Das administrativ versorgten Menschen angetane Unrecht soll gesetzlich anerkannt werden. Nach dem Nationalrat hat am Montag auch der Ständerat ein Gesetz gutgeheissen, das Menschen rehabilitiert, die in der Schweiz ohne Gerichtsurteil weggesperrt wurden.
Vom Gesetz erfasst werden Menschen, die bis 1981 wegen «Arbeitsscheu», «lasterhaften Lebenswandels» oder «Liederlichkeit» in psychiatrische Anstalten und Strafanstalten eingewiesen wurden. Der Zugang zu einer gerichtlichen Überprüfung war ihnen in vielen Fällen verwehrt.
«Das Gesetz kommt spät»
Der Ständerat hiess den Gesetzesentwurf mit 37 zu 0 Stimmen gut. «Das Gesetz kommt sehr spät, aber es kann noch für Tausende, die dieses Schicksal erlitten haben, wirken», sagte Initiant Paul Rechsteiner (SP/SG). Er würdigte das Engagement einer Gruppe von Betroffenen für die Entstehung der Gesetzesvorlage.
Das Gesetz anerkennt, dass administrativ Versorgten Unrecht zugefügt worden ist. Sie sollen einfach und kostenlos Zugang zu sie betreffenden Akten erhalten. Geregelt werden die Archivierung der Dossiers und die Pflicht, die Vorgänge und ihre Folgen von unabhängigen Experten historisch aufarbeiten zu lassen.
Eine Schutzfrist von 80 Jahren für die Akten hat der Ständerat aus dem Gesetz gestrichen. Er genehmigte stillschweigend einen Antrag der Rechtskommission. Diese war der Ansicht, dass die geltenden Archivierungsgesetze, die kürzere Fristen vorsehen, angewandt werden können. Die Schutzfrist gilt für Betroffene und die Forschung nicht.
Mit diesem Änderungsvorschlag geht der Gesetzesentwurf zurück in den Nationalrat. Den Anstoss zu der Vorlage gegeben hatte Paul Rechsteiner im Frühling 2011 mit einer parlamentarischen Initiative – damals noch als Nationalrat. Der Bundesrat unterstützte das Anliegen ebenfalls.
Vorschlag für finanzielle Wiedergutmachung
Finanzielle Wiedergutmachungen an Opfer enthält das Gesetz nicht. Sie gaben aber dennoch zu reden. Claude Janiak (SP/BL) kritisierte in diesem Zusammenhang wie sein Fraktionskollege Rechsteiner den Bauernverband wegen dessen Absage, sich an einem Soforthilfefonds für in Bauernfamilie platzierte Verdingkinder zu beteiligen.
Einstige Verdingkinder und andere Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen könnten aus diesem geplanten Soforthilfefonds dennoch eine Entschädigung erhalten: Ein mit Lottomillionen, Zuwendungen von Organisationen und privaten Spenden gespeister Topf soll laut Justizministerin Simonetta Sommaruga vom Herbst an Überbrückungshilfen in Notlagen leisten können.
Dies hatte das Bundesamt für Justiz Ende Januar 2014 vorgeschlagen. Der Soforthilfefonds soll gemäss einem Vorschlag des Runden Tisches, der sich mit fürsorgerischen Zwangsmassnahmen befasst, mit 5 Millionen Franken aus Lotteriegeldern gespeist werden. Hinzu kommen sollen Spenden von Organisationen und Privatpersonen.
Am Montag wurde zudem bekannt, dass die Stadt Bern 5000 Dossiers von Verdingkindern, Zwangssterilisierten und anderen Opfern fürsorgerischer Zwangsmassnahmen aufbereiten will. Ende Jahr sollen die Unterlagen für die Forschung bereitstehen. Das schreibt der Gemeinderat in seiner Antwort auf einen Parlamentsvorstoss.