7 neue Chansons mit Charme

Am Mittwochabend gab die französische Gruppe Nouvelle Vague, die mit gesäuselten New-Wave-Klassikern erfolgreich wurde, ein Konzert in der Kaserne Basel. Aus diesem Anlass erinnern wir an sieben wichtige Stimmen des Nouvelle Chanson. Im Nouvelle Chanson standen Nouvelle Vague stets etwas im Abseits. Stilistisch passte das volatile Projekt um Marc Collin und Olivier Libaux, zwei DJs […]

Mélanie Pain.

Am Mittwochabend gab die französische Gruppe Nouvelle Vague, die mit gesäuselten New-Wave-Klassikern erfolgreich wurde, ein Konzert in der Kaserne Basel. Aus diesem Anlass erinnern wir an sieben wichtige Stimmen des Nouvelle Chanson.

Im Nouvelle Chanson standen Nouvelle Vague stets etwas im Abseits. Stilistisch passte das volatile Projekt um Marc Collin und Olivier Libaux, zwei DJs und Produzenten aus der französischen Electropop-Szene, zwar ins Raster der neuen «scène française». In dieser wurde seit dem Jahrtausendwechsel der französische Chanson mit einem deutlichen Rekurs auf Serge Gainsbourg und Georges Brassens, auf Françoise Hardy und Juliette Gréco neu erschlossen, jedoch mit zeitgenössischen Mitteln kontrastiert: mit feinfühligem Elektropop, mit Spuren aus Latino und dem Afrobeat oder mit den entspannenden Soundflüssen für die Lounge. Auch Nouvelle Vague bezirzen mit dem charmevollen Hauchgesang der Sängerinnen und einem leichten Instrumentarium aus gestreichelten Gitarren, dezenter Bossa Nova und einem sanften Brummen aus dem Synthesizer. Das Projekt, das es in loser Folge bisher auf vier Alben brachte, belegt dennoch immer eine etwas zwiespältige Position innerhalb der französischen Musikszene. Erstens singen sie in Englisch und Französisch – und zweitens, was ihren Erfolg auch ausserhalb Frankreich erklärbar macht, schreiben sie keine eigenen Lieder, sondern spielen nur Coverversionen von Klassikern des Punkrock und New Wave. Live zu hören am 2. Oktober in der Kaserne Basel.

1. Nouvelle Vague: «Teenage Kicks»
Mélanie Pain ist die bekannteste und treuste Stimme unter den verschiedenen Sängerinnen von Nouvelle Vague. «Teenage Kicks», der grösste Hit der nordirischen Punkrocker The Undertones, konzentriert alles, wofür Nouvelle Vague stehen: Flockige Trällerei, etwas Gitarrengezupfe und einen Beat, den man mit dem Apéroglas in der Hand mitklöpfeln kann. Nouvelle Vague reanimierten neben Schwergewichten des Genres wie Sex Pistols und The Clash auch Songs von Joy Division, Bauhaus, Depeche Mode oder der Schweizer Grauzone und allem anderen, was in den Achtzigern zum guten Ton gehörte und zu verbleichen droht. Nouvelle Vague, das darf man honorieren, trugen damit ihren Anteil bei zur Transferleistung einer Musikära in die Gegenwart – und das mit einem Sound, der dank regelmässigen neuen Mitgliedern des Kollektivs variabel und anschlussfähig an jüngere Hörer blieb. Für Mélanie Pain fungierte Nouvelle Vague zudem als Talentschmiede: Nach mehreren Touren lancierte die studierte Politikwissenschaftlerin ihre Solokarriere, die bisher zwei Alben abwarf und sich musikalisch stärker am Folk eines Nick Drake oder Leonard Cohen orientiert.

2. Dominique A: «Le courage des oiseaux»
Der Nouvelle Chanson begann nur zu Teilen in der Metropole Paris. Als Ort dieser Neuerweckung gilt heute die nahe an der Küste gelegene Stadt Nantes. Dort wurde 1992 das Label «Lithium» gegründet, und dort veröffentlichte Dominique A im selben Jahr den Song «Le courage des oiseaux», der zu einem Minihit wurde. Das kurze und karge Lied nahm mit seinem Elektrobass den tanzbaren Pop bereits vorweg, der den Chanson später noch intensiv begleiten sollte. Mit Dominique A und anderen Veröffentlichungen von «Lithium» wurde Nantes kurzzeitig zu einer kleinen gefeierten Kapitale des zeitgemässen Chanson, bis die Hauptstadt darauf aufmerksam wurde. Die Songideen von Dominique A waren seither von Françoiz Breut oder auch Jane Birkin gefragt, sein atypischer Zugang zum Chanson beeinflusste unter anderem den Sound von Yann Tiersen. Seinen prägenden Hit aus dem Jahr 1992 spielt Dominique A immer noch, allerdings zeigt diese Liveversion, dass sich dieser Pate des Nouvelle Chanson nicht im geringsten auf eine bestimmte Ästhetik beschränken lässt: Aus dem kleinen Discohit ist nun ein Rocksong geworden.

3. Françoiz Breut: «Le ravin»
Auch Françoiz Breut entstammte der Szene aus Nantes – Dominique A hat von Beginn an Lieder für sie geschrieben. Breut hat, was ungewöhnlich ist, 1997 gleich mit ihrem ersten Album Interessenten aus dem Ausland angezogen. Calexico und The Walkabouts griffen ihre Lieder auf, Howe Gelb von Giant Sand schrieb mit «Letter to Françoise» gleich eine Ode an sie. Bewunderung erfährt sie ausserdem von derart unterschiedlichen Namen wie Portishead, The Go-Betweens, den Tindersticks. «Als habe sich Morrissey in eine Französin verwandelt», applaudierte die deutsche «Zeit», und auch wenn die spröde, dunkle Stimme Breuts nur um ein paar Ecken an den schmetternden Zyniker aus Manchester erinnert, so eint sie der pessimistische Grundton. Mit dem klassischen Chanson hat das nur noch als Zitierstelle zu tun, wenn sie sich etwa «Le premier bonheur du jour» von Françoise Hardy aneignet. «Une Saison Volée», ihr drittes Studioalbum, von dem «Le ravin» stammt, bedeutete 2005 nicht nur die stilistische Erweiterung zu Trip-Hop oder Country, sondern auch eine Emanzipation im Songwriting: mittlerweile schreibt sie das Material zu ihren – spärlich erscheinenden – Platten selbst.


4. Benjamin Biolay: «Rose Kennedy»
Benjamin Biolays Debut «Rose Kennedy» war 2001 kaum erschienen, da hatte er bereits ein gewaltiges Gewicht zu stemmen. In ihm glaubte die französische Presse endlich den würdigen Nachfolger für den zehn Jahre zuvor verstorbenen Serge Gainsbourg gefunden zu haben. Biolay war damals 29 Jahre alt, doch als Komponist und Produzent hatte er sich bereits Respekt verschafft. Zudem war er damals mit Chiara Mastroianni verheiratet und als solcher Schwiegersohn von Cathérine Deneuve. Das – und sein nuschelnder Sprechgesang sowie seine Erscheinung des eleganten Dandys – reichte, um eine Hysterie um ihn zu entfachen. Begonnen hat Biolay mit verschwenderisch üppigen, der Melancholie verfallenen Balladen, auf seinem neusten Album «Vengeance» entwickelt er seine Versuche des Elektrowave, der Hip-Hop-Beats und des Soul weiter. Geblieben sind die seit zehn Jahren andauernden Gainsbourg-Vergleiche, was im französischen Pop kein schlechter Status ist. Und geblieben ist auf «Vengeance» ausserem die dem Chanson unausradierbar eingeschriebene Inspiration, dem rachsüchtigen Titel zum Trotz: die Liebe, die gewesene vor allem.

5. Mickey 3D: «Réveille-toi»
Nouvelle Chanson hat sich als erzwungener Sammelbegriff für den französischen Pop um die Jahrtausendwende eingebürgert, weil der Terminus sich als Gegenentwurf zum angloamerikanisch geprägten Pop stilisieren liess. Wie sehr der Schub geprägt war von einem kulturalistischen Wunschdenken (und von einer in den Neunziger Jahren durchgesetzten Radioquote), entlarvten das Trio Mickey 3D mit spitzer Ironie durch ihr Erfolgsalbum «Matador». Der Titel erinnerte an das New Yorker Label gleichen Namens, das auf schroffen, dennoch melodiebewussten Indierock spezialisiert war. Dazu hätten Micky 3D gut gepasst, wie das Titelstück vordemonstriert. Dass das Trio um den Sänger Mickaël Furnon dennoch zu den erweiterten Gewässern des Chanson gehört, zeigen nicht nur das hier ausgewählte «Réveille-toi», das ausnahmsweise von Najah El Mahmoud, der Syntie- und Akkordeonspielerin der Band, gesungen wird, sondern auch die verschiedenen Coprojekte von Furnon mit der französischen und frankophonen Szene. Vanessa Paradis gehörte dazu, auch Jane Birkin – und Stephan Eicher.

6. Carla Bruni: «Quelqu’un m’a dit»
Madame la ex-Présidente hat die Musik mehrere Jahre wegen des Aufstiegs in den Elysée-Palast sein lassen, davor sang Carla Bruni jedoch höchst erfolgreich ihre Chansons. Ihr erstes Album «Quelqu’un m’a dit» setzte 2002 sofort über eine Million Exemplare ab, stieg auf den obersten Platz der französischen Charts und fand auch rechts des Rheins grosse Beachtung. Dass hier nicht nur der Glamour des früheren Supermodels verlängert strahlte, konnte man in den Liner Notes nachlesen: Text und Musik stammte komplett von Bruni selbst – das gilt übrigens nicht für ihre ersten veröffentlichten Lieder. Zwei Jahre zuvor schrieb sie für Julien Clerc sechs Lieder, die ebenfalls von der Spitze der französischen Charts grüssten. Vor wenigen Wochen, zusammen mit ihrem Mann Nicolas Sarkozy aus dem Elysée-Palast wieder entlassen, «durfte» sie wieder Musik veröffentlichen. «Little French Songs» heisst das neue Album, ein transparenter Titel: elf Chanson-Petitessen über Liebesbetrachtungen und einigen politischen Drive-By-Shoots.

7. Brigitte: «Battez-vous»
Zehn Jahre nach der grossen Renaissance des Chanson hält die Diversifizierung weiter an. Einer der jüngsten Exportschlager ist das Duo Brigitte, und das ganz wortwörtlich. Aurélia Saada und Sylvie Hoarau polieren auf ihrem Debut «Et vous, tu m’aimes?» (2011) leichtfüssige Schlagermelodien mit einer Hippie-Ästhetik und viel kokettem Charme auf. Dass ihr Gestöbere in der Poptradition der Grand Nation nicht bei Gainsbourg und Mireille Mathieu endet, zeigen indessen die Zwischentöne aus schrillem Wave à la Les Ritas Mitsouko – und die Neuinterpretation von «Ma Benz». Das Stück stammt ursprünglich vom Hardcore-Rap-Kollektiv Suprême NTM aus den Pariser Banlieues.

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