Die weltgrösste Personalagentur Adecco verspricht sich von der Vermittlung von Flüchtlingen in Deutschland neue Geschäftschancen. Die mit gut 82 Millionen Einwohnern grösste europäische Volkswirtschaft stehe vor demografischen Herausforderungen.
«Bis zum Jahr 2030 werden zehn Millionen Menschen aus dem Arbeitsprozess ausscheiden», sagte Adecco-Chef Alain Dehaze in einem am Freitag veröffentlichten Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters.
Deutschland müsse dem drohenden Mangel an Arbeitskräften angesichts der alternden Bevölkerung und des schrumpfenden Personalangebots entgegenwirken. «Flüchtlinge können eine Schlüsselrolle dabei spielen», sagte Dehaze, der seit einem Jahr auf der Kommandobrücke des Weltmarktführers steht.
Dabei sieht er auch für Adecco Chancen. «Unsere Industrie kann eine Rolle spielen», sagte Dehaze. Derzeit lote Adecco mit den lokalen Arbeitsämtern Möglichkeiten einer Zusammenarbeit aus. Weiter gediehen ist die Kooperation in anderen Ländern, etwa in Italien und Belgien. Dort arbeite Adecco mit Behörden und nicht gewinnorientierten Organisationen zusammen.
Vorwiegend Aushilfsjobs
Das Unternehmen unterstütze die Menschen unter anderem beim Erlernen der Sprache. «Wir wollen ihre Fertigkeiten mit den Bedürfnissen auf dem Arbeitsmarkt in Übereinstimmung bringen», sagte Dehaze.
Deutschland verzeichnete im vergangenen Jahr eine Rekordzuwanderung: rund 1,14 Millionen Menschen kamen mehr in die Bundesrepublik als wegzogen. Im laufenden Jahr dürfte diese sogenannte Netto-Zuwanderung bei 650’000 bis 850’000 liegen, schätzen Experten.
Auf dem Arbeitsmarkt kommen für die Zugezogenen derzeit überwiegend nur Aushilfsjobs infrage, wie Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen.
Keine Konkurrenz
Dass die Flüchtlinge anderen Arbeitssuchenden Konkurrenz machen, sieht Dehaze weniger. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland sei sehr niedrig. Mit einer – einheitlichen europäischen Standards berechneten – Quote von 4,2 Prozent im August ist sie so tief wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Der Branchenführer hat gemessen am Umsatz einen Marktanteil von sieben bis acht Prozent und rangiert damit vor dem niederländischen Rivalen Randstad und dem US-Konzern Manpower. In den kommenden Monaten erwartet Dehaze trotz der Flüchtlingswelle konzernweit keine stärkere Belebung des Geschäfts.
«Wir wachsen mit rund drei bis vier Prozent und wir sehen, dass sich dieser Trend fortsetzt», sagte er. Im ersten Halbjahr erzielte Adecco bei einem drei Prozent höheren Umsatz von elf Milliarden Euro einen nahezu stabilen Gewinn von 334 Millionen Euro.
Brexit bislang ohne Folgen
Das Votum Grossbritanniens für einen EU-Austritt habe sich auf das Geschäft von Adecco bislang kaum ausgewirkt. Lediglich im Mai und im Juni sei zu beobachten gewesen, dass die Unternehmen gezögert hätten, höher qualifizierte Stellen zu besetzen. Die Umsetzung des Vorhabens brauche jedoch Zeit.
«Sollte Grossbritannien den Finanzpass verlieren, dürften wohl einige Leute aus London in Städte wie Frankfurt umziehen müssen.» Adecco vermittelt in Grossbritannien jedoch vor allem weniger qualifiziertes Personal.
Langfristig sieht Dehaze durchaus Risiken durch den Brexit: Grossbritannien könnte als Produktionsstandort und als Arbeitsplatz an Attraktivität verlieren und nicht mehr die Talente anziehen, die das Land brauche.