Bei den Salzburger Festspielen erschien die deutsche Bundeskanzlerin in einer bunt gemusterten seidenen Jacke – die sie seit 18 Jahren besitzt. Was wollte uns die Trägerin damit sagen?
Gewagte Entscheidungen trifft Angela Merkel eher selten. Und wenn, dann auf dem Gebiet der Mode und nicht in politischer Hinsicht. Vor wenigen Tagen hat sie dies wieder unter Beweis gestellt, als sie die Salzburger Festspiele in einer kimonoartigen Jacke besuchte, die sie bereits in den Jahren 1996 und 2002 in Bayreuth sowie 2008 in Salzburg getragen hatte.
Dem Betrachter strahlt von Fotos eine Seidenjacke mit grafischem Muster in den Farben türkis, pink, lila, schwarz und gelb entgegen. Man kann den Gedanken an schwer inspirierte Seidenmalkurs-Teilnehmerinnen nicht ganz abwehren – und den Gedanken an 1980er-Jahre-Seidenblousons.
Angela Merkel – heimliche Rebellin der Mode?
An sich ist es ja lobenswert, dass Merkel sich keinem Modediktat unterwirft und schon häufiger dasselbe Abendkleid zu offiziellen Anlässen getragen hat. Doch ist das wirklich alles? Angela Merkel, ein Modemuffel, die elegante Kleidung nur trägt, weil sie sich verpflichtet fühlt?
Heutzutage lässt kaum ein Spitzenpolitiker die Möglichkeit vorübergehen, sich selbst durch Mode darzustellen. Derzeitige Staatsspitzen erinnern eher an Renaissancefürsten, die bei einem gemalten Porträt nichts dem Zufall überliessen als an Politiker vergangener Jahrzehnte. Erinnert sich noch jemand an die Anzüge von Ronald Reagan?
Modische Entscheidungen als politisches Statement
Früher konnten höchstens Frauen durch ihre Kleidung ihr Image in der Politik prägen, berühmtes Beispiel: «Iron Lady» Margaret Thatcher in ihren Kostümen mit Schleifenbluse. Die Herren haben seither stark aufgeholt. In der Debatte um die Anzüge Gerhard Schröders wurde dem deutschen Alt-Bundeskanzler vorgeworfen, dass er als SPD-Kanzler kostspielige Designer-Anzüge der Marke Brioni trug.
Inzwischen waren ebenso schon die Brille des französischen Präsidenten François Hollande und die Kleider der First Lady Michelle Obama Thema, die sowohl Designer-Kleidung trägt als auch preiswerte Stücke von der Stange: Die Franzosen wünschen, dass ihr Präsident ein einheimisches Brillenmodell trägt und die First Lady der USA will demonstrieren, dass sie auch den «normalen» Leuten nahesteht.
In der Schweiz ist es die Bundesrätin Doris Leuthard, deren modische Entscheidungen detailliert kommentiert werden. Selbst, wenn es um Abwesenheit von Mode oder vielmehr Textil geht, weil die Bluse nach oben rutschte und einen Zentimeter Bauch freilegte. Und die Zugriffszahlen dokumentieren, dass derartige Themen gelesen werden.
Und auch Angela Merkel wird das Image, das sie durch ihre Erscheinung vermittelt, nicht dem Zufall überlassen. Ob sie den Modekritikern gefallen oder nicht, Merkels zahlreiche farbigen Sakkos verkörpern ihren Politik-Stil. Sehr gradlinig, selten überraschend.
Die Bundeskanzlerin wird durch ihre Sakkos definiert
Wo kann man auf dem Politik-Barometer das Kleid einordnen, das sie vor einigen Jahren in Oslo bei der Eröffnung der neuen Oper trug und das prompt auf dem Titel verschiedener Boulevard-Zeitungen landete wegen seines tiefen Dekolletés? Vielleicht war es eine Andeutung von Risikofreudigkeit, strikt auf ihr Privatleben bezogen.
Die deutsche Bundeskanzlerin wird durch ihre farbigen Sakkos so stark definiert, dass es sogar schon eine Pantone-Palette gibt, in der jede Farbe durch eines der Jacketts dargestellt wird. Das Statement, das Merkel abgibt durch das Auftragen von älteren Kleidungsstücken ist dieses: Sparsamkeit und Masshalten.
Oder sie wurde von der Presse komplett missverstanden und wollte endlich mal bei der Hipster-Jugend mit einem Versuch im Retro-Stil punkten.