Bei der Abtei St. Maurice im Wallis haben Archäologen umfangreiche Funde gemacht. Das Kloster erscheint dadurch in einem neuen Licht. Das Gelände war im Frühmittelalter viel grösser als bisher angenommen – möglicherweise diente es sogar als Grabstätte für Könige.
Anlässlich der Instandsetzung der Avenue d’Agaune legten Archäologen die Reste einer abgebrochenen Kirche frei, wie die Kanzlei des Walliser Regierungspräsidiums am Montag mitteilte. Die Kirche war auf der gleichen Achse angeordnet wie die bereits früher ausgegrabene Martoletkirche und hatte ähnliche Ausmasse.
Unter den Resten der zweiten Kirche fanden die Archäologen eine Reihe von 2,5 Meter langen Gräbern. Auch unter dem Vorplatz der heutigen Abtei stiessen die Forscher mithilfe eines Radargeräts auf solche Grabstätten.
Die grosse Zahl und die Ausmasse der Gräber lassen darauf schliessen, dass wichtige Persönlichkeiten darin begraben wurden. Es ist aus Sicht der für die Ausgrabung verantwortlichen Archäologin Alessandra Antonini sogar möglich, dass der Ort als letzte Ruhestätte für Burgundische Könige diente.
Auch die beeindruckende Grösse zeugt von der Bedeutung der Kirche. Die Archäologen schätzen, dass sie im sechsten Jahrhundert errichtet wurde. Für eine präzise Schätzung seien aber Analysen mittels der Radiokarbonmethode nötig, sagte Antonini bei einer Führung am Montag.
Grosser Raum entdeckt
Rund dreissig Meter von der Kirche entfernt entdeckten die Forscher zudem die Reste eines imposanten Gebäudes mit einem rund 25 auf 20 Meter grossen Saal. Der Saal verfügte vermutlich über eine Bodenheizung und ein Podium.
Historikern zufolge wurden in St. Maurice mehrere bedeutende Beschlüsse von Bischöfen und sogar Päpsten unterzeichnet. «Wir haben uns immer gefragt, wo diese Zeremonien abgehalten wurden. Wir können nun davon ausgehen, dass es in diesem Gebäude war», erklärte Antonini .
Das Gebäude könnte der Palast des Abt-Bischofs oder des Abt-Königs gewesen sein. Auf einem Plan aus dem 18. Jahrhundert ist an diesem Ort ein Abteihaus abgebildet.
Neubewertung von St. Maurice
Die Bedeutung von St. Maurice als kirchliche Kultstätte erscheint angesichts dieser Funde in neuem Licht. Zwar seien die Entdeckung nicht einzigartig, «aber was uns hier verblüfft, ist die Tatsache, dass St. Maurice ein kleiner Ort ist», sagte Antonini.
Das Kloster blickt auf 1500 Jahre Geschichte zurück und gilt als älteste, ununterbrochen betriebene Abtei des Abendlandes. Schon hundert Jahre vor der Gründung im Jahr 515 wurden in der Gegend die angeblichen Überreste der Soldaten der Thebäischen Legion verehrt, die als Christen den Märtyrertod gestorben waren.