Nach dem Tod von mindestens 30 Menschen bei Ausschreitungen in Ägypten hat der Nationale Verteidigungsrat unter Vorsitz von Staatschef Mohamed Mursi zur Ruhe und zu einem nationalen Dialog aufgerufen.
Der Rat verurteile die Gewaltakte und rufe die politischen Kräfte im Land auf, ihre Meinung friedlich zu äussern, trug Informationsminister Salah Abdel Maksud in Kairo aus einer Erklärung des Gremiums vor.
Der Nationale Verteidigungsrat rief „unabhängige nationale Persönlichkeiten“ auf, sich an einem Dialog zu beteiligen, um politischen Differenzen beizulegen. Ausserdem sollten sie sich über das Vorgehen bei den nächsten Parlamentswahlen einigen.
Blutige Krawalle
Am Samstag waren bei Ausschreitungen nach 21 Todesurteilen wegen der Fussballkrawalle im ägyptischen Port Said vor knapp einem Jahr mindestens 30 Menschen getötet worden. Am Freitag starben bei Krawallen anlässlich des zweiten Jahrestags des Volksaufstands gegen den langjährigen ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak neun Menschen.
Bei den blutigen Auseinandersetzungen vom Samstag waren mehr als 200 weitere Menschen verletzt worden. Angehörige der Verurteilten versuchten nach Bekanntwerden des Richterspruchs, das Gefängnis zu stürmen, in denen ihre Verwandten inhaftiert sind.
Augenzeugen zufolge schossen Unbekannte auf die Polizei, die daraufhin Tränengas einsetzte. Unter den 22 Todesopfern waren nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Kairo auch zwei Polizisten.
Katastrophe im Stadion
Vor knapp einem Jahr, am 1. Februar 2012, waren im Fussballstadion in Port Said 74 Menschen ums Leben gekommen. Unmittelbar nach Abpfiff hatten Fans des Gastgebervereins Al-Masri damals das Spielfeld gestürmt und waren mit Brechstangen, Messern und Schusswaffen auf die Fans des Kairoer Vereins Al-Ahli losgegangen.
Nach den Krawallen war den Sicherheitskräften vorgeworfen worden, sie hätten die Täter bewusst gewähren lassen, um die Anhänger des Kairoer Clubs Al-Ahli zu bestrafen. Diese hatten während der Proteste gegen Mubarak eine wichtige Rolle gespielt.
Von den Al-Masri-Fans wurden später 61 wegen Mordes angeklagt. Neun Polizisten wurden wegen Nachlässigkeit im Dienst vor Gericht gestellt, weil sie die Fans vor dem Spiel nicht gründlich nach Waffen durchsucht hätten. Sie waren nicht unter den ersten Verurteilten. Auch drei Mitarbeiter des Vereins Al-Masri müssen sich verantworten.
Gerechtes oder politisch motiviertes Urteil?
Das Urteil am Samstag wurde von den anwesenden Angehörigen der Opfer mit „Allahu Akbar, Gott ist gross“ begrüsst. Auch Anhänger des Vereins Al-Ahli feierten die Entscheidung der Richter. Die als Ultras bekannten Fussballfans hatten in den vergangenen Wochen mehrfach gewaltsam für eine harte Bestrafung der Täter demonstriert.
Die Fans in Port Said werfen den Richtern dagegen ein politisches Urteil vor. Der schwarze Tag des ägyptischen Fussballs gilt längst als Symbol für die desolate Lage Ägyptens. Präsident Mohammed Mursi jedenfalls zählte die 74 Toten vor wenigen Tagen zu den offiziellen „Märtyrern der Revolution“.
Opposition droht mit Wahlboykott
Ägyptens wichtigster Oppositionsblock machte den Präsidenten allein verantwortlich für das brutale Vorgehen von Sicherheitskräften gegen Demonstranten. Ein unabhängiges Gremium solle ermitteln und die Täter zur Rechenschaft ziehen, verlangte die Nationale Rettungsfront.
Ferner müsse die umstrittene, von Islamisten durchgeboxte neue Verfassung ausgesetzt und eine neutrale Regierung gebildet werden, erklärte das Bündnis weiter. Falls die Forderungen nicht erfüllt werden, drohen die Aktivisten mit einem Boykott der im Frühjahr geplanten Parlamentswahlen – und mit weiteren Massenprotesten.