Heute würde Paul Newman 90. Wir feiern den Geburtstag mit sieben denkwürdigen Filmen.
Paul der Grosse. Wenige andere Hollywood-Legenden sind während fünf Karrieredekaden regelmässig in Filmen mit Relevanz aufgetreten, noch weniger haben darin jeweils zentrale, Charakterrollen eingenommen. Neun Mal war Paul Newman für den Oscar nominiert, zwei Mal hat er ihn erhalten, beide bezeichnenderweise erst im Herbst seiner Karriere: einen für sein Lebenswerk und ein Jahr später, 1987, einen für die Hauptrolle in «Die Farbe des Geldes». Newman, 2008 verstorben, würde heute seinen 90. Geburtstag feiern. Zum Gedenken – sieben Wegmarken.
«Die Katze auf dem heissen Blechdach»
Man muss an den alten Tolstoi denken bei diesem Stoff. Jede Familie ist auf ihre Weise unglücklich, aber diese hier ist es besonders. Das Familienoberhaupt, Big Daddy, ein tyrannischer Patriarch und Plantagenbesitzer im Süden der USA, feiert den 65. Geburtstag und ruft seine beiden Söhne samt Anhang heran. Während der eine nur eine gute Position fürs Erbe im Sinn hat, wendet sich der andere, Brick, von allen ab. Dem Suff verfallen, träumt er seiner unerfüllten Football-Karriere nach, macht sich für den Tod eines Freundes verantwortlich und entfernt sich von seiner Frau, der er Betrug vorwirft. Beklemmend emotional die Leistung von Paul Newman und Elizabeth Taylor als verlorenes Ehepaar – er von sturer Resignation befallen, sie durch unerfüllten Liebes- und Lebensträume verzweifelt («A girl too hungry for love to care how she goes about getting it», paraphrasiert der Trailer in hübscher Prägnanz). Noch dramatischer ist indes die Streitszene zwischen Sohn und Vater: der Alte will den Jungen zur Räson bringen und ihn ins Lebensschicksal zwingen; dieser gibt den Vorwurf der Verlogenheit und der Selbsttäuschung an den Vater zurück und enthüllt ihm, was der Rest der Familie verschweigt: Der Patriarch ist unheilbar an Krebs erkrankt, seine Macht ist endlich. «Verlogenheit ist das System, in dem wir leben», kläffte der Alte einst über die Gesellschaft – eine Diagnose, die im Herzen seiner Familie auf ihn zurückfällt. Zeitlos – und deshalb auf der Romanvorlage von Tennessee Williams am Broadway immer wieder neu aufgelegt, zuletzt mit Scarlett Johansson als Wiedergängerin der Taylor.
«The Hustler» – 1961
Spielplatz des Lebens: der Billardtisch. Die Kugeln werden angestossen, manche fallen ins Loch, manche enden in Stillstand. Und nur wer aufpasst, wann das Spiel in Ernst umzuschlagen beginnt, trägt den Sieg davon. «Fast Eddie» ist keiner davon. Der Pooltisch ist sein Leben, seine Kontrahenten Feinde, die es abzuziehen oder gar zu vernichten gilt, der Schnaps das Schmiermittel, das seine Siegeslust befeuert. Ganz anders sein Gegenüber, der Landesmeister Minnesota Fats. Er spielt ohne Drama, sondern um des Genusses willen, er zeigt Grösse in der Niederlage und Demut im Sieg. Um diese zwei Charaktere schnürt sich diese Milieustudie von Spielern und Zockern immer enger, am Ende bleiben zerbrochene Schicksale – eine Frau, die liebt, um ihrem Leben Bedeutung zu verleihen, vor allem aber der «Hustler» selbst: Paul Newman etabliert sich in der Rolle des Anti-Helden endgültig als bahnbrechender Darsteller in Hollywood – in einer Rolle, die ihn als arroganten Schnösel, versoffenen Selbstbemitleider und erst am Ende als gereiften moralischen Sieger zeigt, der sich von den Untiefen des Zockergeschäfts zurückziehen kann und seine Karriere beendet. Vorerst. Denn 25 Jahre später kehrte Paul Newman in der Rolle des «Fast Eddie» zurück – siehe unten.
«Hombre» – 1967
Newman im Wilden Westen, da denkt man zuerst an den «Buddy-Film» an der Seite von Robert Redford: In der unbekümmerten Ballade «Butch Cassidy & The Sundance Kid» durchbricht Newman die Standards des Genres zugunsten einer niedlichen Kumpelei. Zwei Jahre zuvor hat Newman als «Hombre», als Weisser, der unter Indianern aufwächst und in der westlichen Zivilisation kein Zuhause finden kann, die Konventionen des Genres noch kräftiger durchgeschüttelt. Der Film thematisiert nicht nur das Unrecht gegenüber der amerikanischen Urbevölkerung, sondern kontrastiert es noch zusätzlich mit der Niedertracht in der weissen Gesellschaft. Als sich eine Reisegruppe nach einem Postkutschen-Überfall in der Wüste Banditen erwehren muss, entwickelt sich keine heroische Solidarität, sondern die Gruppe zerfällt in Einzelinteressen, die sich gegeneinander richten – und der Einzige, der sich zu altruistischem Handeln aus utilitaristischen Motiven entschliesst, ist Newman, der Indianer. Am Ende liegt er niedergeschossen im Staub. Die Reise in die Zivilisation endet für den vermeintlich Wilden im Untergang – hoffnungsloser kann ein Western nicht seine eigenen Mythen zerfetzen.
«Die Sensationsreporterin» – 1981
Good Morning Rufschädigung. Ein unbescholtener Getränkehändler – und leider Neffe eines Mafiabosses – findet sich eines Morgens auf der Titelseite der Zeitung wieder: als Hauptverdächtiger einer polizeilichen Untersuchung zum Verschwinden eines Gewerkschaftsführers. Von nun an beginnt für Michael Gallagher (Newman) der Kampf gegen die Methoden der Medien, der Polizei und der Staatsanwaltschaft, um seine Ehre zurückzuerhalten. Ihm gegenüber steht die «Sensationsreporterin», die ehrgeizig ihre grosse Geschichte wittert – und am Schluss eine Tote, ein gebrochenes Herz und ihre eigene ruinierte Karriere zurücklässt. Und eine quälende Einsicht in eine Medienpraxis, in der Geschichten mehr zählen als Wahrheiten. Düster die Unerbittlichkeit, mit der Newman den Gehetzten spielt – ein primus inter pares in einem herausragenden Cast, minutiös geleitet vom Meister Sydney Pollack.
«The Verdict» – 1982
Die Figur des Anwalts Frank Galvin ist quasi ein Amalgam aus mehreren früheren Rollen Newmans – und gehört deshalb zu seinen stärksten Darbietungen. Ein ehemals erfolgreicher, nun gefallener Anwalt ergibt sich dem Suff, erhält jedoch eine letzte Chance: einen Fall, in dem er sich gegen das Establishment – hier: eine renommierte Spezialklinik, geführt von der Kirche und gedeckt von einer Schar hochbezahlter und ebenso angriffiger Anwälte – zu behaupten hat, Versuchungen wie Einschüchterungen widerstehen muss und am Ende geläutert als Sieger im Gerichtssaal steht. Wie in «Die Sensationsreporterin» steht auch hier ein Duell der moralischen Integrität des Einzelnen gegen die Machtmittel starker Institutionen an – damals die Medien, nun das Recht. Eine Paraderolle für Newman, den Vielgesichtigen, der dafür eine weitere Oscar-Nomination als Hauptdarsteller einfuhr. Wie bei den fünf davor ging er auch hier leer aus. Die Krönung sollte erst noch kommen.
«Die Farbe des Geldes» – 1986
«Fast Eddie» ist zurück, und er ist nicht nur älter, sondern auch ruhiger geworden. 25 Jahre zuvor spielte Newman in «The Verdict» bereits die Rolle des begnadeten Billard-Spielers Eddie Felson, der an seinem Ehrgeiz und den Machenschaften des Zocker-Milieus beinahe zerbricht. Knapp drei Jahrzehnte lang hat er kein Queue mehr in die Hand genommen, bis er auf das junge Talent Vincent (Tom Cruise) trifft. Er nimmt ihn unter seine Fittiche, lehrt ihn die Tricks der Zocker und gewinnt durch seinen jungen Schützling die Lust am Spiel zurück – bis die beiden sich am Tisch als Gegner gegenüberstehen. Nicht durch die eher matte und vorhersehbare Handlung glänzt «Die Farbe des Geldes», sondern durch die spannungsgeladene Konfliktbeziehung zwischen Vater- und Sohnfigur. Regisseur Martin Scorsese inszeniert sie mit einer ebenso minimalistischen wie starken Bildsprache als moralphilosophische Reflexion über Unschuld und Verkommenheit und die Reibungskräfte zwischen Jugend und Alter. Brillant die Präsenz Newmans, der dafür seinen ersten «richtigen» Oscar erhielt (für sein Lebenswerk wurde er bereits im Jahr zuvor ausgezeichnet) – und es sogar schaffte, Tom Cruise zu einer bemerkenswerten Schauspielleistung anzustacheln.
«Road to Perdition» – 2002
Newmans letzter Kinoauftritt gehörte einer Nebenrolle (auf die seine letzte Oscar-Nominierung folgte): als gealterter, fatalistischer irischer Mafiaboss, der trotz der Gewaltexzesse in seiner Biografie familiäre Bande aufrechtzuerhalten sucht – bis sie von den Ereignissen hinweggefegt werden und er zugrunde geht. Die Hauptrolle in diesem düsteren, in den USA der 1930er-Jahren angesiedelten Gangsterstudie gehört Tom Hanks, der als Rächer zusammen mit seinem minderjährigen Sohn seinen ehemaligen Brotgeber – die Mafia – ausschalten will. Und damit, unerbittlich, auch seinen Ziehvater (Newman). Zwiespältig und brutal handeln die Figuren in ihrem Antrieb, nur das Beste für sich und die Seinen herauszuholen, und konsequent düster ist der Film aufgemacht: dunkel die Nacht, grau die Trenchcoats, verregnet die verbrecherische Tat. Ein Happy-End, das macht der Film moralisch wie ästhetisch von Anfang an klar, ist auf der Strasse in die Verdammnis («Perdition») nicht zu haben. «This is a life we chose, a life we lead, and there is only one guarantee: None of us will see heaven», sagt der alte Newman seinem Ziehsohn, den er fallenlassen musste, um seinen leiblichen Sohn zu retten. Famous last words.