Wir mögen Filme mit Abenteuern. Eines der Abenteuer im Film ist – das Altersheim. «A Simple Life», der demnächst im Stadtkino kommt ist so ein Abenteuer.
Die Reise zu den Alterspyramiden
Vor zwei Jahren schockierte der japanische Chemie-Konzern Unicharm die Welt mit der Mitteilung, dass er im laufenden Jahr mehr Senioren-Windeln verkauft habe als Baby-Windeln. Für Pensionäre hiess das aufatmen: Die Zeiten rücken näher, da eine stabile Mehrheit von Übersechziggjährigen an der Urne Rollatorwege, Langsamtrams und Trinkhalmpflicht in rauchfreien Kneipen durchsetzen werden.
Untersechzehnjährige Aktionäre haben aber auch Grund zu jubeln: Die UNICHARM-Aktie ( Valor 764014 bzw. ISIN JP3951600000) setzt zum Steilflug an. Wer sie heute kauft, hat überüberübermorgen genügend Kohle, um sich eine Alters-Windel zu leisten.
Wer je eine Windel zu Normalpreis gekauft hat – ob Baby oder Senior, weiss, dass der Unicharm-Aktienkurs weiterhin abgehen wird – es sei denn, es bilde sich eine Windeln-Aktien-Blase. Babys waren seit Alters her für die Industrie ein Geschäft. Das allerjüngste Geschäft heisst: Alter!
Altersheimweh
Das Altersheim taucht immer öfter im Film auf. Das erstaunt nicht. Altersheim ist eine Zukunftsbranche: In vierzig Jahren könnte – je nach Zuwanderung – mehr als die Hälfte der Schweizer in Altersheimen wohnen. Gut dass wenigstens Filme uns darauf vorbereiten. Einer läuft demnächst, ab 15.5., im Stadtkino: «A Simple Life». Sieben Gründe, sich den chinesischen Film anzuschauen – schon im Voraus. Ein Bericht über den Film folgt:
«The Best Exotic Marigold Hotel»
«The Best Exotic Marigold Hotel» – von John Madden
Er zeigt eigentlich eine Urlaubsreise, die am Urlaubsort Altersheim endet: Dass das Altersheim ausschliesslich von indischem Pflegepersonal geführt wird, ist die hübsche Ironie des Films: Kein Wunder ist das so, steht doch das Altersheim in Indien – ein heruntergekommenes Hotel. Die sieben britischen Protagonisten dieses Films, die alle – mehr oder weniger gezwungenermaßen – in der ehemaligen britischen Kolonie landen, sind auch alle bereits Rentner. Sie finden das, was unsere Grosseltern in der Schweiz heute auch finden: einen Lebensabend in einer Art Ferienresidenz – in der Obhut von billigen Auswanderarbeiterinnen. Doch sind die Rentner selber Auswanderer, und lernen nun eine ganz andere Lebensfreude kennen.
Regisseur John Madden, insbesondere bekannt durch «Shakespeare in Love» lässt eine Ensemble von älteren Mimen (Judi Dench, Penelope Wilton, Maggie Smith) zu grosser Form auflaufen: Sonny, der indische Gerant des heruntergekommenen Heimes versprüht jene Form von Lebensfreude (Dev Patel, bestens bekannt als «Slumdog Millionär»),bringt jene Farbenpracht, die man in Altersheimen meist nur auf der Leinwand sieht. «Best Exotic Marigold Hotel» ist nicht nur für Senioren überaus empfehlenswert. Auch für Senioren-Pflegerinnen.
«Et si on vivait tous ensemble?»:
«Et si on vivait tous ensemble?» – von Stéphane Robelin.
Der Franzose erzählt von fünf engen Freunden, die in die Jahre gekommen – immer mal zusammen kommen. Claude (Claude Rich), der Schwerenöter, Annie (Geraldine Chaplin), die bürgerlich Angepasste, Jean (Guy Bedos), der politische Aktivist, Jeanne (Jane Fonda), die Feministin und Albert (Pierre Richard), der Bonvivant. Sie wollen ihren Kindern beweisen, dass man noch lange nicht bereit ist, die Selbständigkeit aufzugeben. Also machen die fünf einen auf Alters-WG. Um das Leben in der Wohngemeinschaft leichter zu gestalten, heuert Jeanne den jungen Student Dirk (Daniel Brühl) an. Damit ist aber noch lange nicht das ideale Altersheim erfunden worden. Eher werden da Erinnerungen an das Studentenleben wach.
«Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand»
«Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand» – von Felix Herngren
Eben noch in den Basler Kinos bewundern kann man eine wunderbar schräge Altersheimflucht. Allan Karlsson (Robert Gustafsson) hat das, lebt das, was wir immer schon bei Alten vermutet haben wie ein Kind: Weisheit. Auch wenn seine Weisheit einfach ist: «Die Dinge sind, wie sie sind. Und: «Es kommt ohnehin, wie es kommt». Da Allan auch gerne mal was in die Luft sprengt, kommt noch eine Weisheit dazu: «Einen Rasensprenger kann auch ein Rentner bedienen». Allan nimmt reißaus. Bald ist er im Besitz eines mehr oder weniger versehentlich gestohlenen Koffera, und auf der Flucht vor Polizei, Gaunern, und den Betreuern aus dem Altersheim. Wer also partout ein Kind bleiben will, oder besser noch, so rasch wie möglich wieder eins werden, findet hier hundert Minuten Film.
«Quartett»:
«Quartett» – von Dustin Hoffman
Der 75-jährige Dustin Hoffman beweist gleich mehrfach, dass man nie für etwas zu alt sein muss. Mit seinem Regie-Erstling «Quartett» erzählt er unaufgeregt und mit fast altmodischem Charme von den Bewohnern eines Altersheims. Wie in der «Casa Verdi» – s.u. – werden im «Beecham House» alte Opernsänger und Musiker beherbergt. Sie alle hängen alten Zeiten nach, und einer Musik, die ihr Leben war.
Vier Bewohner des Heims wollen es allerdings noch einmal wissen: Zu Ehren Verdis wollen sie ein Konzert geben, mit dem zugleich das finanzielle Überleben von Beecham House sichergestellt werden soll. Maggie Smith, Tom Courtenay, Michael Gambon und Billy Connolly spielen das Quartet, das abermals zusammen auftreten soll. Da riskieren nicht nur die Protagonisten einen Herzinfarkt, auch die Zuschauerinnen müssen von Rap über Jazz bis zu Swing und Oper die verschiedensten Musikstile verkraften und – einen vroaussagbraen Plot. Ein Schauspieler-Film, in dem die alten Recken ihre Klasse nochmals unter Beweis stellen.
«Is anybody there?»:
«Is anybody there?» – von John Crowley
Doch nicht nur das traute Zusammensein im Altersheim ist Thema. In den meisten Filmen ist eher die Einsamkeit stilbildend. So auch in «Is anybody there?»: Edward ist 11. Dennoch hat er schon mehr Menschen sterben sehen, als die meisten Jungen seines Alters. Edwards Eltern betreiben ein Seniorenheim. Nun möchte Edward gerne wissen was nach dem Tod kommt. Wer ist da wohl befugter um Auskunft zu geben, als alte Menschen. Ausgerechnet der mürrische Alte Clarence holt Edward aus seiner Traumwelt. Hier trifft die weise Kindheit auf die kindliche Weisheit. Michael Caine spielt den Exzauberer.
«Il bacio di Tosca» von Daniel Schmid
Die «Casa Verdi» ist ebenfalls ein Altersheim der besonderen Sorte: Opernsänger und Musiker können in dem 1899 fertiggestellten Bau ihren Lebensabend verbringen, so lange – nach Verdis Tode – die Tantiemen für seine Werke noch Geld abwerfen. Daniel Schmid fing 1984 mit seinem Kameramann Renato Berta zwei Monate lang den Alltag in der Casa Verdi ein, ließ die Bewohner über ihr Leben erzählen, und – singen. Ihm ist ein Film geglückt, der den wunderbaren Pathos des Alten ganz in Poesie übersetzt: Da begegnen wir Menschen, die voller Würde so etwas wie eine Lebensweisheit in ein paar Tönen zusammenfassen können. Kürzlich digital restauriert, ist der Film ein Muss für alle mit Altersheimweh.
«Von heute auf morgen» – von Frank Matter
Vor Kurzem noch im Kino in Basel zu sehen und gut in Erinnerung: «Von heute auf morgen», der Dokumentarfilm von Frank Matter. In Allschwil gibt es, wie überall, Betagte, die vor der grossen Entscheidung stehen, wie sie ihr Leben zu Hause noch weiterführen können. Frank Matter ist es gelungen, die Pflegerinnen ebenso wie die Betreuten in ihrem diffizilen Dialog einzufangen. Die Mitarbeitenden der Spitex, oft die letzten Engel der Wirklichkeit, sind auch eine Bedrohung: Sie führen den Alten oft vor Augen, was sie nicht wahrhaben wollen: Das Alter. Sie können eine Abschiebung – so empfinden die Betagten den Übergang in ein Altersheim – hinauszögern helfen, aber eben auch abrupt verordnen. Vier bissige, witzige und nachdenkliche Porträts weisen einen zunehmend komplexen Dialog aus, der dann beginnt, wenn einsame Menschen ihr eigenes Leben nicht mehr aus eigener Kraft meistern können. Bissig, witzig und einfühlsam zugleich.
Das Geschäft mit dem Alter ist eine junge Erfindung
Das Alter ist allerdings erdgeschichtlich recht jung: Die ersten sechs Millionen Jahre blieb der Mensch zwanghaft jugendlich: Er starb meist, bevor er dreissig wurde. 99,9 % unserer Zeit auf der Erde verbrachten wir bloss als Jugendliche.
Erst seit ein paar Tausend Jahre wollen die meisten länger leben als eine Jugend normalerweise dauert – viele bald ewig. Das heisst nicht, dass wir jetzt alt werden wollen. Im Gegenteil, noch nie mussten wir so lange jung bleiben, wie seit den Zeiten, wo wir endlich alt werden können. Noch nie hat sich die Menschheit über Generationen hinweg in jugendliche Beinkleider gezwängt, die sie schon als Kind dafür gehasst hat, dass sie nicht passen.
Das Alter stellt für die Menschheit ein recht neues Abenteuer dar, ebenso wie – scheinbar – für den einzelnen Jungbebliebenen Sechziger. Vor lauter Jungbleiben scheint den meisten entgangen zu sein, dass das Alter dann doch noch irgendwie kommt. Die meisten Menschen, die ins Alter kommen, sind davon fast so überrascht, wie die Autofahrer von jedem Wintereinbruch: Alt wird jeder zum allerallerersten Mal.
Altersheime – eine Branche mit Zukunft
Dabei warnt man uns seit Jahren vor der Greisenwelle: In der Schweiz leben heute fünfmal so viele 100-Jährige wie 1986. Was die Menschheit als Ganzes bedroht, schlägt dennoch beim Einzelnen meist noch überraschend zu: Das Alter.
Kein Wunder also, dass eine Industrie, die von Überraschungen lebt, auch die grösste Überraschung vermarktet: Wir werden alt! Dabei tut die Film-Industrie auch etwas für ihre Kundschaft: Auch Kinogängerinnen werden immer älter und wollen immer jünger bleiben. Die Altersbespassung ist zur lohnenden Einnahmequelle geworden.
Auch das Kino ist in die Jahre gekommen
Das Kino beschäftigt sich mit dem Alter schon lange – länger zumindest, als die Politiker (die für ihr eigenes Alter mit besonders üppigen Renten vorsorgen): Der alternde Clown von Chaplin in «Limlight» oder der alternde Professor im «Blauen Engel» sind längst Filmgeschichte. Dort durften Altersweise noch zu Törichten werden. Sie sind jetzt abgelöst worden von «The Bucket List». Jetzt stemmen sich die wohlhabenden Alten dagegen, dass Weisheit immer nur heissen soll, weisse Haare zu haben. Weisheit heisst vor allem: Es noch einmal krachen lassen.
Seit dem kommen in regelmässigen Abständen Filme auf uns zu, die das Alter als Abenteuer besingen. Nicht nur das: Erst im Alter – so ist der Tenor .- wird vielen Menschen klar, dass sie nicht gelebt haben, also noch etwas nachzuholen haben. Oder noch schlimmer: ein Leben lang betrogen wurden, und nicht so weitermachen wollen.
Beides lässt sich im Kino nachholen: Der Film bietet Trost für jene, die mit fünfzig noch so leben wollen wie Siebzehnjährige. Wie auch für jene, die nach fünfzig endlich weise werden wollen. Filme geben nämlich auch Rezepte, wie man das Leben weiter in Richtung Weisheit entwickeln könnte. «It’s never too late to have a happy childhood!» proklamierte eins Tom Robbins.
Weise Kinder oder kindliche Weise?
Allerdings. Wer hat heute, vor dem Eintritt ins Altersheim, schon noch Zeit, weise zu werden? Wer alle zwei Wochen eine bibeldicke Gebrauchsanweisung für ein neues Peripherie-Gadget downloaden muss und täglich im Netz eine vierhundertseitige Geschäftspraxiserklärung studieren und gutheissen muss, der verschiebt das Weisewerden gerne mal auf nach dem Urlaub. Jung kann man schneller bleiben als im Alter weise zu werden.
Es lohnt sich also, zwischendurch mal zwei Stunden lang abzuschalten und wenigstens einen Film zum Alter einzuschalten: Filme wie «A simple Life» bieten hierzu Ausnahme-Gelegenheit: Ergreifend, knallhart und hochpoetisch. Ein Film wie die Wirklichkeit. Er holt uns ein, ehe wir darauf vorbereitet sind.