Zieht sich die Landwirtschaft aus den Hochlagen der Alpen zurück, verbuschen diese und die Grünerle nimmt überhand. Das hat Folgen für Landschaft, Wasserhaushalt und Stromgewinnung, wie eine interdisziplinäre Forschergruppe unter Federführung der Universität Basel herausfand.
An dem vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützten Sinergia-Projekt nahmen Fachleute aus Pflanzenökologie, Hydrologie, Bodenkunde und Ökonomie teil. Sie untersuchten den Rückzug der Landwirtschaft im Gotthardgebiet. Gab es dort vor 60 Jahren über 100 Bauernbetriebe, sind es heute noch 30, wie der SNF mitteilt.
Explosionsartige Ausbreitung
Viele weniger gut zugängliche Weideflächen an Berghängen wurden aufgegeben. Nun breitet sich dort vor allem die Grünerle aus – explosionsartig und 2,5 mal so schnell wie der Wald im Schweizer Alpenraum, wie die Forscher herausfanden: Allein in den letzten zehn Jahren habe die Grünerlen-Fläche um ein Viertel zugenommen.
Der Busch, der eigentlich in Bachgräben und Lawinenstrichen zu Hause sei, dominiere inzwischen die Nordhänge. Gehe es ungebrochen so weiter, sei sein möglicher Lebensraum im Urserental bis 2045 komplett besetzt, stellte die von Christian Körner, Professor am Botanischen Institut der Uni Basel, geleitete Forschergruppe fest.
Die Wurzeln der Grünerle bilden zudem mit stickstoffbindenden Bakterien eine Symbiose: Als „Stickstoffpumpe“ überdüngt der Busch den Boden. Wo sie wächst, sinkt daher die Artenvielfalt, und in ihrem üppigen Unterwuchs setzen sich junge Nadelbäume nicht mehr durch. Ohne menschliche Eingriffe gebe es daher keinen zügigen Weg von der Weide zurück zum Wald, heisst es in der Mitteilung.
Millionenverlust errechnet
Auch belastet die Grünerle laut den Forschern die Gewässer mit erhöhten Nitrateinträgen. Veränderungen gebe es zudem im lokalen Wasserhaushalt: So verdunsteten Flächen, auf denen seit langem unbeweidetes Gras oder Erlenbüsche stehen, zehn bis zwanzig Prozent mehr als genutztes Grasland.
Zwar lasse sich das verdunstete Wasser nicht eindeutig an der Abflussmenge der Reuss ablesen. Doch stehe die stetige Abnahme des Abflusses im Hochsommer während der letzten 40 Jahre mit einer wachsenden Verdunstung in Einklang.
Die Fachleute rechneten die verdunstete Wassermenge auf das ganze Urserental hoch und ermittelten so eine Energiemenge von – je nach Witterung – sechs bis elf Gigawattstunden pro Jahr, die den Kraftwerken entgingen. Umgerechnet würden die Stromerzeuger so künftig bis zu einer Million Franken jährlich verlieren.
Engadinerschafe halten dagegen
Gegen die Verbuschung fanden die Experten indes eine einfache und wirksame Massnahme: Sie brachten Engadinerschafe auf Alpweiden, die die Rinden der Grünerlen abschälten, worauf diese abstarben. Eine wirtschaftliche Analyse habe allerdings ergeben, dass der finanzielle Mehrwert einer nachhaltigen Landnutzung nicht reiche, um das Offenhalten des Kulturlandes zu sichern.