Als der Bundesrat weinte

Editorial der TagesWoche Nr. 49 vom 9. Dezember 2011

Editorial der TagesWoche Nr. 49 vom 9. Dezember 2011

Urs Buess

Urs Buess

Am nächsten Mittwoch gibt es wieder strah­lende Gesichter hinter Blumensträussen: gewählte Bundesrätinnen und Bundesräte. Wiederwahl und Neuwahl, diese kurzen Momente im Blitzlichtgewitter gehören wohl zu den unbeschwertesten in einer Bundesratslaufbahn.

Nachher beginnt die Knochenarbeit: Departemente werden verteilt, Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern und Freunden stehen an, mit Wirtschaftsführern, mit der Verwaltung, den Medien, mit Kontrahenten im In- und Ausland. Man fällt Entscheide im Wissen, dass man es nur der Hälfte recht machen kann und manchmal nicht einmal dieser. Das ist heute so, und das war vor zwanzig Jahren so.

Damals, 1990, sass einer im Bundesrat, der auch gern mal mit Journalisten im kleinen Kreis ein Gespräch führte. Wir waren eingeladen in seine Stammbeiz. Kurz vor dem Essen teilte der Pressesprecher mit, dass es nur ein kurzes Treffen gebe, der Chef habe um halb zwei eine Sitzung. Es war vor Weihnachten, das Wetter trüb. Bis um halb zwei redeten wir gestelzt über ganz wichtige Sachen. Dann sagte der Sprecher, es sei Zeit für die Sitzung. Der Bundesrat überhörte es. Wir sprachen weiter, dann teilte der Pressesprecher mit, der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sei gestorben. Der Bundesrat gab ein Beileidsschreiben in Auftrag. Es herrschte betretenes Schweigen.

Der Bundesrat versuchte es zu brechen, mit ­einer Runde Grappa. Er fragte nach dem persön­lichen Ergehen der Anwesenden. Einer berichtete, dass er Teilzeit arbeite wegen seiner Kinder. Da sagte der Bundesrat, er beneide ihn und erzählte, wie er mit seiner Tochter eine heftige Auseinandersetzung geführt habe, wegen einer Nichtigkeit. Das ganze Wochenende sei trostlos gewesen. Und dies nur, weil er nichts als Ruhe gewünscht habe. Und während er sprach, wurde seine Stimme dünner, brüchiger, und schliesslich weinte er. Keiner wusste so genau, wo er hinschauen sollte. ­Einfach nicht zum weinenden Bundesrat, der wenige Tage zuvor strahlend hin­ter einem ­Blumenstrauss gestanden hatte, ­als er zum Bundespräsidenten 1991 gewählt wurde.

Dennoch: ­Das Amt des Bundesrats ist ­er­strebenswert. Zehn Personen kämpfen um sieben Sitze, die Tages­Woche schildert die Ausgangslage.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09/12/11

Nächster Artikel