Die afghanischen Taliban haben den Beginn ihrer Frühjahrsoffensive verkündet. Ziel sei die «Befreiung der verbliebenen Gebiete von Feinden» durch «Angriffe auf Feindpositionen», «Selbstmordanschläge sowie die Ermordung von feindlichen Kommandanten in urbanen Zentren».
Dies erklärte der Führungsrat der radikal-islamischen Miliz am Dienstag. Als Feinde sehen die Taliban amerikanische und NATO-Soldaten, die sie «Besatzer» nennen, sowie die afghanische Regierung und Streitkräfte, die sie oft als «Sklaven des Westens» bezeichnen.
Vor allem Angriffe auf grosse Städte bereiten in Afghanistan grosse Sorgen. Sicherheitsexperten halten es zwar für unwahrscheinlich, dass die Aufständischen in der Lage sein werden, Grossstädte zu erobern.
Die nötige Konzentration von Streitkräften rund um urbane Zentren könne aber dazu führen, dass ländliche Regionen schlechter geschützt seien und leichter erobert werden könnten. Ausserdem würden mehr Angriffe in Städten die Ströme der Fliehenden noch schneller anschwellen lassen, heisst es.
Hohe Zahl an intern Vertriebenen
Seit Beginn des vergangenen Jahres sollen rund 250’000 Afghanen das Land verlassen haben. In den ersten drei Monaten 2016 kamen laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) allein in Griechenland gut 38’500 Afghanen an.
Weitaus grösser ist aber die Zahl der intern Vertriebenen. Ihre Zahl übertrifft nun 1,1 Millionen Menschen. Allein in 2015 wurden mehr als 300’000 Menschen durch Gefechte aus ihren Heimen vertrieben. Für 2016 erwartet die UNO 260’000 neue Binnenflüchtlinge.
Auch die Zahl der zivilen Opfer war 2015 mit mehr als 11’000 (konservativ gezählten) Toten und Verletzten auf den höchsten Stand seit Beginn der internationalen Intervention gestiegen. 62 Prozent seien von den Aufständischen verursacht worden, berichtete die UNO.
Offensive zu Ehren Mullah Omars
Die Taliban nennen ihre Frühjahrsoffensive Operation Omari, zu Ehren des verstorbenen langjährigen Talibanchefs Mullah Omar. Seit der Machtübernahme von Mullah Akhtar Mansur im Sommer gibt es blutige interne Kämpfe.
Das hat aber die Schlagkraft der Bewegung nicht verringert. Laut Experten sind mehr als 100 der rund 400 Bezirke des Landes entweder in der Hand der Taliban (knapp 30) oder dauerhaft umkämpft (mehr als 80; Zahlen aus dem Dezember).
Auch im Winter hatten die Taliban kaum eine Kampfpause eingelegt. Die Verkündung der alljährlichen Frühjahrsoffensive ist daher mehr eine Formalität – und Mittel der psychologischen Kriegsführung.
Eine im Dezember gegründete und mit viel Optimismus verkündete Friedensinitiative der afghanischen, pakistanischen, chinesischen und der US-Regierung hatten die Taliban jüngst abgelehnt.