7 Bücher zur Schweiz im Ersten Weltkrieg

100 Jahre nach Kriegsausbruch befassen sich diverse Publikationen mit der Rolle der Schweiz (und Schweizer) während des Ersten Weltkriegs. Wir stellen sieben Bücher vor, die dazu beitragen, dass Forschungslücken geschlossen werden. Die Geschichte der Schweiz im Ersten Weltkrieg war bis vor Kurzem ein wenig erforschtes Gebiet. Das ist verständlich, sah sich unser Land in den […]

100 Jahre nach Kriegsausbruch befassen sich diverse Publikationen mit der Rolle der Schweiz (und Schweizer) während des Ersten Weltkriegs. Wir stellen sieben Bücher vor, die dazu beitragen, dass Forschungslücken geschlossen werden.

Die Geschichte der Schweiz im Ersten Weltkrieg war bis vor Kurzem ein wenig erforschtes Gebiet. Das ist verständlich, sah sich unser Land in den Jahren 1914 –1918 nicht dermassen bedroht, wie das im Zweiten Weltkrieg der Fall war. Allerdings machten die Schweizerinnen und Schweizer auch in den Jahren des Ersten Weltkriegs Erfahrungen, die sie stark prägen sollten.

Diverse Publikationen bemühten sich derzeit, diese Forschungslücke zu schliessen. Im Folgenden sollen sieben kurz vorgestellt werden (mehr zum 1. Weltkrieg in Basel auch in unserem Dossier zum Thema).

Im Spiegel von Postkarten

Wachsame Wehrmänner an der Grenze, ernste und heitere Szenen aus dem Aktivdienst, bissige Karikaturen: In diesem Buch von Georg Kreis bekommt man zu sehen, welches Bild der Schweiz Postkartenbilder aus den Jahren 1914–1918 vermitteln.

Anhand von 83 Postkarten beleuchtet Georg Kreis das Selbstverständnis der Schweiz zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Die Postkarten, zu denen Kreis jeweils einen knappen den historischen Hintergrund erläuternden oder den Bildinhalt interpretierenden Text verfasst hat, beinhalten zu einem grossen Teil Szenen aus dem Soldatenleben. Sie greifen aber auch Konflikte zwischen dem deutschen und dem französischen Landesteil auf oder zeigen die «Friedensinsel» Schweiz.

Neben Karten mit Bildinhalten, wie man sie erwartet – beispielsweise wachsame Wehrmänner an der Grenze –, gibt es in diesem Buch auch Überraschendes. Etwa eine durch die PTT beschlagnahmte Karte, welche dagegen protestiert, dass elsässische Kriegsdienstverweigerer aus Basel direkt nach Deutschland abgeschoben wurden.

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Georg Kreis: Schweizer Postkarten aus dem Ersten Weltkrieg. Verlag hier + jetzt, Baden 2013. 175 Seiten, 49 Franken. ISBN 978-3-03919-299-1


In acht Kapiteln

Mit «Insel der unsicheren Geborgenheit» hat Georg Kreis eine Geschichte der Schweiz im Ersten Weltkrieg vorgelegt. Das Buch gibt einen guten Überblick über den Stand unseres bisherigen historischen Wissens über die Kriegsjahre 1914–1918. In acht Kapiteln macht es die Leserinnen und Leser mit der damaligen politischen, militärischen und sozialen Situation der Schweiz vertraut.

Anders als unsere Nachbarländer, die in den Schlachten des Ersten Weltkriegs enorme Verluste zu beklagen hatten, blieb die Schweiz in den Jahren von 1914 bis 1918 weitgehend von Kampfhandlungen verschont. Nichtsdestotrotz drückte der Krieg unserem Land den Stempel auf und wirkte als Katalysator unterschiedlicher Prozesse. In seinem Buch zeichnet Georg Kreis sie faktenreich und nahe an den zeitgenössischen Quellen nach. Sein Überblick über die Kriegsjahre macht deutlich, dass verschiedene Gräben durch die «Insel» Schweiz gingen.

Ein erster Graben, jedenfalls was die öffentliche Meinung angeht, verlief zwischen der deutschen und der französischen Schweiz: Die Sympathien der Romandie lagen eher bei Frankreich, während man in der Deutschschweiz eher Deutschland favorisierte. Verschärfend wirkten General Ulrich Willes prodeutsche Haltung und sein Hang zu «preussischem» Drill.

Ein zweiter Graben, der während der Kriegszeit tiefer wurde, war jener zwischen den Lohnabhängigen und den wohlhabenden Bürgerschichten. Einer der Gründe war die Teuerung, die Familien mit kleinem Budget ganz besonders zu spüren bekamen, während einzelne Kriegsgewinnler Geld scheffelten. Ein anderer Grund war die Länge des Aktivdienstes, ohne dass der Erwerbsausfall entsprechend geregelt war. Die sozialen Spannungen entluden sich schliesslich im Landesstreikstreik vom November 1918.

Die Industrie, soweit ihre Geschichte in den Kriegsjahren überhaupt untersucht ist, zeigt kein einheitliches Bild. Einige Unternehmen profitierten von der durch den Krieg geschaffenen Situation, andere hatten damit enorm zu kämpfen.

Im Umgang mit dem Landesstreik von 1918 wurde auch der Graben zwischen der ländlichen und der städtisch-proletarischen Schweiz sichtbar: Um Fraternisierungen vorzubeugen, wurden gegen die Streikenden Truppen vom Land aufgeboten.

Kreis‘ Buch zeigt auch diverse Facetten des Alltagslebens. Dazu gehört die enorme Last, die die Frauen zu tragen hatten, insbesondere wenn die Ehemänner im Aktivdienst waren.

Ein besonderes Spannungsfeld beleuchtet das Kapitel «Humanität und Fremdenabwehr». Von Seiten der Schweiz wurde unbestrittenermassen verschiedentlich humanitäre Hilfe geleistet, sei dies durch das Rote Kreuz, bei Verwundetentransporten durch die Schweiz oder durch die Aufnahme von deutschen und französischen Gefangenen. Ab 1917 wurde aber auch die Fremdenfeindlichkeit, so Kreis, «zu einer das allgemeine Fühlen und Denken leitenden Kraft.»

Das Buch ist schön und übersichtlich gestaltet. Zahlreiche Illustrationen, darunter eindrückliche Fotografien, bereichern das Buch und erhöhen seinen Informationsgehalt.

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Georg Kreis: Insel der unsicheren Geborgenheit. Die Schweiz in den Kriegsjahren 1914–1918. Verlag NZZ, Zürich 2014. 299 Seiten. Fr. 47.90. ISBN 978-3-03823-844-7.

 

In Basel

Wie erlebte die Grenzstadt Basel den Ausbruch des Ersten Weltkriegs? Mit welchen Problemen hatten die ärmeren Bewohnerinnen und Bewohner zu kämpfen? Was unternahmen die Behörden? In seinem Buch «Krieg und Krise» liefert Robert Labhardt eine Geschichte Basels und betrachtet die Kriegsjahre aus der Perspektive der ärmeren städtischen Schichten. Dabei lässt er aber immer wieder auch eine Tochter aus gutem Haus zu Wort kommen.

Neben Labhardts Darstellung der Geschehnisse in der Grenzstadt Basel aus der Sicht «von unten» finden sich in den meisten Kapiteln auch Auszüge aus Aufzeichnungen von Gertrud Preiswerk (1898–1989). Die junge Baslerin hat in den Kriegsjahren, so Labhardt, «faktenreich, bunt und pointiert ihren Alltag und ihre Informationen festgehalten».

Der Alltag «der nachpubertären Tochter aus gutem Haus» ist allerdings ein anderer als jener von Basels ärmerer Bevölkerung, wie Labhardt anhand anderer Quellen zeigt. Die ärmeren Schichten litten immer mehr unter den Folgen der Teuerung und des Aktivdienstes ohne Erwerbsausfallentschädigung. Das schlug sich 1917 in einer Grossdemonstration und einem harten Wahlkampf zwischen den Sozialdemokraten und den Bürgerlichen nieder sowie 1918 im Landesstreik und 1919 im Basler Generalstreik.

«Krieg und Krise» ist ein spannendes Buch, klar gegliedert und gut geschrieben. Zahlreiche historische Fotografien runden den Text ab und ermöglichen einen spannenden Blick auf Basel.

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Robert Labhardt. Krieg und Krise. Basel 1914–1918. Christoph Merian Verlag, Basel 2014. 352 Seiten, 38 Franken. ISBN 978-3-85616-627-4

 

In Zürich

Der von Erika Hebeisen, Peter Niderhäuser und Regula Schmid herausgegebene Band über Zürich im Ersten Weltkrieg ist kein Werk aus einem Guss. Die 18 Beiträge ergeben nichtdestotrotz ein eindrückliches Mosaik der Kriegsjahre im Kanton Zürich.

Das Spektrum der behandelten Themen des 178. Neujahrsblatt der Antiquarischen Gesellschaft über Stadt und Kanton Zürich im Ersten Weltkrieg ist breit. Tobias Straumann etwa zeichnet die Sorgen der Zürcher Grossunternehmen nach. Heidi Witzig berichtet vom Alltagsleben der Frauen und Männer im Zürcher Oberland. Karin Huser analysiert die Probleme der Zürcher Linken, Thomas Buomberger befasst sich mit dem Zürcher Generalstreik vom 9. November 1818.

Besonders erwähnt seien zwei weitere Beiträge. Hans Rudolf Fuhrers Rückblick auf die «Meuterei» an der Flüela und die anschliessende öffentliche Intervention Ulrich Willes werfen ein grelles Licht auf den späteren General und machen klar, weshalb der Name Wille und der Begriff «preussischer Militarismus» in der Schweiz oft im selben Atemzug genannt wurden. Adrian Gerbers Beitrag «Das Kino während des Ersten Weltkriegs und Ambivalenzen der Filmpropaganda» schliesslich erinnert an einen frühen Versuch, das neue Medium Film im Propagandakrieg einzusetzen, und an ein kaum bekanntes Stück Zürcher Kinogeschichte.

Das Buch bietet weit mehr als Lokalhistorie. Unbedingt lesenswert auch in der übrigen Schweiz.

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Erika Hebeisen, Peter Niederhäuser, Regula Schmid (Hg.): Kriegs- und Krisenzeit. Zürich während des Ersten Weltkriegs. Chronos, Zürich 2014. 239 Seiten, 48 Franken. ISBN 9-783034-012218

 

In Wortgefechten

Während des Ersten Weltkriegs wurde nicht nur auf Schlachtfeldern und in Schützengräben unerbittlich gekämpft. In Zeitungsspalten und auf Buchseiten wurde der Krieg nicht weniger heftig mit Worten ausgetragen. Davon zeugen auch einige der 16 Texte von deutschen, französischen, britischen und Schweizer Autoren, die unmittelbar unter dem Eindruck des ersten Kriegsjahres entstanden und in diesem Band wieder aufgelegt werden

Es sind eindrückliche, oft auch aufwühlende Texte, die im Band «Dieser Krieg ist uns zum Heil» zu lesen sind. Die Historikerin Christine Odermatt hat sie jeweils mit kurzen Angaben zur Verfasserin bzw. zum Verfasser sowie knappen inhaltlichen Erläuterungen versehen. Gefunden hat sie die Zeitdokumente in den Bibliotheksbeständen der Museumsgesellschaft Zürich, einer 1834 gegründeten Lesegesellschaft.

Zu Wort kommen in diesen «Wortgefechten» neben Stimmen des Hasses und der Rechtfertigung auch solche der Vernunft und der Humanität.

Zu Ersteren gehört etwas der Wirtschaftswissenschaftler Werner Sombart, der der englischen Händlernation jegliche kulturelle Eigenleistung abspricht und seinen Lesern einhämmert: «Deutsch sein heisst Held sein, und dem englischen Händlertum im Geiste und im Leben setzen wir ein deutsches Heldentum entgegen.» Wie schwer es angesichts solcher nationalistischer Eruptionen die bedrängte Vernunft hatte, belegen die Erlebnisse der Schriftstellerin Annette Kolb, die nicht verstehen konnte, «dass die Völker sich allesamt ihre hetzerische Presse noch gefallen lassen».

Waren bereits Annette Kolbs Äusserungen starker Tobak für ihre deutschen Landsleute, so gilt das erst recht für die in Auszügen abgedruckte Schrift «J’accuse!» von Richard Grelling, einem Gründungsmitglied der Deutschen Friedensgesellschaft. In seiner Schrift stellte Grelling nämlich «die Anklagepunkte» zusammen, «welche die ausschliessliche Schuld Deutschlands und seines Bundesgenossen Österreich-Ungarns an dem Weltkrieg dartun».

Unter den Texten finden sich auch zwei von Autoren aus der Westschweiz. Louis Dumur bricht eine Lanze für die französische Kultur («In allem und überall zeigt sich Deutschlands Abhängigkeit vom Ausland»). Demgegenüber redet Paul Dubois Pazifismus und Neutralität das Wort. Letzteres auch, weil er weiss, dass die Sympathien und Antipathien in den verschiedenen Landesteilen unterschiedlich verteilt sind und ihm der Zusammenhalt der Schweiz wichtig war.

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Christine Odermatt (Hg.): Dieser Krieg ist uns zum Heil. 1914 – Wortgefechte in Texten der Zeit. Limmat Verlag, Zürich 2014. 183 Seiten, 34 Franken. ISBN 978-3-85791-738-7.

 

In der Erinnerung

Welche Inhalte und Formen nahm die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in der Schweiz im Laufe der Zeit an? Der von Konrad J. Kuhn und Béatrice Ziegler herausgegebene Bande «Der vergessene Krieg» präsentiert die Ergebnisse der Spurensuche in verschiedenen Bereichen.

Wie wurde kurz nach dem Ersten Weltkrieg und später die Erinnerung an die Geschehnisse der Kriegsjahre gepflegt? Dieser Frage widmen sich die 17 Beiträge dieses Bandes anhand unterschiedlicher Erinnerungsträger und -vermittler. Wie zu erwarten, gehören dazu Bildpostkarten und Erinnerungsfotos von der Grenzbesetzung, aber auch Denkmäler in Stein und Bronze.

Beleuchtet werden ferner auch die Darstellung des Ersten Weltkriegs in Heftchen des Schweizerischen Jugendschriftenwerks (SJW), in Schulbüchern oder im Film «Gilberte de Courgenay».

Besonders erwähnt seien drei Beiträge, die ganz unterschiedliche Themen aufgreifen. So untersucht Elisabeth Joris das politische Engagement von Frauen im Ersten Weltkrieg und dessen Umdeutung in Erinnerungsschriften. Juri Jaquemet und Adrian Wettstein berichten von den weitgehend vergessenen Fortifikationen Murten und Hauenstein. Und Rudolf Jaun lässt die in den 1980er-Jahren durch Niklaus Meienbergs General-Wille-Buch ausgelöste Kontroverse Revue passieren.

«Der vergessene Krieg» ist ein Buch, das viele Denkanstösse vermittelt und zu eigenen Beobachtungen anregt.

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Konrad J. Kuhn, Béatrice Ziegler (Hg.): Der vergessene Krieg. Spuren und Traditionen zur Schweiz im Ersten Weltkrieg. hier + jetzt Verlag, Baden 2014. 334 Seiten, 54 Franken. ISBN 9-783039-193165.

 

In der Diskursanalyse

«Der Held im Schützengraben – Führer, Massen und Medientechnik im Ersten Weltkrieg» Der Titel dieses Tagungsbandes tönt vielversprechend. In den meisten Referaten macht man allerdings kaum Bekanntschaft mit der Medientechnik geschweige denn mit den Massen. Mehrheitlich befassen sich die Referentinnen und Referenten mit Werken von Schriftstellern oder Publizisten. Unter den behandelten Autoren finden sich auch Schweizer.

Der Grossteil der 18 Beiträge des Bandes «Der Held im Schützengraben – Führer, Massen und Medientechnik im Ersten Weltkrieg» geht auf die Tagung «Medien im Krieg – Krieg in den Medien. Helden, Führer, Masse und Technik im Ersten Weltkrieg» zurück, welche vom 6. bis 8. Dezember 2012 an der Universität Zürich stattfand.

Der Titel der Tagung weckt allerdings falsche Erwartungen. Vom damaligen Massenmedium Zeitung ist praktisch nicht die Rede, das seinerzeit noch recht neue Medium Film kommt lediglich in einem Beitrag vor («Hollywood und der Erste Weltkrieg»), Fotografie ist kein Thema.

Die meisten Beiträge konzentrieren sich auf das Schaffen eines bestimmten Autors. So schreibt etwa Sabine Schneider über «Hofmannsthals Hermeneutik des Kriegs» oder Christian van der Steeg über «die Verzauberung der Zeit in der Zeitung. Karl Kraus‘ grosser Mann im Weltkrieg».

Drei Beiträge widmen sich der «Helvetischen Heroik». Peter Utz erinnert an das Buchprogramm des Huber-Verlags während des Ersten Weltkriegs, das Autoren wie Robert Faesi, Paul Ilg und Robert Walser umfasste. Paul Keckeis befasst sich mit Robert Walsers literarischer Militärsoziologie. Thomas Fries nimmt sich des Themas «Kriegserfahrung und Schreiben bei Blaise Cendrars und Meinrad Inglin» an.

Sprachlich richten sich die meisten Beiträge an ein universitäres Publikum. Der «Massenleser» muss schauen, wie er damit zurechtkommt.

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Stephan Baumgartner, Michael Gamper, Karl Wagner (Hg.): Der Held im Schützengraben. Führer, Massen und Medientechnik im Ersten Weltkrieg. Chronos, Zürich 2014. 341 Seiten, 48 Franken. ISBN 978-3-0340-1028-3

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