Armenisch essen, arabisch fluchen, königlich feiern – Beirut ist Leben und Ausleben

Beirut – einst als Schweiz des Nahen Ostens betitelt, lohnt sich eine Reise in die libanesische Hauptstadt heute noch. Sie verzückt mit Leben und verführt mit Essen.

(Bild: Andreas Schneitter)

Arabisch Fluchen, armenisch Essen, königlich Feiern – Beirut ist Leben und Ausleben. Einst als Schweiz des Nahen Ostens betitelt, lohnt sich in die libanesische Hauptstadt heute noch eine Reise.

Die Bilder waren ikonisch, damals im 2006: Die israelische Armee flog Luftangriffe auf den Süden Beiruts, Teile der Stadt lagen wieder einmal in Trümmern – aber wenige hundert Meter entfernt pulsierte das Nachtleben, waren die Bars voll, die Cruise-Boulevards mit dicken Schlitten gestopft.

Leben – und Ausleben – in Zeiten der Unruhe, der Krise, der Kämpfe, es gehört seit 40 Jahren zu Beirut. Wegen seiner kulturellen Vielfalt und der religiösen Toleranz einst wahlweise als Paris oder Schweiz des Nahen Ostens betitelt, weist die Stadt äusserlich einige Spuren der Kriegsvergangenheit auf, aber vieles ist geblieben.

Während die Küstenboulevards im Zentrum der Stadt alle paar Hundert Meter von Soldaten, Abwehrgeschützen und Stacheldraht bewacht werden, ergiessen sich die Menschen vor allem in den Frühlings- und Sommermonaten an den Stränden im Westen oder im Norden der Stadt.

Schick die Mode, schön die Menschen, edel und entsprechend teuer die Restaurants mit Blick aufs Mittelmeer. Im Stadtzentrum steigt das Leben abends auf den Terrassen der neuen, nach dem Bürgerkrieg hochgezogenen Türme wie etwa in der «Skybar» auf dem Dach des Hotels Four Seasons.

Eine Kneipe mit Gästen und eigenem Radio-Sender: Radio Beirut. (Bild: radio-beirut.com)

An den Rändern des Zentrums, in den Vierteln Gemmayze oder Hamra, trifft man noch auf die osmanische Stadtstruktur: enge Strassen, kleine Geschäfte, Restaurants mit Menus aus allen Ecken des Nahen Ostens – und Bars. Auch diejenigen der Alternativszene, etwa die Kneipe «Radio Beirut». Dort auf der Bühne sind nicht nur die lokalen Bands und DJs daheim, ihr Sound kommt vom hauseigenen Web-Radiosender auch zum Hörer nach Hause.

Arabisch Fluchen ist nützlich und kann auch gelernt werden

Ein paar Hundert Meter weiter kann man in den «Saifi Urban Gardens» zu libanesischem Bier Musikern zuhören, die traditionelle Instrumente mit elektronischen Beats mischen. Und wer länger bleibt, kann im Haus in einem Kurs lernen, wie man stilsicher in Arabisch flucht. Nützlich für den Alltag, vor allem für den Verkehr: nach dem Bürgerkrieg lag das öffentliche Transportsystem am Boden und wurde nicht wieder aufgebaut. Seither ist die Stadt mit Autos vollgestopft.




Der doppelte Tod: Zerschossene Märtyrer auf dem Märtyrerplatz. (Bild: Andreas Schneitter)

Nachdem das Stadtzentrum im Krieg vollständig zerstört worden ist, hat die Regierung es wieder aufgebaut. Allerdings nicht immer mit ausgeprägtem Sinn fürs historische Erbe: wo sich einst der alte Markt oder das jüdische Viertel in engen Gassen überlappten, ragen heute Türme mit teuren Wohnungen und Geschäften in die Höhe. Die Szenerie ist steril, nicht nur wegen den Logos derjenigen Luxusmarken, die die Downtown jeder Metropole dieser Welt schmücken.

Manche Orte wie diePlace de l’Etoile mit dem markanten Ziffernturm wurden zwar mit einer blitzsauberen Kopie wieder hergestellt, sind aber genauso leer wie die meisten Strassen und Edelrestaurants des alten Zentrums. Für die einheimische Bevölkerung sind die Preise in der Regel zu hoch. Und seit dem Bombenanschlag auf den früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri 2005, erst recht aber seit im östlichen Nachbarland Syrien, knapp zwei Stunden Autofahrt entfernt, sich der «Islamische Staat» eingenistet hat und im Norden des Libanon Anhänger findet, bleiben die Touristen grösstenteils weg.

Einzig die verschiedenen christlichen Kirchen, die erst 2007 erbaute imposante Al-Amin-Moschee und der anschliessende Märtyrer-Platz, ein symbolträchtiger Ort für die jüngere Stadtgeschichte, lohnen den Spaziergang.




Ist einen Spaziergang wert: die Al-Amin-Moschee. (Bild: Andreas Schneitter)

Für mehr schaubare Geschichte empfiehlt sich der Gang ins Nationalmuseum im Süden der Stadt, dessen spektakuläre Artefakte die Kriegswirren überstanden haben. Oder gleich die Fahrt raus aus der Stadt, zum Beispiel nach Norden in die antike Hafenstadt Byblos (heute Jubayl), deren Altstadt rund um die Hafenbucht zu grossen Teilen erhalten ist.




Phönizischer Sarkophag im Nationalmuseum Beirut. (Bild: Andreas Schneitter)

Auf dem Weg dorthin kreuzt man noch einen einzigartigen historischen Ort: die Mündung des Flusses Nahr-al-Kalb. Der strategisch bedeutsame Ort musste von allen Armeen erobert und gehalten werden, die die Levante in nord-südlicher Richtung durchqueren wollten, und sie alle haben in den Felswänden ihre Zeugnisse in den Stein gehauen: von Ramses II. über Nebukadnezar bis zum Britischen Kolonialreich. Die Geschichte des Nahen Ostens, verdichtet an einer Felswand.




Auch er konnte die Finger nicht vom Fels lassen: Napoleon-Stele bei Nahr-al-Kalb verewigt. (Bild: Wikipedia)

  • Anknabbern: Die armenische Küche in den unzähligen Restaurants des Armenierviertels Bourj Hammoud.



    Armenischer Spitzensnack. (Bild: Andreas Schneitter)

  • Anschauen: Libanesische und internationale Gegenwartskunst im 2009 eröffneten Beirut Art Center.
  • Auslaufen: Beirut zu Fuss – Schiiten und Sunniten, Griechen und Maroniten, Armenier und afrikanische Einwanderer. Alle sind sie da, prägen die Stadt und halten den Nimbus der Vielvölkerstadt lebendig.
  • Ausfahren: Historische Stätten von den Phöniziern bis zu den Kreuzfahrern in Byblos – und auf dem Rückweg in den Nachtclubs der christlichen Hafenstadt Jounieh hängen bleiben.

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