Nach tagelangem Gezerre hat die ägyptische Opposition entschieden, sich an der Volksabstimmung über die neue Verfassung zu beteiligen. Das Oppositionsbündnis der linken und liberalen Parteien rief seine Anhänger am Mittwoch auf, Nein zum Verfassungsentwurf zu stimmen.
Der Entwurf war von einer Kommission erarbeitet worden, in der die Muslimbrüder und die radikalislamischen Salafisten die Mehrheit hatten. Er wird von allen liberalen und linken Parteien sowie von einigen moderaten Islamisten und der koptischen Kirche abgelehnt.
Die Christen und die säkularen Parteien lehnen den Verfassungsentwurf ab, weil die Islamisten damit ihrer Ansicht nach den Umbau Ägyptens zu einer Islamischen Republik vorbereiten.
Das umstrittene Verfassungsreferendum wird in zwei Etappen stattfinden. Das verfügte der islamistische Präsident Mohammed Mursi am Mittwoch per Dekret. Nach Angaben der staatlichen Medien sollen die Wähler am kommenden Samstag in Kairo und neun weiteren Provinzen über den Verfassungsentwurf abstimmen. In den restlichen Provinzen öffnen die Wahllokale eine Woche später.
Staatsanwälte als Wahlleiter
Ursprünglich war vorgesehen gewesen, dass alle Ägypter an diesem Samstag abstimmen. Ein Grossteil der Richter will den Urnengang jedoch aus Protest gegen die Politik der regierenden Islamisten boykottieren.
Mehrere ägyptische Medien meldeten, dass damit keine ausreichende Anzahl Richter für die Überwachung des Wahlprozesses im ganzen Land zur Verfügung stünde. Deshalb sollen nun auch Staatsanwälte als Wahlleiter herangezogen werden.
Für die im Ausland lebenden Ägypter begann die Abstimmung bereits am Mittwoch. Das Aussenministerium in Kairo berichtete, den grössten Andrang von Wählern habe es in den diplomatischen Vertretungen in Kuwait und Saudi-Arabien gegeben.
Treffen von Präsident und Opposition abgesagt
Die ägyptische Armee hat ein für Mittwoch geplantes Treffen mit Präsident Mohammed Mursi und Vertretern der Opposition zur Beilegung des Verfassungsstreits kurzfristig abgesagt. Trotz der Zusage des wichtigsten Oppositionsbündnisses und von Mursi erklärte ein Armeesprecher, die Resonanz sei zu gering gewesen.
Der mit allen Seiten geplante Dialog werde auf ein unbestimmtes Datum verschoben, erklärte die Armee. Zu dem Dialog „im Namen der Liebe zu Ägypten“ hatte am Dienstag Verteidigungsminister und Armeechef Abdel Fattah al-Sissi die verschiedenen Strömungen der Gesellschaft eingeladen.
In Ägypten gibt es seit Tagen teils gewalttätige Proteste sowohl von Gegnern als auch von Anhängern Mursis. Die Kritik dreht sich vor allem um den umstrittenen Verfassungsentwurf.
Am Mittwoch blieb es friedlich
Vor dem Präsidentschaftspalast in Kairo blieb es am Mittwoch nach zwei friedlichen Demonstrationen am Vortag ruhig. Es waren nur kleine Gruppen zu sehen, die vor dem Gebäude in Zelten übernachtet hatten.
In Genf verurteilte am Mittwoch die Interparlamentarische Union die politischen und religiösen Gräben in Ägypten. Ohne eine repräsentative Verfassung für alle Menschen sei die demokratische Zukunft des Landes gefährdet.