7 Gründe, warum die Welt mit Jon Stewarts Rücktritt (noch) schlechter wird

Jon Stewart verlässt die «Daily Show». Ein Jammer. Sechs Gründe warum auch Sie darüber traurig sein sollten – und einer, warum ich es bin. Okay, gut 17 Jahre sind eine lange Zeit. Da kann jemand schon einmal auf die Idee kommen, seinen Job zu wechseln. Andere halten es ja kaum drei Jahre am selben Ort […]

Comedian Jon Stewart addresses the crowd during his "Rally to Restore Sanity and/or Fear" in Washington, in this file photo taken October 30, 2010. Comedian Jon Stewart will leave as the host of Comedy Central's satirical show "The Daily Show" later this year, the network said in a statement on Tuesday. REUTERS/Jim Bourg/Files (UNITED STATES - Tags: POLITICS ENTERTAINMENT SOCIETY)

Jon Stewart verlässt die «Daily Show». Ein Jammer. Sechs Gründe warum auch Sie darüber traurig sein sollten – und einer, warum ich es bin.

Okay, gut 17 Jahre sind eine lange Zeit. Da kann jemand schon einmal auf die Idee kommen, seinen Job zu wechseln. Andere halten es ja kaum drei Jahre am selben Ort aus. Aber ER?!? Doch nicht Jon Stewart! Der Gastgeber der «Daily Show», die jeweils vorgegeben hat, erfundene Nachrichten zu verbreiten und dabei der Wahrheit näher kam als die meisten «richtigen» News?

Aber doch, es stimmt, er hat es ja selbst gesagt.

Und Mann, das sind echt schlechte Neuigkeiten. Warum?

7 Gründe, warum die Welt nach Jon Stewarts Rücktritt (noch) schlechter wird:

1. Weil keiner wie er am US-amerikanischen TV für sauber recherchierten Journalismus gekämpft hat.

Ja klar, die «Daily Show» selbst hat immer davon gesprochen, dass sie «fake news» verbreite – erfundene Nachrichten also. Aber in Wirklichkeit war das nur der Aufhänger, um den sogenannt «seriösen» Medien aufzuzeigen, wie viel, meine ältere Tochter wird mich für die Wortwahl rügen, Scheisse sie den lieben langen Tag produzieren.

Allen voran kämpfte Stewart gegen die Bigotterie des erzkonservativen Senders «Fox News» an. Der vermag es, jeder Nachricht einen derartigen Rechtsdrall zu verleihen, dass sich die «Basler Zeitung» dagegen liest wie die Schweizer Ausgabe der kubanischen Staatszeitung «Granma».

«Bullshit Mountain» nennt Stewart seinen Lieblingsgegner Fox jeweils. Zum Beispiel, wenn der mal wieder einerseits Unternehmen dafür lobt, dass sie Steuerschlupflöcher exzessiv ausnützen – und gleichzeitig Menschen Schmarotzer schimpft, die Lebensmittelmarken beziehen müssen und trotzdem Luxusgüter wie einen Kühlschrank besitzen.

Und wie Stewart regelmässig mit dem Fox-Anchorman Bill O’Reilly die rhetorische Klinge gekreutzt hat, das war jeweils auf hohem Debatten-Niveau, das so gar nichts mit dem zu tun hatte, was im deutschsprachigen Raum unter dem Schimpfwort «Comedy» läuft.

2. Weil Jon Stewart die Welt mit den USA versöhnen konnte.

Stewart und seine Show wuchsen gerade da zu einem Fixpunkt am Himmel der intelligenten TV-Unterhaltung, als der Ruf der Vereinigten Staaten von Amerika in der restlichen Welt litt. Da war dieser George W. Bush im Oval Office. Da war der Irak-Krieg, in den die USA mit ihrer Koalition der Willigen zogen, um den Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu verhindern, die es gar nie gab.

In einer Zeit, in der es auch liberale Medien kaum wagten, diesen Feldzug kritisch zu beleuchten, war es mit Stewart ein Komiker, der die härtesten Fragen stellte. Wo waren die Beweise für Massenvernichtungswaffen? Wer profitierte wirklich von diesem Krieg? Konnte man Verteidigungsminister Donald Rumsfeld glauben? Und – wo waren schon wieder die Beweise für die Massenvernichtungswaffen?

2009 wurde Stewart in einer Online-Wahl des «Time Magazine» zum glaubwürdigsten TV-Nachrichtensprecher der USA gewählt. Wie gesagt: Ein Mann, der laut Eigendefinition «erfundene Nachrichten» verbreitete.

Kurz: In einer Zeit, in der Welt ausserhalb der USA vor allem das konservative Amerika zu sehen war, das mit missionarischem Eifer und Kriegsgerät seine Stellung als einzige Weltmacht zu zementieren trachtete, war da auch dieser Stewart. Er bewies, dass die USA auch ganz anders sein können. Dass da ein mindestens so grosser Teil des Landes ist, der nicht aus Kreationisten und Kriegsgurgeln besteht. Kein Wunder, hat unser werter alt Kollege Philipp Loser seine Würdigung beim «Tages-Anzeiger» betitelt mit: «Wie uns Jon Stewart mit Amerika versöhnte».

3. Weil die USA eine Stimme der Vernunft brauchen.

Dass es sozusagen zwei Vereinigte Staaten von Amerika gibt, die konservativen und die liberalen USA, die sich derzeit in ihrem gigantischen Ringen gegenseitig zu ersticken drohen, hat Stewart auch umgetrieben. Als Stewart 2010 zu einer «Demonstration zur Wiederherstellung von Vernunft und/oder Angst» aufrief, kamen über 200’000 Menschen. Für Stewart war es eine Demonstration für den Diskurs mit dem politischen Gegner und gegen die allgegenwärtige Hysterie.

«Fox News» und die Tea-Party mögen Stewarts Lieblingsgegner gewesen sein. Aber im Grunde ging es ihm ganz grundsätzlich darum, Politiker daran zu erinnern, dass es ihre Aufgabe wäre, Probleme zu lösen – und nicht die eigene Macht zu erhalten. Und er erinnerte Journalisten daran, dass es ihr Job wäre, diesen Politikern wirklich auf die Finger zu schauen. Und nicht, einfach jene mit Aufmerksamkeit zu belohnen, die am lautesten brüllen.

Stewart hatte durchaus Einfluss. Mehr, als sein Schnitt von 2,5 Millionen Zuschauern erwarten liess. So lag es auch an seiner Kritik, dass CNN die Sendung «Crossfire» aus dem Programm strich, in der mit der Holzhammer-Methode über Politik gestritten wurde. «Bitte, hört auf damit», sagte Stewart in der Sendung selbst, «ihr verletzt Amerika.» Selten wohl sind zwei TV-Moderatoren in ihrem eigenen Studio kälter erwischt worden.

4. Weil doch sonst niemand in den USA auf die Idee kommen könnte, sich ernsthaft mit der Schweiz auseinander zu setzen.

Gut, vielleicht wäre die Schweiz lieber nie bei Jon Stewart zum Thema geworden. Aber hey! Ein US-Star, der sich ernsthaft mit unserem Land auseinandersetz, das ist doch mal was. Auch wenn es dazu eine Minarett-Abstimmung gebraucht hat.

Und nein, Peter Maurer, der damalige UN-Botschafter der Schweiz wird eher nicht so gerne an seinen Auftritt zurückdenken.

5. Weil jetzt endgültig die Chance vergeben ist, dass jemand bei SRF die Sendung sieht – und endlich eine Generalüberholung Giaccobo/Müller anordnet.

Die Deutschen haben es mal wieder vor uns bemerkt. Stewart nachzueifern ist keine Schande. Lieber gut kopiert als schlecht erfunden. Die «Heute Show» auf ZDF ist ein direkter Klon der «Daily Show». Sie mag nicht immer ganz an das grosse Vorbild heranreichen. Aber auch sie hat als Comedy getarnte Reportagen, die jeder Recherche-Abteilung einer Nachrichtensendung gut zu Gesicht stehen würden.

Und dann kann man sich ja auch von einzelnen Beiträgen, sagen wir mal, «befruchten» lassen. So, wie «die Anstalt», die sich beim unten zu sehenden «Kreuzverhör» von einem Beitrag der «Daily Show» inspirieren liess – die Idee dann aber noch weiter entwickelte.

Eigentlich hätte längst mal jemand vom Schweizer Gebührensender SRF ebenfalls auf die Idee kommen können, Giaccobo/Müller mittels Blaupause der «Daily Show» eine Generalüberholung zu verpassen.

6. Weil niemand so viele grossartige Talente gefördert hat wie Jon Stewart.

Wer da alles unter Jon Stewart in der «Daily Show» aufgetaucht und zu voller Blüte erwacht ist! Steve Carell, der es als Schauspieler inzwischen zu einer Oscar-Nomination gebracht hat. John Oliver, der heute seine eigene Show präsentiert. Und natürlich Stephen Colbert, der am 8. September die Nachfolge des legendären David Letterman in der «Late Show» übernehmen wird.

7. Weil ich jetzt nicht mehr weiss, was ich in der Mittagspause tun soll.

Ja, das mag Sie persönlich jetzt vielleicht nicht umtreiben. Aber nicht wenige Schweizer haben sich via Jon Stewart über das politische Leben in den USA informiert. Wo sonst wollen Sie erfahren, dass in Alabama Pflichtverteidiger minderjährige Schwangere im Namen ihrer ungeborenen Föten vor Gericht ziehen dürfen, um eine Abtreibung zu verhindern?

Aber Halt! Ich entlasse Sie nicht ohne einen Hoffnungsschimmer. Was John Oliver in «Last Week Tonight with John Oliver» macht, könnte die Entzugssyndrome lindern:

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