Achtung – alles erlaubt!

«ZAP!» verspricht viel – und bietet viel. Der Performancemarathon, der bis zum 14. Juni 2012 in der Kaserne Basel stattfindet, stimmte am Freitagabend schon mal auf die Art-Woche ein: Extravagant, farbenfroh, fantasievoll und schräg war die rund zweistündige Show des Eröffnungsabends. In langen schwarzen Männerunterhosen startet eine Barbusige mit wilden Sprüngen, machoiden Posen und gestelzten Schritten in […]

Einzigartige Schönheiten: Der Performancemarathon «ZAP!» in der Kaserne Basel startete extravagant und betörend.

«ZAP!» verspricht viel – und bietet viel. Der Performancemarathon, der bis zum 14. Juni 2012 in der Kaserne Basel stattfindet, stimmte am Freitagabend schon mal auf die Art-Woche ein: Extravagant, farbenfroh, fantasievoll und schräg war die rund zweistündige Show des Eröffnungsabends.

In langen schwarzen Männerunterhosen startet eine Barbusige mit wilden Sprüngen, machoiden Posen und gestelzten Schritten in die rund zweistündige Show in der Kaserne Basel. Ohne Berührungsängste und direkt ans Publikum gerichtet erzählt die Dragqueen «Mimosa», einer der vier potentiellen Namensträgerinnnen an diesem Abend, in eine Pelzstola gehüllt (wobei «gehüllt» masslos übertrieben ist) und auf schwindelerregenden Highheels stöckelnd von ihrem Leben: Von homosexuellen Liebhabern, französischen Cabarets, Drinks und feuchtfröhlichen Nächten in Portugal. Und lässt, trotz der überzeugend verstellten höheren Stimme und dem extravagant femininen Look mit einer Tonne Make-Up eine menschliche Nähe und Nahbarkeit zwischen den Zeilen durchblitzen, die fesselt, betört, fasziniert und ab und zu auch für laute Lacher im Publikum sorgt.

Während der Performance «(M)IMOSA – Twenty Looks or Paris is burning at the Judson Church (M)» widmen sich die vier PerformerInnen und ChoreografInnen Francois Chaignaud, Cecilia Bengolea, Marlene Monteiro Freitas und Trajal Harrell der «Voguing»-Szene in New York. Das Spiel und die Inszenierung der eigenen Geschlechtsidentität entstand in den 60er Jahren in New York in Ballsälen in Harlem, wo sich afro- und lateinamerikanische Schwule, Transvestiten und Transsexuelle trafen, um Posen und Typen aus der Welt der Mode, des Luxus, der sozialen und sexuellen Klischees, zu imitieren und zu parodieren. 

Den von diesen Klischees, Zwängen und kulturellen Kodierungen eines binär ausgerichteten Geschlechtersystems einer heterosexuell ausgerichteten Gesellschaft wurden sie selbst zu Aussenseitern gemacht, diskriminiert und nicht selten schikaniert. 

Ende der 80er Jahre schlugen sich diese subkulturellen Inszenierungsstrategien in der Popkultur nieder, darüber hinaus auch in akademischen Kreisen: Die Philosophin Judith Butler setzte sich in ihren theoretischen Schriften «Gender Trouble – Feminism and the subversion of identity (1990) und «Bodies that matter» (1993) mit solchen Strategien und ihrer Wirkung auf gesellschaftlicher Ebene auseinander:

Sie entwarf ein performatives Geschlechtermodell, das sich von rein biologischen und sozialen Ansätzen löst, und stellte so das heute nach wie vor vorherrschende binäre Geschlechtermodell als ein konstruiertes in Frage, das von wiederholten Handlungen und den damit einhergehenden Materialisierungen hervorgebracht wird.

Eine richtige Handlung gibt es bei den dicht auffeinanderfolgenden und ineinander übergehenden Performances nicht. Muss es auch nicht, unterhaltsam und fantasievoll waren die Playbacks, Geschichten, Anekdoten, Ballett-und Reggaeton-Parodien auch so. Die Imitation eines Prince-Songs war so überzeugend, dass das Augenmerk – auch der weiblichen Zuschauer – nicht mehr auf dem «oben ohne» lag, sondern auf der Performance an sich: die Lippen, von einem aufgemalten schwarzen Bart umrahmt, bewegten sich synchron zu Text und Musik. Der Körper, der Träger und zugleich Akteur der Inszenierung ist, tritt, obwohl obsessiv in Szene gesetzt, in den Hintergrund. Der Spass und die Möglichkeit, die chamäleonartige Wandlung vom Männlichen zum Weiblichen mit allen Zwischenstufen auszuleben, steht im Vordergrund.

Den eigenen Körper mit einem Übermass an Schminke, knapper oder gar keiner Kleidung, Posen, Mimik und Schmuck zu inszenieren, ihn wandelbar zu machen, mit multiplen, changierenden Identitäten zu bespielen und dadurch von den Zwängen der Gesellschaft zu befreien – das gelang den vier PerformerInnen an diesem Abend mit vollem Körpereinsatz. Und trotz all dem Übetriebenen, dem Unentschlossenen, dem Gespielten, dem Kopierten, Imitierten und Parodierten – man beginnt jede einzelne «Mimosa» um ihrer Selbst Willen, in ihrer Einzigartigkeit gern zu haben. Als das Spektakel vorbei ist, wird man in die laue Nacht entlassen – um eine Freundin oder einen Freund ärmer, jedoch um viele bunte Eindrücke reicher. 

  • Das Programm von «ZAP!» finden sie hier.

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