Der mutmassliche Chemiewaffenangriff von Chan Scheichun ist laut dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu «hundert Prozent konstruiert». Die syrische Armee verfüge über keine Chemiewaffen mehr.
Assad warf dem Westen und vor allem den USA in einem Exklusiv-Interview mit der Nachrichtenagentur AFP in Damaskus vor, den angeblichen Chemiewaffenangriff als «Vorwand» für den US-Luftangriff auf die syrische Armee genutzt zu haben.
In seinem am Mittwoch geführten ersten Interview nach dem US-Angriff auf eine syrische Luftwaffenbasis vor einer Woche sagte Assad mit Blick auf den mutmasslichen Chemiewaffenangriff: «Das ist für uns zu hundert Prozent konstruiert.» Der Westen und die USA arbeiteten eng mit den «Terroristen» zusammen, fügte er mit Blick auf seine bewaffneten Gegner in Syrien hinzu.
«Nie» eingesetzt
Den Vorwurf westlicher Länder, dass die syrische Luftwaffe den Chemiewaffenangriff auf Chan Scheichun geflogen habe, wies Assad zurück: «Wir haben keine Chemiewaffen. (…) Vor mehreren Jahren, 2013, haben wir auf unser gesamtes Arsenal verzichtet.» Selbst wenn Damaskus solche Chemiewaffen noch hätte, hätte es diese «nie» eingesetzt.
Der syrische Machthaber machte darüber hinaus deutlich, dass er nur einer «unabhängigen» externen Untersuchung des mutmasslichen Chemiewaffenangriffs zustimmen werde. «Wir können eine Untersuchung nur erlauben, wenn sie unabhängig ist», sagte er. Unparteiische Länder müssten Teil einer solchen Untersuchung sein, um sicherzustellen, dass diese nicht für politische Zwecke genutzt werde.
Der Westen wirft der syrischen Luftwaffe vor, am 4. April einen Giftgasangriff auf die Kleinstadt Chan Scheichun im Nordwesten Syriens geflogen zu haben. Dabei waren nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte 87 Zivilisten getötet worden, unter ihnen 31 Kinder.
Ärzte und Aktivisten vor Ort bezeichneten die Symptome der Opfer als typisch für Giftgas. Die Bilder der Toten und der leidenden Menschen hatten weltweit für Entsetzen gesorgt. Moskau und Damaskus hatten jegliche Verantwortung für den Chemiewaffenangriff bestritten und mitgeteilt, bei einem Luftangriff sei ein Giftgaslager der Rebellen getroffen worden.
Am vergangenen Freitag griffen die USA als Vergeltung einen syrischen Luftwaffenstützpunkt mit Marschflugkörpern an. Es war der erste direkte Angriff des US-Militärs auf die syrischen Regierungstruppen.
Schlagkraft nicht beeinträchtigt
Assad sieht durch diesen Angriff die Schlagkraft der eigenen Armee in keiner Weise beeinträchtigt. «Unsere Feuerkraft, unsere Fähigkeit, die Terroristen anzugreifen, ist durch den Angriff nicht beeinträchtigt worden», sagte er.
Über die bisherigen Friedensverhandlungen sagte er, Washington sei nicht ernsthaft an einer politischen Lösung interessiert. «Die USA meinen es nicht ernst in ihrem Bemühen um eine politische Lösung», sagte der syrische Machthaber. «Sie wollen den politischen Prozess nutzen, um die Terroristen zu schützen.»
Der Syrien-Krieg hatte im Frühjahr 2011 im Zuge des Arabischen Frühlings mit zunächst friedlichen Protesten gegen Assad begonnen. Seither wurden mehr als 320’000 Menschen bei den Kämpfen getötet und Millionen Syrer in die Flucht getrieben. Die USA, Russland und zahlreiche weitere Konfliktparteien sind in den Syrien-Krieg involviert.
USA des Giftgaseinsatzes bezichtigt
Syrien versuchte am Donnerstag, den USA die Verantwortung für eine angebliche Freisetzung von giftigen Stoffen im Osten des Landes anzulasten. Das staatliche Fernsehen berichtete, bei einem Angriff der von den USA angeführten Militärkoalition am Mittwoch sei ein Giftgas-Depot der Terroriliz Islamischer Staat (IS) getroffen worden.
Die dabei freigesetzte Substanz habe Hunderte Menschen getötet. Der Zwischenfall in der Provinz Deir al-Sor beweise, dass der IS und die mit der Al-Kaida verbundenen Extremisten Chemiewaffen besässen.
Die US-Koalition wies diese Darstellung umgehend zurück: Sie habe zu der Zeit und in dem Gebiet keine Luftangriffe geflogen, teilte der US-Luftwaffenoberst John Dorrian, ein Sprecher der Koalition, der Nachrichtenagentur Reuters per E-Mail mit. «Die Behauptung Syriens ist falsch und wahrscheinlich eine absichtliche Fehlinformation.»
Das russische Verteidigungsministerium erklärte, es habe keine Informationen darüber, dass Menschen bei einem Angriff der internationalen Koalition in Deir al-Sor getötet worden seien.
18 verbündete Kämpfer getötet
Die US-geführte Militärkoalition hat nach eigenen Angaben bei einem Luftangriff in Syrien versehentlich 18 Kämpfer von verbündeten örtlichen Truppen getötet. Irrtümlich seien im Norden des Landes Einheiten der arabisch-kurdischen Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) beschossen worden, teilte die Allianz am Donnerstag mit.
Der Angriff südlich von Takba sei von den SDF selbst angefordert worden. Diese hätten das daraufhin am Dienstag attackierte Ziel irrtümlich als Stellung des IS identifiziert gehabt, hiess es in der Mitteilung.