Der Vietnamkrieg kollidierte mit einer Zeit in der Hollywood auf der Suche war nach realistischeren Stoffen und Charakteren. Entstanden ist ein eigenes Subgenre im Film geschaffen: 7 herausragende Beispiele.
Der Vietnamkrieg, der als Indochina-Krieg begann, ging vor 40 Jahren zu Ende. Er war der längste bewaffnete Konflikt seit dem Zweiten Weltkrieg, und er war der erste Krieg, der über das Fernsehen und via Fotoreporter bis in die Wohnzimmer vordrang – mit völlig unzensierten Bildern.
Journalisten konnten sich im Kriegsgebiet frei bewegen und sogar die Strukturen der US-Armee nutzen, was heute völlig undenkbar ist. Schon früh hat das Publikum zu Hause das Grauen des Krieges in Bildern serviert erhalten. Der Protest gegen den Krieg überlagerte sich dabei mit den Anliegen der amerikanischen Gegenkultur zu einem sozialen Brennstoff, in dem Bürgerrechtsbewegung, Hippie-Kultur, Antikriegsmärsche und die politische Emanzipationsbewegung «’68» sich vermengten.
Der US-Film hat, gerade zur Zeit von New Hollywood, als die Traumschmiede neue, realistischere und weniger heldenhaft aufgemachte Stoffe und Charaktere suchte, früh die Abgründe von «’Nam» entdeckt. Und dabei ein neues Subgenre geschaffen: den Vietnamfilm.
1. «Good Morning Vietnam» (1987)
Ein eher lockerer Aufgalopp für die Liste: Radiomoderator Adrian Cronauer (Robin Williams) wird 1956 nach Vietnam geschickt, um die dort stationierten US-Soldaten in Laune zu halten. Sein jovialer Sinn für Humor und seine Vorliebe für Rock’n’Roll machen ihn schnell zum Liebling seiner Hörer, zum Helden der Truppen, und zum Ärgernis seiner direkten Vorgesetzten. Als Cronauer mit der Ungerechtigkeit des Krieges konfrontiert wird, droht ihm das Lachen allerdings schnell zu vergehen: um ihn explodieren Bomben, er entgeht knapp einem (nicht ihm geltenden) Anschlag, und eine junge Vietnamesin, die er kennenlernt, lehnt ihn ab. Zu gross sind die Gräben.
Gross war auch die Dichtung der Script-Autoren: Der Film basiert in seinen groben Zügen auf einer wahren Biografie, der echte Cronauer bemängelte jedoch, dass nur 45 Prozent des Films der Realität entsprachen. Fürs Kino gab’s etwas mehr Drama, vor allem aber etwas mehr Witz: «Good Morning Vietnam» ist eine nicht allzu bedrückende Side-Story des brutalen Krieges, getragen vom kürzlich verstorbenen Robin Williams in einer seiner ersten grossen Rollen.
2. «Apocalypse Now», 1979
Ein Monster. Ein Höllentrip. Eine surreale Reise ins «Herz der Finsternis», wie es der Titel der Buchvorlage von Joseph Conrad versprach. Francis Ford Coppola, nach seinen Erfolgen mit den ersten beiden Teilen von «The Godfather» auf dem Gipfel seines Selbstvertrauens, plante einen Film-Koloss, der «reif genug für den Friedensnobelpreis» sein sollte. Eine Seelenschau in die Abgründe des Menschen, eine psychotherapeutische Auseinandersetzung mit dem Bösen, getüncht in die Farben der Katerjahre nach dem Kollaps der Flower-Power-Illusion. Anstatt in den Kongo, wie Conrad in seinem Roman, schickte Coppola einen Tross US-Soldaten während des Vietnamkriegs in den abgelegenen Dschungel Kambodschas, um einen abtrünnigen Colonel aufzuspüren und zu eliminieren.
Betreffend Genre ist Coppolas Monumentalwerk also am ehesten ein Road-Trip, an dessen Ende der Wahnsinn wartet. Die Suche des Captain Willard (Martin Sheen) nach Colonel Kurtz (Marlon Brando) führt mitten durchs Fegefeuer, durch Napalmsalven mit Wagner-Dröhnung, in das bewaffnete Refugium einer hörigen Sekte, und schliesslich tief in die Psyche eines gemarterten Ex-Soldaten, den die Sinnlosigkeit und die Gewaltexzesse dieses Krieges zu einem Tyrannen aus Überzeugung gemacht haben.
Kaum ein Film zuvor hat sich wie «Apocalypse Now» – und vor allem die verlängerte Version «Apocalypse Now Redux», die 20 Jahre später in die Kinos kam – derart intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, was die entfesselte Gewalt mit dem Menschen macht – nicht nur mit dem Opfer, sondern auch mit dem Täter. Über ein Jahr Produktionszeit hat Coppola seinem Staff am Drehort im philippinischen Dschungel abverlangt. Eine Zeit der Extreme: Coppolas Frau hat darüber eine Dokumentation gedreht, in der deutlich wird, wie das Filmteam auf der Suche nach dem menschlichen Wahnsinn selbst fast diesem anheim fiel. «Wir waren im Dschungel. Wir waren zu viele. Wir hatten Zugriff auf zu viel Geld, zu viel Ausrüstung – und nach und nach wurden wir wahnsinnig», resümiert der Chef.
3. «The Deer Hunter» (1978)
Ein Jahr vor Coppolas Koloss erschien «The Deer Hunter», der den Ton für den Grossteil der folgenden Vietnam-Filme setzen sollte: Filme, die keine Heldengeschichten mehr erzählen, sondern im kritischen Geist von New Hollywood Charaktere mit all ihren Widersprüchen abbilden. «The Deer Hunter» ist, anders als Coppolas Werk, kein Kriegsfilm über die Brutalität und Sinnlosigkeit des Kriegsalltags, sondern über die tiefen Spuren, die er hinterlässt.
Schon drei Jahre nach dem Ende des Vietnamkriegs erschienen, brachte der Film als einer der ersten einen Eindruck des psychischen Horrors und der seelischen Verwerfungen auf die grosse Leinwand, die junge Soldaten aus Vietnam zurückbrachten, und die danach kaum mehr den Einstieg in die Gesellschaft schafften. Dafür brauchte es Charakterdarsteller, und die hatte der Film: Robert De Niro, Christopher Walken und John Savage spielten die männlichen Hauptrollen, grossen Applaus gab es ausserdem für Meryl Streep, die in einer ihrer ersten Rollen gleich den Oscar als beste Nebendarstellerin erhielt.
4. «Hair», 1979
Die Botschaft: Singen, Tanzen, Trips einwerfen – alles in Ordnung, solange man rechtzeitig den Absprung schafft. Ansonsten kommt man im Sarg zurück. So geschehen George Berger, dem charismatischen Anführer einer Hippie-Gang: Weil er einem Kumpel auf der Armeebasis ein paar Stunden mit einem Mädchen gönnen wollte, nahm er stattdessen in der Uniform dessen Platz ein – und wurde prompt nach Vietnam in den Krieg geflogen. Milos Formans Adaption des bis heute beliebten Flower-Power-Musicals bietet, im Unterschied zur Bühnenversion, kaum Einblicke in die sozialen Utopien der Gegenbewegung der Swinging Sixties, ignoriert die politische Seite der Antikriegsbewegung, die eng mit der Hippie-Ära verbunden war, und bietet stattdessen ein etwas gar niedliches bis infantiles Gang-Feeling.
«’Nam» steht hier nicht nur für die zwar meist abwesende, jedoch stets lauernde Schrecknis des Krieges, sondern stellvertretend für alles, wogegen es sich anzutanzen lohnt: verkrustete Traditionen, den Autoritarismus der Staatsmacht, die gesellschaftliche Elite – und überhaupt jede Form von Angepasstheit. Überzeugend hingegen noch heute: die umwerfende Choreographie, die der Geschichte einiges mehr Stoff verlieh als die stumpfe Handlung – und der Sound: Sixties-Hymnen, opulent umgesetzt mit Elementen des Soul, des Gospel, und des psychedelischen Rock. Soundtrack einer Ära, der bis heute die Hippie-Kultur verkörpert.
5. «Full Metal Jacket», 1987
Der Brite Stanley Kubrick hat den Vietnamkrieg vergleichsweise spät entdeckt. Als «Full Metal Jacket» 1987 in die Kinos kam, schwiegen die Waffen bereits seit fast 15 Jahren, das Kino hat jedoch bereits das Bild von ihm als einen falschen, unverständlichen und unkontrollierten Krieg geformt. Kubrick setzte seinen Film aus zwei Romangrundlagen zusammen, und die Zweiteilung hat dem Film seine Form gegeben. In Erinnerung bleibt vor allem die erste Hälfte: In einem Trainingscamp für angehende Vietnam-Soldaten zermürbt ein autoritärer Schinder, Sergeant Hartmann, jeden individuellen Rest und jedes Selbstwertgefühl der jungen Männer. Und das mit einem derart dreckig obszönen Fluch- und Schimpfvokabular, dass jede Lust nur noch als verformte Gewaltfantasie spürbar ist. Der Umbau von jungen Männern in Kampfmaschinen durch den Drill, die sich schliesslich gegen sich selbst richten – selten hat man diese Analyse mit einer solch obsessiven Sorgfalt gesehen wie bei Kubrick. In «Full Metal Jacket» steht weder der Vietnamkrieg als spezifisches Ereignis noch die politischen oder militärischen Entscheidungsträger in der Kritik, sondern Uniformierung und die Erziehung zur Gewalt als solche.
6. «Born On The Fourth Of July», 1989
Das Trauma der Zurückgekehrten: Ron Kovic geht als junger Mann zu den Elitetruppen der Marines, rückt voller Kampfeslust und patriotischer Verblendung ein nach Südostasien – und kehrt gebrochen zurück. Als Soldat erlebt er ein Massaker seiner Einheit an der vietnamesischen Zivilbevölkerung, erschiesst in «Friendly Fire» versehentlich einen Kameraden und wird schliesslich derart schwer verwundet, dass er nur im Rollstuhl heimkehrt. Da hat sich die Meinung der amerikanischen Öffentlichkeit über den Krieg bereits zu wandeln begonnen, die Heimkehrenden werden nicht als Helden, sondern als Beteiligte in einem unnötigen und ungerechten Krieg empfangen.
Kovic endet fast wie andere zerrüttete Heimkehrer als Säufer, die sich nur noch mit Prostituierten abzugeben vermögen, bis er doch noch die Kurve kriegt und sich, als Veteran, vehement gegen den Krieg einzusetzen beginnt. Der Film von Oliver Stone, nach «Platoon» und vor «Heaven & Earth» der zweite seiner Vietnam-Trilogie, ist keine reine Fiktion, sondern basiert auf Kovics Autobiografie mit demselben Titel. Stone, selbst ein Vietnamkriegsveteran, hat die Filmrechte des Stoffs sogleich gekauft – und damit nicht nur den zentralen Film über die kathartischen Erfahrungen der Rückkehrer und die Opposition der Veteranen gegen den Krieg gedreht, sondern dazu noch den Hauptdarsteller Tom Cruise zu einer beeindruckend überzeugenden Performance getrieben. Eine grosse Leistung.
7. «Three Seasons», 1999
Den grössten Schaden des Vietnamkriegs trugen natürlich nicht die Amerikaner, sondern die vietnamesische Bevölkerung davon. Es erstaunt daher, wie schnell die beiden Länder eine gemeinsame diplomatische (und vor allem wirtschaftliche) Basis gefunden haben. Die vergleichsweise rasche Annäherung war eine Folge des vietnamesischen Doi-Moi-Programms, das nach dem Scheitern der planwirtschaftlichen Doktrin durch den siegreichen kommunistischen Norden in den 1980er-Jahren das Ziel einer sozialistischen Marktwirtschaft verfolgte. In dessen Folge wurden auch differenziertere Kino-Arbeiten über den Krieg gegen den imperialistischen Westen möglich.
«Three Seasons» des damals erst 26-jährigen US-vietnamesischen Regisseurs Tony Bui ist einer der bekanntesten: Der Episodenfilm dreht sich um ein noch immer erschüttertes Land, das den schnellen Sprung von entbehrungsreichen Kriegsjahren über die kommunistische Orthodoxie hin zu einer kapitalistisch orientierten Wirtschaftsgesellschaft gemacht hat, doch immer wieder von Geistern der Vergangenheit heimgesucht wird. Einer davon ist der ehemalige amerikanische GI James Hager (Harvey Keitel), der in Vietnam gedient und eine Tochter hinterlassen hat. Während er sie sucht, dämmert er in den Kneipen von Ho Chi Minh City herum, einer Stadt, die nicht mehr dieselbe ist, und die auch ihn verändert hat. Ein tief melancholischer Film in einem langsamen Tempo und mit kontrastierenden, prachtvoll gefärbten Szenen, der am Sundance-Festival mit dem Publikum- wie Kritikerpreis ausgezeichnet wurde.
_
Die TagesWoche widmet dem Ende des Vietnamkriegs vor 40 Jahren einen Schwerpunkt – mehr dazu im Dossier.