Kaum zu glauben, aber bereits 17 Jahre ist es her, seit Leonardo DiCaprio als Jack Dawson auf der «Titanic» unterging und zum Hollywood-Megastar aufstieg. Was dem klugen Schauspieler indes noch immer fehlt: Die Ehrung mit dem Oscar. Fünfmal war er nominiert, stets ging er leer aus. Sieben Gründe, warum er ihn längst verdient hätte.
Bereits 17 Jahre ist es her, seit Leonardo DiCaprio als Jack Dawson auf der «Titanic» den Atlantik kreuzte, mit dem Luxusdampfer unterging und zum Hollywood-Megastar aufstieg. Seine Karriere begann indes schon früher (und wurde immerhin mit Nominationen ausgezeichnet), doch nach «Titanic» konnte er sich seine Rollen aussuchen. Und hat dies umsichtig getan: Kaum ein Film, dem DiCaprio in den letzten Jahren dank seines subtilen Spiels und seiner ausgeprägten Wandlungsfähigkeit nicht den Stempel aufgedrückt hätte und ihn so zum Kinoereignis machte. Die Ehrung mit dem Oscar fehlt ihm – trotz fünfmaliger Nomination – noch immer. Sieben Gründe, warum er ihn längst verdient hätte.
1. «What’s Eating Gilbert Grape» (1993)
«Gilbert Grape» war mit seiner melancholischen Grundstimmung einer der prägenden Filme der Generation Grunge, und Johnny Depp etablierte mit der Hauptrolle seine Reputation als Charakterdarsteller. Für den fast zehn Jahre jüngeren DiCaprio bedeutete die Nebenrolle als geistig behinderter Teenager indes den ersten bedeutenden Karrierekick. DiCaprio, damals erst 19 Jahre alt, spielte den Jungen mit einer beeindruckenden Glaubwürdigkeit und Spontanität. Für die Vorbereitung auf die Rolle verbrachte DiCaprio mehrere Tage in einer Schule für geistig zurückgebliebene Kinder. Für die Rolle erhielt er seine erste Oscar-Nominierung.
2. «Jim Carroll – The Basketball Diaries» (1995)
1978 sorgte Jim Carroll mit der Veröffentlichung seiner poetisch stilisierten Tagebücher über eine Jugend in den 1960er-Jahren auf den Strassen von New York für eine literarische Sensation. Carrolls biografische Schrift war Underground-Prosa von düsterer Offenheit, die seinen Werdegang vom umjubelten und abgehobenen Basketball-Talent aus New York zum Drogenwrack nachzeichnet – eine tragische Umkehrung des American Dream. Die filmische Umsetzung von Videoclip-Spezialist Scott Kalvert verzichtet grösstenteils auf die Härte der Buchvorlage und schafft es nur mühevoll, die episodisch gehaltenen Tagebücher Carrolls zu einem filmischen Strang zu bündeln. Höchstlob erhielt der Film jedoch für DiCaprios Darstellung der Hauptrolle, die – assistiert von einem ebenfalls gross aufspielenden Jungtalent namens Mark Wahlberg – die Fragilität der Figur mit starker Mimik und zittrigem Spiel transparent macht. DiCaprio war da erst 20 Jahre alt, untermauerte nach «Gilbert Grape» zum zweiten Mal, wie gekonnt er sich schwierige Rollen, die starken Ausdruck verlangen, aneignen kann. Es sollte nicht der letzte gemeinsame Auftritt von DiCaprio und Wahlberg sein: Zehn Jahre später standen sie für «The Departed» erneut vor der Kamera, diesmal unter der Ägide von Martin Scorcese. Eine fruchtbare Zusammenarbeit.
3. «The Aviator» (2002)
Mit «Titanic» wurde DiCaprio zum Superstar, erhielt aber auch das Image des Teenagerschwarms aufgedrückt. Die ab den Nullerjahren intensivierte Arbeit mit seinem Lieblingsregisseur Martin Scorsese trug dazu bei, wieder seine Qualitäten als Charakterdarsteller in den Vordergrund zu stellen. «The Aviator», die nach «Gangs of New York» zweite Kooperation der beiden, ist ein gigantomanes Schwergewicht: das Leben des exzentrischen Milliardärs und Flugpioniers Howard Hughes, der einem zwangsneurotischen Verhalten verfällt. Es ist eine grosse amerikanische Biografie ganz nach dem Geschmack von Scorsese mit einer Laufzeit von fast drei Stunden. DiCaprios Darstellung führt zu einer weiteren (erfolglosen) Oscar-Nominierung.
4. «Catch Me if You Can» (2002)
Und wieder ein Film, der auf einem biografischen Bericht beruht. «Catch Me if You Can» ist die irre Geschichte des jungen Hochstaplers Frank Abagnale Jr., der scheinbar mühelos in die verschiedensten Rollen schlüpft und seine Umgebung täuscht, bis er verhaftet wird und zukünftig der Polizei bei der Aufdeckung von Scheckbetrügereien hilft. Eine erstaunlich lässig erzählte Fingerübung von Steven Spielberg mit einem DiCaprio, der das tut, was er am besten kann: derart stilsicher schauspielern, dass die jeweilige Umgebung ihm die Rolle abnimmt.
5. «Inception» (2010)
Dass solche Filme noch Kassenschlager werden können, lässt hoffen für die Blockbuster-Maschine Hollywood. «Inception» von Christopher Nolan ist eine virtuose Regiearbeit und ein visionäres Filmereignis. Den Star-Status teilt sich DiCaprio hier mit der Grundidee der Story: eine vom US-Militär entwickelte Technologie der Traumbeeinflussung, die ermöglicht, Träumende in immer verwinkeltere Traum-im-Traum-Konstellationen hinunter zu zerren und damit auf ihr Unterbewusstsein zuzugreifen – bis hinunter in den immerwährenden Limbus, aus dem das Bewusstsein keine Rückkehr mehr findet. Eine Verbeugung vor der gauklerischen Qualität des Kinos, die nicht freigibt, wo Realität und Traum sich scheiden, eingebettet in das handwerkliche Action-Können von Christopher Nolan.
6. «J. Edgar» (2011)
Ein Verbrechensbekämpfer mit revolutionären Mitteln – oder ein ideologisch getriebener Hetzer gegen Andersdenkende? J. Edgar Hoover, der Gründer und langjährige Leiter des amerikanischen Inlandgeheimdienstes FBI, ist eine zeitgeschichtlich zwiespältige Figur, die auch Clint Eastwoods Biopic bewusst nicht auflöst. Er treibt die wissenschaftliche kriminalistische Arbeit voran und setzt damit globale Standards, setzt sich gleichzeitig über Bürgerrechte hinweg und plant Intrigen gegen öffentliche Personen wie Martin Luther King, die nicht seinem Werte- und Gesellschaftsverständnis entsprechen. Am nuanciertesten stellt sich das Gespaltene dieser Persönlichkeit indes in seinem Gefühlsleben dar: Tritt er öffentlich als Scharfmacher gegen Homosexuelle auf, pflegt er bis ins hohe Alter eine unausgelebte Liebesbeziehung zu seinem langjährigen Assistenten. DiCaprio spielt Hoover als einen Manipulator, der sich bis ans Ende selbst belügt und in Bitternis stirbt, und entsorgt damit endgültig den Nimbus des (ehemaligen) Teenagerschwarms. Als Greis mit Halbglatze, Bauch und Hängebacken.
7. «The Wolf of Wall Street» (2013)
Scorcese/DiCaprio, das fünfte und beste Treffen. DiCaprio hat in den Jahren zuvor mit Nolan, Ridley Scott, Quentin Tarantino, Baz Luhrmann oder Sam Mendes – also mit einigen der renommiertesten US-Regisseure – zusammengearbeitet. Aber mit keinem anderen bringt er solche larger-than-life-stories hervor. «The Wolf of Wall Street» ist der bissige Kulminationspunkt einer langjährigen gegenseitigen Wertschätzung zweier Hollywood-Giganten. Auch DiCaprios jüngster Film ist eine auf drei Stunden ausgebreitete, jedoch im Vergleich zu «The Aviator» nie erlahmende Reflexion eines Stücks amerikanischer Geschichte. Diesmal des enthemmten Kapitalismus der Achtziger- und Neunzigerjahre im Spielfeld des Börsenhandels, geprägt von Sozialchauvinismus, enthemmter Gier und zynischem Hedonismus. Der Film geht auf die Erinnerungen des früheren Aktienhändlers Jordan Belfort zurück, den DiCaprio als Prototyp des gewinnenden Verkäufers spielt: blendendes Aussehen, mitreissende Rhetorik, manipulatives Talent. Am Ende geht zwar sein Lebenswerk den Bach runter und Belfort landet (kurz) im Knast, aber eine moralisches Happy-End erlaubt sich der Film nicht, weil auch das echte Leben manchmal die grössten Unsympathen laufen lässt. Belfort arbeitet mittlerweile als Unternehmensberater und Motivationstrainer und verdient wieder gutes Geld, ohne die Schadensumme seiner Maklertätigkeit je beglichen zu haben. Ein Novum für DiCaprio: den Sadisten, den Psychopathen, den Soziophoben – all diese negativen Charaktere mit ihren psychologischen Abgründen spielte er schon. Hier mimt er schlicht einen ätzenden Widerling. Meisterhaft, einmal mehr. Nur der Oscar, der wartet noch immer.