Es gibt sie schon, seit es die Geige gibt – die Stargeiger. Den zweiten Satz des Stargeiger-Trios widmet Meier’s Best heute dem Interpreten, der in seinen Arrangements weder vor der Lustigen Witwe noch vor Abba zurückschreckt und uns seit über 20 Jahren ein Stachel im Fleische ist – the one and only André Léon Marie Nicolas Rieu alias André Rieu.
Stargeiger-Trio Satz 2 | André Rieu
«Geigen-Gott» und «Walzer-König» etwa sind Betitelungen, die der Maastrichter regelmässig erhält. Schon sein Vater war hochmusikalisch und war damals, zu Zeiten der DDR, Dirigent der Leipziger Staatsoper. Der kleine André wuchs also mit Klassischer Musik auf und erhielt schon früh Geigen- und Klavierunterricht. Doch wer hätte gedacht, dass aus dem kleinen Musiker Mal ein CEO mit über 120 Angestellten wird? Irgendwas hat er wohl richtig gemacht. Aber was nur!?
André Rieu versteht es, Hochkultur in derart homöopathischen Dosen zu verabreichen, dass die breite Masse – ferner einsame Single-Hausfrauen ab 60 – in seinen Konzerten reihenweise bewusstlos umfallen, nachdem sie sich erst einmal von ihrer langen Kaffeefahrt-Anreise erholte haben. Seine überschwänglich positive Gute-Laune-Terror-Masche und die farbenfrohen Schmankel-Darbietungen für Klassik begeistern. Alles was nicht Adagio oder Largo heisst und traurig klingt is prohibited.
Doch auch etwas Weltliches fehlt nicht in seinem Repertoire. So durchstöberte er in seinen zahllosen Alben und Singles so circa das gesamte Arsenal an Geschmacklosigkeiten wie Operetten, natürlich Walzern, Arien und anderen Liebesschnulzen; letzeres gerne auch aus Musicals. Sein neuester Clou und somit sprichwörtlich ein Mamma mia ist, dass er kürzlich sämtliche Ohrwürmer der schwedischen Popgruppe Abba orchestral umsetzte und als Tonträger vorlegte. Somit leistete Rieu einen weiteren musikalisch wertvollen Beitrag an die Menschheit.
Und immer steht er mit seiner Stradi (wenns denn eine ist) er an der Spitze des Orchesters. Elegant gekleidet, die Miene zwar angespannt verzogen. Aber stets lächelnd. Stets festlich. Die Haltung seines Körpers und der Geige ganz Johnann Strauss’ Sohn. Schaut man ihm so zu, hat man tatsächlich für einen Mikromoment ein bisschen das Gefühl, als erzähle er die G’schichten aus dem Wienerwald zum allerersten Mal. Rhetorisch spitze. Perfekt vor’m Spiegel einstudiert.
Auch bei seinen Bühneneffekten lässt der Holländer nix anbrennen. Nur die beste Technik ist knapp gut genug. Schöne, positive, wohlige Gefühle und pure Joy werden transportiert mittels Effekthascherei und Orchesteroutfits, die stark an die Sissi-Filme oder an das nicht minder trashige Rondó Veneziano erinnern. Alle Bühnenbilder, wie etwa die Kulisse des Wiener Schlosses Schönbrunn, existieren dreifach, damit sie schon vor dem Star und seinem Orchester an der nächsten Location in der nächsten Stadt aufgebaut werden können.
Ähnlich wie auf bäuerlichen Betrieben, wo die Kinder schon früh mitanpacken müssen, verhält es sich auch bei der André Rieu AG. So etwa zeichnen Andrés Frau und ihr gemeinsamer Sohn seit Jahren für die Deko verantwortlich. Während den Tours wird zudem auf Aktuelles eingegangen. Als etwa 2009 Michael Jackson starb wurde während der Tournee null komma plötzlich ein Medley mit Jackson’s eingängigsten Songs aus dem Hut gezaubert und mittels Live-Statements auf der Bühne beteuert, wie schmerzlich ihn der Verlust eines wahren Freundes in dieser Situation getroffen habe. Dahinter auf Grossleinwand weichgezeichnete und in Pastelltönen verwaschene Bilder des verblichenen King of Pop. Geschmacklos aber effektiv.
Seit 1993 nervt uns André Rieu schon mit seinen Klassik-Hits, Lustigen-Witwen-Arrangements und nun gar mit Abba. Ein Ende seiner Karriere ist nicht in Sicht. Und die Menschen werden immer älter.