Im Tessiner Missbrauchsprozess gegen Flavio Bomio hat die Anklage am Mittwoch eine Gefängnisstrafe von 14 Jahren beantragt. Der frühere Präsident des Schwimmclubs Bellinzona soll über 13 Jahre lang Buben zu sexuellen Handlungen gezwungen haben.
Der Angeklagte habe eine sehr grosse Schuld auf sich geladen, begründete Staatsanwalt Amos Pagnamenta seine Strafforderung. Von Reue sei fast nichts zu spüren. Stattdessen habe Bomio immer wieder versucht, sich zu rechtfertigen.
Von mindestens 400 Vorfällen und 15 Opfern ging der Staatsanwalt in seinem Plädoyer aus. In Wirklichkeit seien es aber sehr viel mehr, führte er aus. Die Anklageschrift würde nur die Jahre 1998 bis 2011 berücksichtigen. Die Übergriffe aus den Jahren zuvor seien inzwischen verjährt.
Gemäss Pagnamenta liegt der erste dokumentierte Fall sexueller Nötigung durch Flavio Bomio – der in den 1980er-Jahren auch Nationaltrainer war – bereits 45 Jahre zurück. Episode auf Episode sei gefolgt. Der Staatsanwalt verwies auf eine vom Trainer selbst geführte Liste der «Eroberungen». Diese bizarre Tabelle habe rund 40 Namen enthalten.
Spinne im Netz
Als «Boss» des Clubs in Bellinzona hätte der Trainer leichtes Spiel gehabt. «Bomios Verhalten glich dem einer Spinne im Netz», sagte der Staatsanwalt. «Der Schwimmtrainer jagte seine »Beute« nicht, sondern wartete, bis sie in seine Fänge geriet.» Der Angeklagte habe dabei bewusst seine Autorität, sein Ansehen und seine Machtposition in der Schwimmszene ausgenutzt.
Keiner der etwa 12- bis 16-jährigen Buben im Schwimm-Team des Clubs hätte gewagt, sich ihm zu widersetzen. Die Anklage wirft dem 71-Jährigen sexuelle Nötigung, Schändung und Kindesmissbrauch vor. Der frühere Trainer soll seine Opfer im Rahmen des Trainings und bei Wettkämpfen im In- und Ausland zu sexuellen Handlungen gezwungen haben.
Die Vorwürfe reichen von Berührungen des Intimbereichs beim Duschen oder Massieren bis zu Analverkehr. Einige «Beziehungen» mit den Buben sollen über mehrere Jahre gedauert haben. Der Trainer habe dabei auch von der Verbundenheit der jungen Sportler mit ihrem Club und ihrem Team profitiert, sagte der Staatsanwalt.
Angst und Scham
Dass sich die Betroffenen nicht aus den Fängen lösen konnten, sei mit ihrer Angst und dem Respekt vor dem Club-Präsidenten zu erklären. Bomio, der auch Lehrer an einer Mittelschule war, habe als explosiv und teils aggressiv gegolten. Aber auch Scham- und Schuldgefühlen hätten die Heranwachsenden davon abgehalten, sich Eltern oder Freunden anzuvertrauen.
Der Staatsanwalt kritisierte, keine wahre Reue bei Bomio feststellen zu können. Stattdessen habe der Ex-Trainer immer wieder versucht, sich zu rechtfertigen. Mal habe er sich selbst als Opfer seiner Natur bezeichnet, dann wieder bedauert, nicht im antiken Griechenland geboren worden zu sein.
Der Prozess vor dem Strafgericht in Lugano TI wird am Donnerstag fortgesetzt. Der Termin der Urteilsverkündung ist noch nicht bekannt.