Al Capone, ein amerikanischer Gangster

Vor 70 Jahren starb Al Capone, und der Mythos trat an seine Stelle: Vom Verbrecherkönig, der es nach oben schaffte – und der zu Fall kam, weil seine Hybris überhandnahm. Dieser Saga verdanken wir den Gangsterfilm.

Al Capone

Vor 70 Jahren starb Al Capone, und der Mythos trat an seine Stelle: Vom Verbrecherkönig, der es nach oben schaffte – und der zu Fall kam, weil seine Hybris überhandnahm. Dieser Saga verdanken wir den Gangsterfilm.

Als er ein junger Mann von 18 Jahren war, flirtete er in einer Bar in Brooklyn mit der Schwester eines Gangsters. Vielleicht hat er sich auch, nach erfolglosem Werben, verächtlich über sie geäussert, genaue Quellen gibt es nicht. Die Folgen aber waren sichtbar: Der angetrunkene Bruder der Umworbenen fuhr ihm mit einem Messer übers Gesicht. Al Capone trug nicht nur eine Narbe davon, sondern auch einen Spitznamen: Scarface.

Wie bei anderen Details im Leben von Alphonse «Al» Capone überlagern sich auch hier Wahrheit und Legende. Er selbst soll seine Narbe als «Souvenir» eines Armee-Einsatzes im Ersten Weltkrieg in Europa erklärt haben. So oder so: Der Mann, dessen Eltern kurz vor seiner Geburt 1899 von Neapel nach New York ausgewandert waren und der in den Strassen von Little Italy gelernt hatte, was er fürs Leben brauchte, hatte nun ein Markenzeichen.

Anders als seine Berufsgenossen aus der Unterwelt hatte Capone nie ein Interesse daran, seinen Namen und sein Gesicht aus den Schlagzeilen herauszuhalten. Im Chicago der 1920er-Jahre, wo Glücksspiel und Prostitution – illegal – blühten, schufen Prohibition und die zusammenbrechende Wirtschaft den idealen Nährboden für einen schnellen Aufstieg innerhalb der «ehrenwerten Gesellschaft» – sofern man die notwendige Skrupellosigkeit mitbrachte. Und die hatte Capone.

Definition des Mafia-Patriarchen

Als Rausschmeisser fing er an, als Handlanger, Schmuggler und Mörder für den «Boss» Johnny Torrio etablierte er sich. Schliesslich übernahm er dessen Territorium und stieg in den Bandenkriegen der späten 1920er-Jahre zum Chef der Unterwelt von Chicago auf. Nur wenige Jahre hielt sein Gangsterreich, aber die Zeit reichte, um eine mythische Figur zu gebären.

Capone war brutal und soll selbst zur Waffe, etwa einem Baseballschläger, gegriffen haben, um sich seiner Rivalen zu entledigen. Er war illoyal und verriet seine ehemaligen Förderer, sobald er sich auf ihre Augenhöhe gehievt hatte.

Und er definierte den Typus des Mafia-Patriarchen, den Film und Fernsehen seither endlos rezyklierten: Edelsteinbeschwerte Ringe an den Fingern, die er seinen Untergebenen zum Begrüssungskuss hinstreckte, goldene Spucknäpfe und weisse Gamaschen, pompöse Auftritte an Pferderennen und heimliche Deals in Hinterzimmerkneipen, schöne Frauen und öffentlich ausgestellte Leichen.

Philanthrop mit Knarre

Vor allem aber repräsentierte Capone einen entfesselten, nahezu anarchischen Kapitalismus, der in den Tiefen der traditionell staatsfeindlichen amerikanischen Seele schlummerte. Ein Patron wollte er sein, der sich nicht von Regulierungen einzäunen liess. Einer, der mit dem Colt – oder eher mit dem Thompson-Gewehr – in der Hand seinen Weg nach oben erkämpfte und sein Image philanthropisch aufzuhellen versuchte mit Suppenküchen, Sozialwohnungsbauten, Benefizveranstaltungen und heimlicher Schnapsbrennerei zum Wohle aller.

Capone inszenierte sich als Kämpfer gegen den befürchteten «Polizeistaat» des FBI und brachte Zeitungen unter seine Kontrolle, um sein öffentliches Bild zu beeinflussen. «Ich bin ein Spuk, geboren aus dem Geist von Millionen», urteilte er über seinen Nimbus.




Die Fingerabdrücke von «Scarface» Capone.

Zu Fall brachte ihn schliesslich ein Kavaliersdelikt: nicht Mord, nicht Schmuggel oder Korruption, sondern Steuerhinterziehung. 1931 wurde er zu elf Jahren verurteilt, und als er rauskam, war er nicht nur stark von einer Syphilis-Erkrankung gezeichnet, der er am 25. Januar 1947 erliegen sollte. Auch die USA und die Welt des Verbrechens hatten sich verändert. Es brauchte keine symbolischen Helden und Mythen mehr, keine Schlagzeilen und grossen Auftritte.

Ein Unterweltszwilling des einsamen Cowboys

Die Figur Capone bot sich an als Bild des gefallenen Königs, der von einer nach Ruhe und Ordnung gierenden Öffentlichkeit abgelehnt, jedoch von Hollywood übernommen wurde: als faszinierender Machtmensch und Psychopath, der Kaltblütigkeit und zornigen Wahnsinn in sich vereinte, als Unterweltszwilling des einsamen Cowboys. Ohne Capone und seine Gegner, die «Unbestechlichen» um den Polizisten Eliot Ness, die ihn schliesslich überführten und dafür ihrerseits zu Mitteln am Rande der Legalität griffen, hätte es das Genre des amerikanischen Gangsterfilms wahrscheinlich nie gegeben.

Bereits 1932 kam mit «Scarface» erstmals eine nur oberflächlich kaschierte Biografie Capones ins Kino und definierte das Genre nachhaltig. «The Untouchables», das Remake von «Scarface» und zuletzt die Serie «Boardwalk Empire» haben den Mythos Capone durch die Zeit gerettet.

In den tatsächlichen mafiösen Strukturen der 1920er- und 1930er-Jahre eine eher lokale Figur, wurde Al Capone zu einem Archetypen des Kinos: Er ist der Schurke, der den amerikanischen Traum vom wahren Individualismus, dass es jeder schaffen kann, pervertiert und an ihm zugrunde geht. Wer diesen Mythos entzaubert, sägt am Ideal der höheren Gerechtigkeit. Und nichts läge Hollywoods grosser Amerika-Erzählung ferner.

Nächster Artikel