Nach der ersten Runde des Verfassungsreferendums in Ägypten hat die Opposition zu erneuten Protesten aufgerufen. Die Nationale Heilsfront appellierte an das ägyptische Volk, am Dienstag auf die Strasse zu gehen.
Die Ägypter sollten „ihre Freiheit verteidigen, Wahlfälschungen entgegentreten und den Verfassungsentwurf zurückweisen“, erklärte die Nationale Heilsfront, in der sich die wichtigsten liberalen und säkularen Oppositionsparteien des Landes zusammengeschlossen haben. Man werde nur das offizielle Ergebnis akzeptieren.
Bei der Abstimmung über den Verfassungsentwurf vom Samstag kritisierte die Nationale Heilsfront zahlreiche Unregelmässigkeiten. Insbesondere warf sie der Muslimbruderschaft vor, in den Wahllokalen für den Verfassungsentwurf geworben und Lebensmittel an die Wähler verteilt zu haben.
Der Kairoer Strafrichter Amir Ramsi erklärte, in der südlichen Provinz Sohag habe man den Wählern Stimmzettel ausgehändigt, bei denen die Farben vertauscht gewesen seien. Deshalb hätten einige Analphabeten ihr Kreuz an der falschen Stelle gemacht.
Der bekannteste Oppositionspolitiker, Mohammed El Baradei, verlangte von Präsident Mohammed Mursi über den Internet-Dienst Twitter, das Referendum abzusagen und den Dialog zu suchen, um eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern.
Über 56 Prozent stimmen Ja
Der politische Arm der Muslimbrüder, die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit von Mursi, hatte zuvor mitgeteilt, vorläufigen Ergebnissen zufolge hätten 56,6 Prozent der Wähler für den Verfassungsentwurf gestimmt. Eine der grössten Gruppen innerhalb der Nationalen Heilsfront, die Ägyptische Volksströmung, lieferte ähnliche Zahlen.
Die Wahlkommission ihrerseits lehnte es ab, zu den Zahlen Stellung zu nehmen. Das offizielle Ergebnis werde erst nach der zweiten Runde bekanntgegeben, um keine Verwirrung zu stiften und um mögliche Beschwerden abzuwarten, sagte das Kommissionsmitglied Mohammed al-Tanbuli.
Kairo stimmt Nein
Den vorläufigen Ergebnissen zufolge lehnten in der Hauptstadt Kairo 57 Prozent der Wähler den Text ab, während in der zweitgrössten Stadt Alexandria eine Mehrheit den Entwurf befürwortete. Bisher haben zehn Provinzen gewählt. Kommenden Samstag sollen die restlichen 17 Provinzen abstimmen.
Die Befürworter des Entwurfs erhoffen sich von einer neuen Verfassung Stabilität nach der unruhigen Übergangsphase nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Husni Mubarak im Februar 2011.
Die liberale und säkulare Opposition dagegen fürchtet, dass die oft unscharfen Formulierungen des Verfassungsentwurfs nicht die Bürgerrechte garantierten. Der Text ebne einer Islamisierung Ägyptens den Weg.