Mit sehenswerten Dokfilmen über zwei höchst unterschiedliche Legenden mit Schweiz-Bezug ist der Reigen der Weltpremieren in den Wettbewerbskategorien der Filmtage am Wochenende zu Ende gegangen. Das Festival ist zur Halbzeit gut unterwegs.
Die Besucherzahlen der ersten Tage übertreffen noch die Rekordwerte des Vorjahres, wie die Filmtage am Sonntag auf Anfrage gegenüber der Nachrichtenagentur sda erklärten. Hinsichtlich der neuen Filme fällt die Bilanz insbesondere in der «Prix de Soleure»-Sparte hervorragend aus. Die Jury um Jean Ziegler und Lukas Bärfuss, die den hochdotierten Preis vergibt, steht vor einem schwierigen Entscheid.
Als letzter neuer Film der Sparte wurde am Sonntag «Alfonsina» von Christoph Kühn uraufgeführt. Darin wird in starken Bildern an das Leben der in Argentinien tätigen Poetin Alfonsina Storni (1892-1938) erinnert. Die Künstlerin, deren Eltern aus dem Tessin stammten, kam in Buenos Aires zu Ruhm. Insbesondere junge Frauen verehrten in den 1920ern die Dichterin, die früh feministische Ideale vertrat.
Gänzlich anderer Art ist der Nachruhm von Martin Schippert. Der Zürcher war zweifellos ein Krimineller, aber zugleich ein Rebell gegen die verknöcherte Schweiz in den 1950er und 1960er Jahren. Als Gründer der Schweizer Hell’s Angels verkörperte er die Sehnsucht der damals Jungen nach Freiheit und Abenteuer. Schippert starb 1981 nach langer Flucht vor den Behörden in einem kleinen Dorf in Bolivien.
Flucht in zwei Richtungen
In «Tino – Frozen Angel» zeichnet Adrian Winkler die faszinierende Lebensgeschichte des Rockers nach. Der Dokfilm, der Mitte Februar in die Kinos kommt, ist in Solothurn zu Recht für den «Prix du Public» nominiert. Insgesamt ist die Zweitsparte der Filmtage jedoch von durchzogenerer Qualität als die Hauptkategorie.
Neben «Tino» überzeugte von den Weltpremieren am Wochenende ein zweiter Streifen über rebellische Geister: Das Westschweizer Roadmovie «Milky Way». In dem schrägen Beitrag von Cyril Bron und Joseph Incardona stolpern drei Verlierer durch La Chaux-de-Fonds.
Terror in Pharmafirmen
Einem anderen brisanten Thema nimmt sich «Il venditore di medicine» an, der als minoritäre Koproduktion um den «Prix du Public» rittert: der Bestechung von Ärzten durch Pharmamultis. Der Zürcher Leonardo Nigro spielt in dem packenden Streifen des Italieners Antonio Morabito eine Nebenrolle.
Seine Figur erschiesst sich in den ersten Filmminuten nach einer rüden Abmahnung durch die Vorgesetzte. Üblicherweise werden die Pharmavertreter in dem Film mit der vermeintlich fürsorglichen Frage «Du wirst doch nicht müde?» terrorisiert.
An den diesjährigen Filmtagen wäre ein entschiedenes «Nein» die Antwort. Angesichts des starken «Prix de Soleure»-Angebots ist in der zweiten Festivalhälfte für Spannung gesorgt. Am Mittwoch feiert die Filmszene zudem die Nacht der Nominationen, wo bekannt wird, welche Streifen und Filmschaffenden den Schweizer Oscar anpeilen können.