Alles bleibt in der Familie

Seit 2009 ringt Griechenland um eine Lösung der Schuldenkrise, doch die angekündigten Sparziele werden nicht in vollem Umfang umgesetzt. Die Hauptschuld dafür sieht der sozialistische Regierungschef Giorgos Papan­dreou bei Spekulanten. Auch die tiefe Rezession, mangelnde Wettbewerbs­fähigkeit und die Uneinigkeit der EU hätten die Schwierigkeiten verschärft – darüber sind sich Regierung und Oppo­sition einig.

Greek Prime Minister Costas Karamanlis (R) and the leader of the Greece's opposition socialists George Papandreou prepare before a televised debate at the state television studios in Athens September 6, 2007. REUTERS/John Kolesidis (GREECE) (Bild: © John Kolesidis / Reuters)

Seit 2009 ringt Griechenland um eine Lösung der Schuldenkrise, doch die angekündigten Sparziele werden nicht in vollem Umfang umgesetzt. Die Hauptschuld dafür sieht der sozialistische Regierungschef Giorgos Papan­d-reou bei Spekulanten. Auch die tiefe Rezession, mangelnde Wettbewerbs­fähigkeit und die Uneinigkeit der EU hätten die Schwierigkeiten verschärft – darüber sind sich Regierung und Oppo­sition einig.



This undated file photo provided by the Andreas G. Papandreou foundation shows Greek Socialist leader George Papandreou as a young boy posing together with his late father Andreas, right, and grandfather George _ both former Greek prime ministers. His vic

This undated file photo provided by the Andreas G. Papandreou foundation shows Greek Socialist leader George Papandreou as a young boy posing together with his late father Andreas, right, and grandfather George _ both former Greek prime ministers. His vic (Bild: Andrea G Papandreou Foundation)

Nur auf einen Gedanken kommt die politische Klasse in Griechenland gar nicht: dass sie auch selbst schuld sein könnte am heutigen Finanzchaos des Landes. Regierungsverantwortung in Hellas übernehmen nämlich oft nicht die Fähigsten, sondern die Ergebensten – am besten gleich diejenigen, die aus einer mächtigen Politdynastie stammen. «Oikogeneiokratia» («Familienherrschaft») wird diese Praxis genannt.23 der insgesamt 95 Ministerprä­sidenten, die Griechenland zwischen 1828 und 2011 regierten, stammen aus mächtigen Politikerdynastien oder ­waren sogar miteinander verwandt. Unter einfachen Abgeordneten und Hinterbänklern sind Politiker-Sprösslinge noch viel häufiger anzutreffen.Kostas Chryssogonos, Rechtsprofessor an der Uni Thessaloniki, bringt es auf den Punkt: «Die griechischen Parteien sind nicht demokratisch im herkömmlichen Sinne und genau genommen sind es auch gar keine Parteien. Es handelt sich um Familienunternehmen, die Hoffnungen verkaufen mit dem Ziel, Gewinn zu erzielen.»Grundpfeiler der Feudaldemokratie sind die Grossfamilien Papandreou und Karamanlis. Schon zu Kriegszeiten führte Georgios Papandreou, Grossvater des heutigen Ministerpräsidenten, die griechische Exilregierung in Kairo. Nach seiner Rückkehr in die Heimat 1944 begründete er eine drei Generationen überschreitende Polit­dynastie linksliberaler Ausrichtung. Aber er bekam einen übermächtigen Gegner mit Konstantinos Karamanlis, dem Sohn eines Bauern aus Mazedo­nien, der innerhalb weniger Jahre zum Hoffnungsträger der damals zerstrittenen Konservativen aufstieg und seine eigene Politdynastie ins Leben rief, die heute noch anhält.Wenn nötig, kamen die beiden Konkurrenzfamilien auch miteinander ins Geschäft. Der Legende nach soll Georgios Papandreou in den 1960er-Jahren den Rivalen Karamanlis angefleht haben, seinem Sohn Andreas, der Wirtschaftsprofessor in den USA war, eine gut bezahlte Stelle in Griechenland zu besorgen. Karamanlis soll lange gezögert haben; überzeugen konnte ihn angeblich nur die Zusicherung des Vaters, der junge Andreas würde unter keinen Umständen in die Politik gehen. Es war nicht das einzige Versprechen der Papandreous, das nicht eingehalten wurde. In den Siebzigerjahren gründete der zum Volkstribun herangereifte Andreas seine «Panhellenische Sozialistische Bewegung» (Pasok), blendete die Wähler mit einem Wohl­tatenprogramm ohnegleichen und bescherte den Konservativen 1981 die grösste Wahlniederlage seit 60 Jahren.

Bonvivant wird Minister

Konstantinos Karamanlis war verbittert, hatte aber bis dahin sein Lebenswerk immerhin vollenden können. Fast im Alleingang schaffte er nach dem Zusammenbruch der Militärdiktatur den lang ersehnten Übergang zur Demokratie und führte Griechenland sogar in die damalige Europäische Gemeinschaft. Bei solchen Erfolgen des Landesvaters störte sich kaum jemand daran, dass sein Bruder Achilleas meh­rere Ministerposten bekleidete und auch zwei seiner Neffen ins Parlament gewählt wurden – nämlich der spätere Ministerpräsident und Schuldentreiber Kostas Karamanlis, sowie Bonvivant Michalis Liapis, der zum Verkehrsminister in der Regierung seines Cousins befördert wurde.

Kleinere Ambitionen pflegte die konservative Juristenfamilie Varvitsiotis – angeführt vom einstigen Verteidigungsminister Ioannis Varvitsiotis, der in den Neunzigerjahren zum Königsmacher des späteren Regierungschefs Kostas Karamanlis wurde. Sein Sohn Miltiadis durfte 2007 dem prestigeträchtigen Aussenausschuss im Parlament vorsitzen. Als Vizepräsidentin diente Krinio Kanellopoulou, Tochter eines konservativen Ex-Vize­regierungs­chefs, assistiert von Olga Kefalogianni, dem Nachwuchs des dienstältesten griechischen Abgeordneten Ioannis Kefalogiannis.Seitdem die Sozialisten wieder regieren, fehlt konservativen Hoffnungsträgern die Aussicht auf höhere Ämter. Da traf es sich gut, dass Aussenpoli­tiker Varvitsiotis 2010 Heimweh verspürte und die Bürgermeisterwahl im Athener Luxusvorort Glyfada gewann. Dafür bekam er vorübergehend Streit mit der smarten Ministertochter Alexandra Palli, die dieses Amt ebenfalls im Visier hatte – aber der Konflikt wurde dann doch noch auf elegante Weise gelöst: Varvitsiotis trat als Ab­geordneter zurück, um Bürgermeister zu werden, und wurde im Parlament durch den nächsten Kandidaten der Landesliste ersetzt, nämlich? Genau: Alexandra Palli.Ist das alles normal? Die sonst redseligen griechischen Politiker haben es nicht gern, wenn sie mit Fragen zu den Familienklüngeln ­kon­frontiert werden. Eine mutige Ausnahme machte die einstige Aussenministerin und Tochter des ehemaligen Ministerpräsidenten Mitsotakis, Dora Bakoyanni, als ihr Sohn für das Bürgermeisteramt in der Provinzhauptstadt Karpenissi, dem Geburtsort seines von Terroristen ermordeten Vaters, kandidierte: «Es ist doch normal für ein Kind, das in einer politischen Familie aufgewachsen ist; genauso wie Anwaltskinder auch Anwälte werden.» Vangelis Karfis, Kandidat der sozialistischen Pasok für das Bürgermeisteramt, schäumte vor Wut: «Da kann man doch gleich erzählen, dass Arbeiterkinder Arbeiter werden und Kinder arbeitsloser Familien eben arbeitslos bleiben. Das ist wie im alten Rom!», empörte sich der Sozialist – und verlor die Wahl. Soll man aus alledem schliessen, dass die Sozialisten keinen Klüngel tolerieren in ihren Reihen? Weit gefehlt. 28 Kinder und Neffen einstiger Politiker aus dem linken Spektrum kandidierten bei den letzten Parlamentswahlen für die Pasok, viele von ihnen schafften auch den Sprung in die Volksvertretung. Zu den prominenten Nachwuchsköpfen gehören Nassos Alevras, ein Neffe des ersten sozialistischen Parlamentspräsidenten Jannis Alevras, sowie Giorgos Charalambopoulos, der in London geborene Sohn eines ehemaligen Aussenministers.

Selbstkritik ist eine rare Gabe

Da ist sie wieder, die «Oikogeneiokratia». Krisenbedingt muss der sozialistische Klüngel allerdings auch Austritte verzeichnen. Für Aufsehen sorgte der Rücktritt des nordgriechischen Abgeordneten und ehemaligen Journalisten Giorgos Lianis im vergangenen Sommer. «Die Wahrheit wird dem Volk vorenthalten», donnerte er – es klang durchaus nach ehrlicher Selbstkritik. Aber man darf auch nicht vergessen, wer Giorgos Lianis eigentlich ist – der Cousin von Dimitra Liani, einer Ex-Stewardess, die zur First Lady avancierte, als sie den 40 Jahre älteren And-reas Papandreou, Vater des heutigen Ministerpräsidenten, zum Altar führte. Daraufhin durfte auch der Cousin Giorgos sein Glück in der Politik versuchen und brachte es innerhalb weniger Jahre zum Sportminister.

Eigentlich könnte man ein ganzes Buch mit solch amüsanten Klüngel­geschichten füllen. Die Frage ist nur, was kann man gegen die ewige Familien­herrschaft unternehmen? Der renommierte Athener Rechtsprofessor Kostas Beis plädiert für eine Radikallösung: Die Verfassung soll dahin geändert werden, dass direkte Verwandte von Abgeordneten nur unter erschwerten Bedingungen politisch aktiv werden dürfen – denkbar sei etwa ein befristetes Wahlverbot. Die politische Klasse Griechenlands hält logischerweise nichts von solchen Vorschlägen. Schliesslich habe sich kein Politiker auf undemokratische Weise aufgedrängt; alle seien ins Parlament gewählt worden, heisst es immer reflexartig, wenn das Thema auf den Tisch kommt. Am besten wäre es, die Politiker würden selbst Klüngel & Co. eine Absage erteilen. Legendär ist etwa die Geschichte des Konservativen Stavros ­Dimas, der 1991 seinen Rücktritt vom Amt des Industrieministers erklärte, weil die Ministerpräsidenten-Gattin ihn bei einem Staatsbesuch in Moskau öffentlich massregelte. Sein Protest­rücktritt beförderte den späteren EU-Kommissar für 13 Jahre ins politische Abseits, brachte ihm aber auch viel Respekt ein. Möglicherweise hält sich allerdings die Abneigung des unbeugsamen Stavros Dimas gegen den Klüngel in Grenzen, wenn es um die eigene Familie geht: Griechische Medien berichten, sein Sohn Christos möchte bei den nächsten Parlamentswahlen den Wahlkreis seines Vaters in der Region Korinthien erben. Und der Reigen der alten Familien ginge weiter.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28/10/11

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