war – oder die Schuld der UEFA oder Brüssel zu geben. Nur vier Jahre später war der Klub in die nächste Katastrophe verwickelt: Bei einer Panik im Hillsborough-Stadion in Sheffield starben 96 Liverpool-Fans. Diese Tragödie verdrängte Heysel zusätzlich aus dem Bewusstsein.
Die Erinnerung an Hillsborough ist beim Liverpool FC allgegenwärtig und in Form zweier Fackeln sogar Teil des Klublogos. An die 39 Opfer von Brüssel erinnert eine Tafel mit den beiden Vereinswappen, die 2010 zum 25. Jahrestag enthüllt wurde. «Wenn Hillsborough der traurigste Tag in der Geschichte des Vereins ist, dann ist der 29. Mai 1985 sicher der Tiefpunkt», heisst es auf der Website des LFC.
Heysel hatte – zusammen mit Hillsborough – weitreichende Folgen für den englischen Fussball. Friedliche Fans gründeten einen nationalen Verband, um Nicht-Hooligans eine Stimme zu geben. «Es wuchs ein Verständnis in diesem Land dafür, dass das Spiel kulturell wichtig war, aber das Verhalten vieler Fans ein Problem», erklärt Williams.
(Bild: ANONYMOUS)
Bemühungen, die Fans auszusöhnen, gab es früh – nicht immer waren sie erfolgreich. «Als die Mannschaften Jahre später endlich wieder aufeinandertrafen, versuchte Liverpool, öffentlich um Verzeihung zu bitten, aber einigen Juve-Fans war verständlicherweise nicht nach Verzeihen zumute», sagt Williams, der selbst Liverpool-Anhänger ist. Er bedauert es, dass jährlich ganz offiziell der Opfer von Hillsborough gedacht wird, aber nicht derer von Heysel.
Auch in Italien bereitete der Umgang mit Heysel Probleme, erklärt Williams. «Es hatte nicht nur das Spiel stattgefunden nach dem Blutbad, Juve hatte auch noch öffentlich die Trophäe gefeiert, nachdem so viele der eigenen Anhänger gestorben waren.» Es war das erste Mal, dass die «Alte Dame» Juve die wichtigste Trophäe im europäischen Klubfussball gewann. Später, so Williams, hätten sich einige für die Feier geschämt.
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