Abende im Vorfrühling

Der Tod zog den Dichter Georg Heym an. Besonders im Frühling.

Die Sonettreihe über den Frühling ist leicht und hell. Doch der Tod ist bei Heym nie weit.

Der Tod zog den Dichter Georg Heym an. Besonders im Frühling.

Der Frühling ist da, satt. Tagsüber lebt man wieder selbstvergessen, bleibt länger auf Bänken sitzen als nötig. Die Schutzhüllen fallen, Schultern sinken, das Gesicht geht auf. Später, nach der Dämmerung, geht man in Übergangsjacke vor die Tür und friert wie ein Schneider. Nie friert man so wie in dieser Zeit. Der Körper ist innerlich schon da, wo er sich seit Monaten hinwünscht, und darum wehrlos gegen die Eisluft nach Sonnenuntergang. Es sind «Abende im Vorfrühling».

Der Titel von Georg Heyms Reihe aus drei Sonetten hilft ungemein, um mit der Verwirrung dieser Zeit zurechtzukommen. Von den ersten Helligkeiten, die sich in den Januar verirren, bis es im Mai wirklich geschafft ist, kann man sich das Wort vorsagen und ist orientiert. «Es ist, als lebte jeder kahle Baum», heisst es im dritten Sonett. Es ist, aber eben nur als ob. Ohne die flirrende Frühlingsluft ist er wieder tot.

(Bild: Picasa 3.0)

Georg Heym, geboren in Schlesien, musste auf Geheiss seines Vaters Jura studieren. Er hasste das Fach, seine Dissertation wurde abgelehnt. Der Junggestorbene hinterliess 500 Gedichte und wird zu den Wegbereitern des Expressionismus gezählt. 1912 brach er als 24-Jähriger auf dem Eis der Havel ein.

Man ist orientiert, doch nicht gerettet. Wo Blüten aufgehen, künden sie auch ihr Verwelken an. Der junge Georg Heym, der nur 24 Jahre alt wurde, hat sich in seinen Texten an den Tod geschmiegt wie an eine schaurige Versuchung. Der Frühling scheint ihm dafür das liebste Motiv zu sein und das Sonett mit seiner zweigeteilten Form das prädestinierte Gefäss.

Nachwuchsstimmung

In den Quartetten des zweiten Gedichts findet das Leben zum ersten Mal wieder im Freien statt. Die Kinder spielen auf der Gasse und rufen den Störchen nach, die sie erstmals wieder fliegen sehen – die Kinder dem Kinderbringer. Soldaten baggern Mädchen an, Frauen plaudern. Lärm liegt in der Luft, Geselligkeit und Nachwuchsstimmung.

In den Terzetten lässt der Tod nicht auf sich warten. Ein Sarg wird aus einem Haus geholt, selbst die Tür, durch die er getragen wird, ist stumm. Ihre Stille überträgt sich augenblicklich auf die ganze Gasse, und eisig wird es. Für einen Moment setzt das Leben aus, als würde ein Geist durchs Städtchen gehen. Sein Hauch weht das junge Leben weg, so zart ist es noch. Wenn die Tür ein stummer Mund und der Sarg das Schweigen selbst ist, dann hat er auch den Frauen ihr Plaudern genommen und den Kindern ihr Geschrei.

Doch das ist nur ein Moment. Kurz nach dem Schauer setzt das Lärmen wieder ein. Und zum Schluss setzt das dritte Sonett der tödlichen Stille eine friedliche entgegen:

«Manchmal geht
Der Fenster eins, das in den Blumen steht,
In erste Frühlingsblumen eingeschmiegt.
Es lässt den Abend ein und schliesst sich spät.»

Abende im Vorfrühling II

Die Fischer kommen von dem ersten Fang.
Soldaten stehen vor den Fensterreihen
An der Kaserne schon zu zwein und dreien.
Sie sperren neckend eines Mädchens Gang.

Die Frauen plaudern zu der Nadeln Klang.
Die Kinder spielen wieder in dem Freien.
«Ein Storch, ein Storch.» Die Kinderstimmen schreien.
Und alle schauen nach den Vögeln lang.

Zwei Männer ziehen einen kleinen Wagen.
Sie machen vor dem letzten Hause halt.
Ein Sarg wird durch die stumme Tür getragen.

Still wird die Gasse. Es durchweht sie kalt.
Doch bald die Nadeln wieder klappernd jagen
Und Kinderlärmen wieder durch sie schallt.

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