Brasilien steht kurz vor einem Machtwechsel: Im Senat zeichnet sich eine klare Mehrheit für eine Absetzung von Staatspräsidentin Dilma Rousseff ab. Die meisten der Senatoren, die sich in der Debatte bereits geäussert haben, sprach sich gegen Rousseff ab.
Die Senatoren haben jeweils 15 Minuten, um ihre Beweggründe zu erläutern. Von den ersten 40 Senatoren waren 30 für eine Suspendierung Rousseffs für zunächst 180 Tage. Notwendig ist eine einfache Mehrheit. Der Senat hat 81 Mitglieder.
Die Regierung fürchtete, dass eine Zweidrittelmehrheit zustande kommen könnte. Nach der Abstimmung am Donnerstagmorgen will Vizepräsident Michel Temer das Amt übernehmen.
Der Präsidentin werden eigenmächtige Kreditvergaben und Bilanztricks zur Verschleierung der wahren Haushaltslage vorgeworfen. Rousseff weist die Vorwürfe zurück und spricht von einem «Putsch». Sie sei bis zum 31. Dezember 2018 gewählt, einen Rücktritt schliesst sie aus.
In den 180 Tagen würden die Vorwürfe unter Beteiligung des Obersten Gerichtshofs geprüft. Dann müsste der Senat – dieses Mal mit einer Zweidrittelmehrheit – über eine endgültige Amtsenthebung entscheiden. Wird das Quorum verfehlt, würde Rousseff wieder das Amt übernehmen.
Temer bereitet sich schon vor
Der 75-jährige Temer von der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB), die die Koalition mit der linken Arbeiterpartei Rousseffs im März aufgekündigt hatte, traf sich während der Sitzung mit Vertrauten in seinem Amtssitz in Brasília, dem Palácio do Jaburu, um den Wechsel vorzubereiten.
Auch die mögliche neue «First Lady», seine 32-jährige Ehefrau Marcela, traf mit dem kleinen Sohn Michelzinho im Palast ein.
Kommt es zu der erwarteten Entscheidung, muss Rousseff den Palácio do Planalto räumen und Temer überlassen. Sie bezeichnet Temer als «Verräter», weil er ihren Sturz mit seiner Partei forciert hat. Ihr Auszug war für Donnerstagmorgen 10.00 Uhr (15.00 MESZ) vorgesehen.
Vorerst Ende einer Ära
Erstmals seit 2003 würde dann zumindest für das nächste halbe Jahr eine Regierung ohne Beteiligung der Arbeiterpartei das Land führen. Einen letzten Einspruch der Regierung gegen das Absetzungsverfahren wies der Oberste Gerichtshof des Landes am Mittwoch zurück.
Bisher gab es solch ein Amtsenthebungsverfahren in Brasilien erst einmal. 1992 wurde Fernando Collor de Mello nach Korruptionsvorwürfen für 180 Tage suspendiert – und trat Ende des Jahres schliesslich selbst zurück. Er ist heute Senator und verurteilte die Regierung als «katastrophal».
Märkte atmen auf
Rousseff, seit 2011 an der Macht, war zuletzt eine Präsidentin ohne Fortune, mitunter aufbrausend, mit weniger Volksnähe und Charisma als ihr Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva. In dessen Amtszeit wuchs die Wirtschaft kräftig, auch dank der sprudelnden Öleinnahmen. Rund 40 Millionen Menschen seien dank Sozialprogrammen und Mindestlöhnen aus der Armut befreit worden, betont Rousseff.
Nun ist das Land in einer tiefen Rezession, ein Korruptionsskandal aus Lulas Amtszeit hat Rousseff eingeholt, sie war damals Aufsichtratschefin des im Fokus stehenden Petrobras-Konzerns. Über elf Millionen Menschen sind arbeitslos.
Seit Wochen ist das Land wegen des Ringens um ihre Amtsenthebung politisch handlungsunfähig. Als sich die klare Zustimmung zu der Suspendierung Rousseffs abzeichnete, stieg der Kurs an der Börse in São Paulo und der Real gewann gegenüber dem Dollar, der Wechselkurs lag bei 1 zu 3,44 US-Dollar. Temer will mit Privatisierungen und Entlassungen im Staatsdienst das hohe Defizit in den Griff bekommen.