Zwei Tage vor Beginn der Abstimmung über die neue Verfassung ist Ägypten so gespalten wie selten zuvor. Die regierenden Islamisten erklärten am Donnerstag, es sei eine nationale Pflicht, Ja zu stimmen. Die liberalen und linken Parteien der Opposition riefen zu einem Nein auf.
Die Nationale Rettungsfront um Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei erklärte am Donnerstag, sie werde das Ergebnis der Volksabstimmung nicht anerkennen, falls nicht alle Bedingungen für transparente, saubere Wahlen erfüllt seien. Zudem kritisierten die Oppositionellen, dass die Abstimmung in zwei Etappen ablaufen soll.
In Kairo und neun weiteren Provinzen wird an diesem Samstag abgestimmt. In den restlichen Provinzen werden die Wähler erst eine Woche später zu den Urnen gerufen. Da sich nicht genügend Richter bereiterklärt haben, die Aufsicht in den Wahllokalen zu führen, hatte Präsident Mohammed Mursi am Mittwoch verfügt, dass die Abstimmung in zwei Etappen ablaufen soll.
Es wird mit Annahme gerechnet
Da die regierende Muslimbruderschaft die bestorganisierte Kraft in dem Land ist, wird mit der Annahme der neuen Verfassung gerechnet. Mit deren Inkrafttreten soll auch der Weg zur Neuwahl des Parlaments Anfang 2013 freigemacht werden.
Zum Schutz des Referendums wurden umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen getroffen. So erhielt die Armee Polizeibefugnisse und soll Wahllokale sowie Regierungsgebäude schützen. Zum Schutz des Präsidentenpalastes sind Panzer in Stellung gegangen.
Bei Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern Mursis wurden in den vergangenen Wochen mindestens sieben Menschen getötet und Hunderte verletzt.
Unfreundlich gegen Frauen und Kinder
Das staatliche Nachrichtenportal Egynews meldete am Donnerstag, 150 Mitglieder der liberalen Traditionspartei Al-Wafd in der Stadt Kena hätten ihren Austritt aus der Partei erklärt. Die abtrünnigen Al-Wafd-Mitglieder begründeten diesen Schritt mit der Kampagne der Parteiführung gegen das Referendum.
Liberale und Linke begründeten erneut, weshalb sie den Verfassungsentwurf ablehnen, der von den Muslimbrüdern zusammen mit den radikalen Salafisten erarbeitet worden war. Er schwäche die Position der Frau in der Gesellschaft, schütze Kinder nicht vor Ausbeutung und schränke die persönlichen Freiheiten ein.
Palast als „Folterkammer“
Teilnehmer einer Demonstration der Opposition warfen den Muslimbrüdern an einer Medienkonferenz in Kairo vor, ihre Anhänger hätten am Mittwoch vergangener Woche einen Raum des Präsidentenpalastes als „Folterkammer“ missbraucht.
Mehrere Teilnehmer der Kundgebung vor dem Ittihadija-Palast hatten ausgesagt, sie seien von Islamisten während der Proteste verschleppt und misshandelt worden. Einige von ihnen liessen sich anschliessend blutend und mit Hämatomen im Gesicht fotografieren.