Das verlängerte Wochenende treibt die Wanderer ins Freie – ein einziger Paarlauf dem Loch Lomond entlang.
Die Wanderer auf dem Campingplatz sind sehr diszipliniert. Als ich um neun erwache, ist schon recht emsig Betrieb und der Blick aus dem Schlafsack hinaus zeigt: Fast alle Zelte ringsum sind schon abgebrochen, ausser das neben mir, in dem ein französisches Paar schläft, wie ich später feststelle. Sind halt eben doch keine Wanderer, die Franzosen. Aber sonst herrscht eine gewisse Hektik. Die Leute wollen den wolkenlosen Tag nutzen. Müsst ich auch, hab wohl die längste Reise vor mir – aber auch am meisten Zeit.
Der Weg durch frühlingshafte Haine, Erlen, Birken, mächtige Eichen. Ein Blick tut sich plötzlich auf, ein Blick von ergreifender Pracht: Loch Lomond, ringsum bewaldeter See, kleine Kies- und Sandbänke schieben sich da und dort vor die Bäume, Boote ziehn ihre ausladenden Furchen. Wanderwetter, heute ist Sonntag und morgen ein Feiertag: Bank Holiday.
Keuchende, Dicke,Dünne
Jungburschengruppen kommen entgegen, Bridge-Clubs, Freunde zu dritt, zu viert und immer wieder Paare: Eine energische Frau mit keuchendem Mann zum Beispiel; ein Gentleman, der den schweren Rucksack trägt, daneben seine gepäcklose Frau; magerer Bürolist und seine Frau bringt die dicken Oberschenkel kaum aneinander vorbei, sie stecken in Shorts und sind weiss, der Kopf rot; ein Eifersüchtiger dann, der es nicht erträgt, wenn Entgegenkommende seine knapp Bekleidete mustern; zwei, die schon jahrelang wandern und sich immer auf die nächste Gelegenheit freuen, zu einem kleinen Schwatz bereit sind und sich beim Weitergehen die Hand reichen; ein strammer und strenger Kilometerfresser, schmale Lippen, die Gattin musste wohl mit und leidet.
Immer neue Paare auf dem Pfad, der selten eben aus geht, immer entweder ansteigt oder abfällt, sehr steil manchmal, durch Koniferenwälder, Laubbäume, dahinter immer der See, das Plätschern der Wellen, je später der Nachmittag, desto zahlreicher und lauter die Motorboote, Yachten und hochtourige Wasserflitzer.
Lastwagen auf dem Pickup
Manchmal schauen mir entgegenkommende Wanderer auf die Füsse. Sagen vielleicht später zum Begleiter: Hast du gesehen, was der für Schuhe trägt?
Ja, ich gehe in Turnschuhen. Die Achillessehne ist so entzündet, dass in den hohen Wanderschuhen jeder Schritt wie ein Stich ist. Schuh-Trag-Dispens gab´s dafür im Militär. Die hab ich mir auch erteilt. Im Militär bedeutete das: Marsch-Dispens. Aber ich will ja gar nicht dispensiert sein, will ja gehen, bei diesem herrlich wolkenlosen Frühlingswetter.
Und so hab ich die Wanderschuhe oben auf den Rucksack gebunden – zuerst zünftig gewachst, dass sie matt schimmern. Die Leute mit den neugierigen Blicken sehen einen daherkommen in leichten Turnschlappen mit einem riesig hohen Rucksack, auf dem Wanderschuhe trohnen. Etwas waghalsig, denken sie. Und einer sagt: Sieht aus, als ob ein Pickup einen Lastwagen geladen hätte.
Es hört nicht auf mit diesen entgegenkommenden Paaren. Es hat ja auch seinen Reiz, in Begleitung unterwegs zu sein, denke ich. Man kann schwatzen, Gedanken austauschen und muss sich nicht immer selbst unterhalten, sich mit den eigenen kruden Einfällen herumschlagen. Und ich freue mich darüber, dass in einer Woche Moni anreisen wird, um ein paar Etappen mitzuwandern. Später vielleicht noch andere.
Die allermeisten Paare beim Hotel Inversnaid am Ufer des Loch Lomond sind mit dem Auto hergefahren, trinken ein Bier, essen Kuchen, schlürfen Kaffee nach einer langen Autofahrt und leiden unter dem Gewicht zu vieler Pfunde. Es treibt mich weiter, bleibe immer wieder stehen und schaue aufs Wasser hinunter.
Einsame Entscheide
Und wie ich so in die Abendsonne blicke, mir bewusst werde, dass ich überhaupt keine Ahnung habe, wo ich übernachten könnte, die Wanderkarte mir auch keinen Anhaltspunkt gibt, wo ich eine Unterkunft finden würde, da spüre ich auch die Freiheit, ganz allein und ohne Absprache mit einem Begleiter entscheiden zu können, dass ich hier bleibe. Das ist der Vorteil wenn man nicht als Paar unterwegs ist. Ich höre auch, wie auf der anderen Seite des Fusspfads ein Rinnsal über die moosigen Steine tropft.
Ich stelle die Alupfanne darunter, fülle sie mit Wasser, stelle das Zelt auf und koche Tee. Ein paar Kekse habe ich im Rucksack. Vor dem Zelt, hoch oben auf einem Felsvorsprung, grüssen letzte Sonnenstrahlen. Eigentlich möchte man solches Glück mit jemandem teilen und da kommt mir das Handy in den Sinn. Ich schicke ein SMS heim.