Asbestopfer sollen ihre Schadenersatzansprüche geltend machen können, auch wenn diese eigentlich längst verjährt sind.
Der Ständerat hat am Dienstag für Asbestopfer eine massgeschneiderte Sonderlösung im Verjährungsrecht beschlossen. Sobald diese in Kraft tritt, sollen die Opfer oder ihre geschädigten Angehörigen ein Jahr lang Zeit haben, ihre verjährten Ansprüche geltend zu machen. Der Ständerat folgte diesem Vorschlag seiner Kommission mit 33 zu 8 Stimmen.
Diese Lösung steht jedoch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass die Ansprüche nicht durch ein Sonderregime befriedigt werden, etwa durch einen Entschädigungsfonds. Über einen solchen wird derzeit im Rahmen eines Runden Tisches unter der Leitung von alt Bundesrat Moritz Leuenberger diskutiert.
Schweizer Frist für Strassburg zu kurz
Hintergrund der aussergewöhnlichen Lösung ist ein Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom März 2014. Darin werden die Schweizer Verjährungsfristen als zu kurz gerügt. Asbestopfer oder ihre Angehörigen könnten ihre Ansprüche unmöglich innerhalb der vorgesehenen zehn Jahre geltend machen.
«Nichtstun ist keine Möglichkeit», stellte Stefan Engler (CVP/GR) daher fest. Die Frage dürfe nicht wie eine heisse Kartoffel zwischen Parlament, Bundesrat und Wirtschaft weitergereicht werden. Irgendwann müsse jemand einen «Befreiungsschlag» wagen, sagte Engler.
Alex Kuprecht (SVP/SZ) lehnte die Sonderlösung ab. «Was verjährt ist, hat verjährt zu bleiben», sagte er. Alles andere sei ein Verstoss gegen die Rechtssicherheit. Ausserdem habe die Wirtschaft kein Interesse daran, einen Entschädigungsfonds einzurichten, wenn es eine «Lex Asbest» gebe. Dann würden jene leer ausgehen, die keine rückwirkenden Ansprüche geltend machen könnten, sagte Kuprecht.
Genau das Gegenteil sei der Fall, sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga. Ausserdem sei der Entscheid des EGMR für die Schweiz verbindlich. Es sei Aufgabe der Politik und nicht der Gerichte, dieses Problem zu lösen. Der Nationalrat hatte letztes Jahr ebenfalls über eine Sonderlösung für Asbestopfer diskutiert, diese aber verworfen. Nun wird er sich noch einmal mit der Frage befassen müssen.
Verjährungsfristen nicht verlängert
Auch über den Kern der Revision, die Verlängerung der geltenden Verjährungsfristen, sind sich die Räte noch nicht einig geworden. Der Bundesrat hat vorgeschlagen, die Frist für die Geltendmachung von Ansprüchen in Fällen von Tötung oder Körperverletzung von heute 10 Jahren auf 30 Jahre zu verlängern.
Auslöser war die Erkenntnis, dass gewisse Personenschäden erst sehr lange nach dem schädigenden Ereignis auftreten. Typisch sind asbestbedingte Krankheiten. Aber auch die Brandkatastrophe von Gretzenbach SO 2004 förderte Mängel im Verjährungsrecht zutage: Beim Einsturz einer Tiefgarage starben damals sieben Feuerwehrleute. Weil die Baumängel, die zum Einsturz geführt hatten, schon verjährt waren, konnten die Angehörigen keine Ansprüche geltend machen.
Der Nationalrat war allerdings nicht dem Bundesrat gefolgt, sondern hatte eine Verlängerung der Frist auf lediglich 20 Jahre beschlossen. Im Ständerat setzte sich eine bürgerliche Minderheit durch, die beim geltenden Recht bleiben wollte. Kein Zeuge könne sich an Vorgänge erinnern, die 30 Jahre zurücklägen, sagte Thomas Hefti (FDP/GL). Ausserdem müsste dann konsequenterweise auch die Pflicht zur Aufbewahrung von Akten verlängert werden, was der Bundesrat aber abgelehnt habe.
Nur bereits Erkrankte profitieren
Der Entscheid des Ständerats, die Verjährungsfristen nicht zu verlängern, trifft gerade auch die Asbestopfer. Von der Sonderlösung allein würden nämlich nur jene profitieren, die bereits erkrankt sind und daher innerhalb der Nachfrist einen Schaden geltend machen können. Tausende, die in Zukunft noch an den Folgen von Asbest erkranken werden, müssten auf eine Fonds-Lösung hoffen oder ihre Klage auf das EGMR-Urteil stützen.
Bei den besonderen Vertragsverhältnissen hingegen sind sich die Räte einig. Die Verjährung bei Miet- und Pachtverträgen, Arbeitsverträgen, Lebensmittellieferungen oder Geschäften mit Anwälten und Notaren soll weiterhin nach 5 Jahren eintreten. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, die Frist auf 10 Jahre zu verlängern.
Verlängert würde damit lediglich die sogenannte relative Verjährungsfrist: Sobald ein Geschädigter Kenntnis hat von seinem Anspruch, hatte er bisher ein Jahr lang Zeit, diesen geltend zu machen. Künftig soll die Frist drei Jahre betragen. In der Gesamtabstimmung hiess der Ständerat die Vorlage ohne Gegenstimme, aber mit 8 Enthaltungen gut. Diese geht nun zurück an den Nationalrat.