Arbeitszeiterfassung spaltet Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände wehren sich nicht grundsätzlich gegen den Vorschlag des Bundesrates zur Arbeitszeiterfassung. Doch während sich die Arbeitgeber eine noch stärkere Liberalisierung wünschten, ist für die Arbeitnehmer die Schmerzgrenze erreicht.

Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände wehren sich nicht grundsätzlich gegen den Vorschlag des Bundesrates zur Arbeitszeiterfassung. Doch während sich die Arbeitgeber eine noch stärkere Liberalisierung wünschten, ist für die Arbeitnehmer die Schmerzgrenze erreicht.

Der Entwurf sieht vor, dass Angestellte mit einem Bruttoeinkommen von über 120’000 Franken pro Jahr und mit grosser Zeitautonomie ganz auf das Ein- und Ausstempeln verzichten können. Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann hatte diese Lösung Ende Februar präsentiert. Am Montag läuft die Vernehmlassungsfrist ab.

Gemäss den aktuellsten verfügbaren Zahlen des Bundesamts für Statistik verdienten im Jahr 2010 rund 10 Prozent der Erwerbstätigen 120’000 Franken oder mehr – erfasst wurde aber der Nettolohn.

2012 war ein Vorschlag, Arbeitnehmende mit einem Lohn von über 175’000 Franken von der Arbeitszeiterfassung auszunehmen, von den Gewerkschaften noch vehement abgelehnt worden. Im Februar akzeptieren sie aber den Lösungsvorschlag, der die Schwelle noch tiefer setzt.

Grund dafür sind die zusätzlichen Bedingungen, die für einen Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung erfüllt sein müssen. Dazu gehört neben der Lohngrenze und der Zeitautonomie auch, dass die Ausnahmen in einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) geregelt werden müssen, der auch Massnahmen für den Gesundheitsschutz enthält.

«An der Schmerzgrenze»

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) zeigt sich mit dem vorliegenden Entwurf des Bundesrates grundsätzlich einverstanden. Die Reform gehe aber «quantitativ wie qualitativ» an die Schmerzgrenze. Deshalb müsse die Untergrenze von 120’000 Franken strikt eingehalten werden.

Die Gewerkschaft Unia hätte zwar eine allgemeine Arbeitszeiterfassung bevorzugt. Doch auch sie billige den vorgelegten Kompromiss, weil dieser die Gesundheitsschutzmassnahmen für die Angestellten verbessere.

Es gelte jedoch, auch die Mittel für die Kantone zu erhöhen, welche mit der Überwachung der Verordnung beauftragt werden, sagte die Unia-Abteilungsleiterin Vertragspolitik, Corinne Schärer, auf Anfrage.

Auch die Gewerkschaft Travail.Suisse stimmt dem Grundsatz der Vorlage zu. Sie kritisiert jedoch, der Vorschlag gehe teilweise über den Kompromiss vom Februar hinaus und sei gespickt mit «schwammigen Formulierung, Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten». Es bestehe deshalb nach wie vor Klärungsbedarf.

Totalrevision verlangt

Der Schweizerische Arbeitgeberverband stellt sich grundsätzlich hinter Schneider-Ammans Vorschlag. Doch die Lockerungen seien lediglich ein erster Schritt. Letztlich führe kein Weg an einer Gesetzesrevision vorbei, um dem Arbeitsalltag mit seinen zunehmend flexiblen Arbeitsbedingungen gerecht zu werden.

Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) weist darauf hin, dass fixe Arbeitszeiten in der heutigen Gesellschaft nichts mehr zu suchen hätten. Man weise den Entwurf aber vor allem deshalb zurück, weil Unternehmen ohne Gesamtarbeitsvertrag von der neuen Regelung ausgeschlossen seien.

Bereits vergangene Woche hatten sich die Sozialpartner der Bankenbranche – der Schweizerische Bankpersonalverband, der Kaufmännische Verband und der Arbeitgeberverband der Banken der Schweiz – auf eine Vereinbarung geeinigt, die auf dem Verordnungsentwurf des Bundesrates basiert.

Die Anpassung im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) soll nach der Verabschiedung der Verordnung durch den Bundesrat in Kraft treten.

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