Alles ist verloren

Hundert Jahre Einsamkeit. Robert Redford brilliert mit fast gnadenloser Präsenz und beweist: Wir sind bis an die Grenzen unserer Existenz in der Lage, an unsere Weiterexistenz zu glauben. Ein grandioser Film als Einstimmung für Stille Nächte. Der Regisseur J.C. Chandor erspart seinem Mann gar nichts. Robert Redford schreckt auch vor nichts zurück: Was bleibt übrig, […]

Ein Mann mit grösster Voraussicht: Robert Redford

Hundert Jahre Einsamkeit. Robert Redford brilliert mit fast gnadenloser Präsenz und beweist: Wir sind bis an die Grenzen unserer Existenz in der Lage, an unsere Weiterexistenz zu glauben. Ein grandioser Film als Einstimmung für Stille Nächte.

Der Regisseur J.C. Chandor erspart seinem Mann gar nichts. Robert Redford schreckt auch vor nichts zurück: Was bleibt übrig, wenn man von unserer Zivilisation alles abzieht, was uns nicht allein sein lässt? «All is Lost» gibt eine Antwort.

Wer allein auf hoher See im Boot liegen bleibt, dem bleibt immer noch genug Zivilisation, um zu überleben. Er hat ja noch alle technischen Hilfsmittel. Und andere haben sie auch, um unseren Mann zu finden.

Robert Redford führt uns mit einer atemberaubend unaufwändigen schauspielerischen Präsenz vor, wie ein Mann in Seenot den Augenblick des Sterbens immer weiter und weiter hinausschieben kann.

Er zeigt, was es heisst, wenn für einen Menschen die Grundlagen seiner Existenz verschwinden, sein Aktions-Radius immer kleiner wird und ihm am Schluss selbst die Bewegung eines Fingers als eine Lebensaufgabe erscheint.

Ein Mensch steht für die ganze Menschheit

Die Malaise dieses Sterbens beginnt mit einer Carambolage: Auf hoher See kollidiert der Einzelsegler mit einem Container. Doch der Riss im Schiffsrumpf ist noch kein Riss im Optimismus unseres Mannes. Ein erster kleiner Unfall. Reparabel.

Der verlorengegangene Container hat das ungewöhnliche Unglück in Gang gesetzt. Andere Prüfungen folgen. Stürme. Gewitter. Durst. Unser Mann besteht sie alle. Erst als das grösste, wuchtigste Unglück, ein Schiff voll mit Containern auftaucht, und – am Geschädigten vorbeifährt! Ohne ihn in seiner Not zu beachten!  – fängt unser Mann an, sich mit dem Sterben abzufinden.

Es ist nie zu spät, um zu spät zu sein

Redford sieht mit stoischer Gelassenheit die nächsten Schaden kommen. Auch wenn er in der Tat immer hinter den fatalen Ereignissen herhinkt, glaubt unser Mann immer, ihnen einen Schritt voraus zu sein.

Er füllt das Trinkwasser in den Wassertank, ehe das Schiff kippt. Er löst die Rettungsinsel vom Boot, ehe es abschmiert. Er feuert die Rettungsleuchtrakete früh genug. Dennoch bleibt am Schluss nur noch ein vegetierendes Häufchen Elend.

Der menschliche Geist hat all seine zivilisatorische Überlegenheit über die Natur verloren. Immer wenn man das Gefühl hat, schlimmer kann es nicht mehr werden, wird es doch noch finsterer.  

Eine grosse Metapher auf alles Leben – im Sterben

«All is Lost» ist ein Loblied auf die menschliche Anpassungsfähigkeit. Nichts anderes ist unser Sterben. Wir fühlen uns darin wohl, so lange wir voraussehen können, was kommt. Wir können uns für eine Altersvorsorge entscheiden. Nicht gegen das Altern. «All is Lost» führt uns vor Augen, wie lange es dauern wird, bis wir uns entscheiden zu sterben. Die wenigsten tun es, bevor sie tot sind.

 

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Der Film läuft zur Zeit in den Pathé-Kinos.

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