Assange, der nervige Narziss

Ein Thriller. Ein narzisstischer Revolutionär. Sein biederer Gehilfe. Eine explosive Mischung. Daniel Brühl und Benedict Cumberbatch mischen in «The Fifth Estate» die Mächtigen der Welt gründlich auf. Der «Tiers état» war in der französischen Revolution die Klasse der Nicht-Privilegierten. Die ersten zwei Minuten des Vorspanns von «The Fifth Estate» stellen bestechend genau dar, wie eine […]

Benedict Cumberbatch als Julian Assange.

Ein Thriller. Ein narzisstischer Revolutionär. Sein biederer Gehilfe. Eine explosive Mischung. Daniel Brühl und Benedict Cumberbatch mischen in «The Fifth Estate» die Mächtigen der Welt gründlich auf.

Der «Tiers état» war in der französischen Revolution die Klasse der Nicht-Privilegierten. Die ersten zwei Minuten des Vorspanns von «The Fifth Estate» stellen bestechend genau dar, wie eine politische Kraft mit digitalen Mitteln in die politische Debatte eingreift. Mit einer neuen, revolutionären Auffassung von Wahrheit. Die Machthaber verlieren deren Deutungs-Monopol: Wikileaks lässt in «The Fifth Estate» Bilder selber sprechen. Julian Assange will den Mächtigen das Informationsmonopol aus den Händen schlagen. Um der Wahrheit willen.

Doch was ist Wahrheit? In der ersten Minute ist der Satz «Es ist ein kleiner Schritt für mich, aber ein grosser für die Menschheit» zu hören, ohne Zweifel eine Ikone der Geschichtsschreibung – und deshalb wahr? Der Film spielt gleich zu Beginn mit der ironischen Tatsache, dass die Machthaber damals darüber nachdachten, den Mondflug in einem Fake zu dokumentieren, falls er falliert. Was wir in «The Fifth Estate» zu diesem Satz sehen, sind die Bilder der Bombardierung Vietnams mit Napalm. Als wollte der Satz diese Bilder kommentieren, oder die Bilder den Satz revidieren. Die Deutungshoheit ist in Frage gestellt.

Schafft Assange selbst die Deutungshoheit von Wirklichkeit?

Bereits vor der Première holte den Film die Wirklichkeit ein: Der echte Julian Assange schrieb an den Film-Assange: Er mochte das Drehbuch nicht. Er liess vor der Première, ganz wie es sich gehört, das geheim gehaltene Drehbuch auf WikiLeaks veröffentlichen. Er, der sich gerne in der Wir-Form darstellt, stellte einen umfangreichen Kommentar ins Netz, der dem Film Wahrheitsuntreue nachweist. Da Wahrheit im Melodram aber ein Schimpfwort ist, hat er sich damit auf das Niveau des politischen Boulevard begeben und ihn eigentlich erst geadelt. Für den Film ist es nicht mehr als eine pikante Fussnote: Die widerlegte Wahrheit ist jetzt auch nur ein neuer Teil einer neuen komplexen Wahrheitsflut.

Das Medium ist längst mehr als «the message»

Wie kommt mediale Wahrheit zustande, wenn uns die Bilder neu vorgeschrieben werden? Mit dieser Methode stösst «The Fifth Estate» gleich in den ersten Minuten mitten in den Kern der Diskussion vor. Nach dem NSA-Skandal scheint es logisch, dass gegen geheimdienstliche Geheimniskrämerei nur der komplette, schonungslose Informationstsunami hilft. Machtwissen soll durch Wissen um die Macht ausgehebelt werden.

Regisseur Condon ist kein politischer Analytiker. Aber er erkennt die Mythen, die die Politik zu Pop machen.

Der Film-Assange erkennt früh, dass die Informationsflut des globalen Netzes auch die Machthaber vor neue Probleme stellt: Die Presse ist nicht mehr im Besitz des Bildermonopols, die das Bildungsmonopol der Mächtigen verteidigt. Die Kommentarhoheit, darüber, wie Bilder zu verstehen sind, wird durch den schonungslosen «Not Secret Service» im globalen Netz aufgelöst. Assange betreibt mit Wikileaks den unheimlichen Ungeheimdienst unserer Zeit.

Der Einzelgänger als Cyber-Truppe

Der Film-Assange argumentiert dabei umsichtig und klug: Die Informationsmenge sei seit den Chinesen, Ägyptern, Sumerern, Griechen, Römer etc. stetig angewachsen – in den Händen der Machthaber. Machthaber haben Informationen zu ihrer Geschichte immer gerne der Nachwelt hinterlassen – von Siegern geschrieben, die ihre Version für die Nachwelt redigierten. Wikileaks greift nun frontal an, und macht dadurch eines möglich: Die Wahrheit kann von jedem neu redigiert werden. Informationen stehen jetzt – scheinbar – ungefiltert zur Verfügung.

Der Regisseur Condon ist kein politischer Analytiker. Aber er erkennt die Mythen, die die Politik zu Pop machen. Er nutzt die Kräfte der Verschwörungstheorie und setzt hierbei radikal auf Thrillertechnik: Assanges Wikileaks verspricht jedem, der Machtwissen preisgibt, Schutz. Dass dieser Schutz selber auf der Blossstellung Schutzloser beruht, ist nur einer der Widersprüche, die Julian Assange auf sich vereint: Er ist kein widerspruchsfreier Denker. Er verhilft der Macht zu neuer Mächtigkeit. Im Film wird uns deutlich genug gezeigt, dass es Hacker wie ihn wie Sand am Meer gibt – im Dienste der strengen Geheimhaltung.

Wie der Film in den Wald ruft, ruft der Geheimdienst zurück   

Assange hat hingegen eine gute Nase für gesellschaftliche Widersprüche: «Gib einem Mann eine Maske, und er wird dir die Wahrheit sagen» zitiert er im Film Oscar Wilde. Doch der Schutz, den er gewährt, ist nur dünn. Assange hat zwar schnell erkannt, dass, seit der globalen Vernetzung der Informationstechnologie, die Mächtigen vor einem geschichtlich neuen Problem stehen. Die geschichtliche Wahrheit ist nicht mehr ein schützbarer Besitz der Mächtigen. Selbst Frau Merkel muss nicht mehr persönlich anrufen, wenn sie Obama mitteilen will, was sie über ihn denkt.

Doch «The Fifth Estate» greift weiter: Assange will die Redigierung von Wahrheit durch die Sieger blosstellen. Mit den grausamen Interna eines «humanen» Krieges, wird auch die Doppelzüngigkeit der Politik publik. Die Redaktion der Sieger, die Kriege immer widerspruchsfrei führen wollen, wird endgültig ausgehebelt.

Assange mochte den Film nicht – wir verstehen warum

Der Regisseur Condon entlarvt seinen Helden mit ungeschützer Wahrheit: Assange ist hoffnungslos selbstbezogen. Benedict Cumberbatch spielt einen nervigen Narziss, der aus seiner problematischen Vergangenheit als Sektenkind in Einzelgängertum flüchtet. Nur sein Kumpel Daniel Berg (in Wirklichkeit Daniel Domscheit-Berg), den Daniel Brühl brilliant bieder zeichnet, durchschaut rasch die mehrfachen Hacker-Identitäten des labilen Chefaufdeckers. Assange ist unerbittlich seinem Ziel der Revolution verpflichtet.

Wer bei Condon die Muster der Darstellung von Revolutionären in der Dramatik vermutet, liegt zumindest nicht falsch: Er beherrscht vielleicht nicht den politischen Diskurs, aber das Melodram. Auch wenn die Geschichte immer im Dienste der Sieger geschrieben wird: Diese Revolution ist noch nicht beendet: Täglich erreichen uns noch heute die Meldungen aus den ersten Schockwellen der WikiLeaks-Veröffentlichungen: Die ersten Opfer sind schon verurteilt. Andere sitzen in Botschaften fest. Diese Revolution kann sich immer noch in den Dienst des Guten stellen. Wie es die Revolution der französischen Bürger einst auch tat: Dem unerbittlichen, selbstbezogenen Idol Assange (Robespierre) steht der kompromissbereite Aufklärer Berg mit seinen Skrupeln gegenüber (Danton).  

Erzählmuster aus der revolutionären Dramatik

Condon schafft einen weiten Bogen: Bis zum Auftauchen von Wikileaks haben die Medien zuverlässig die Informationen zu geschichtlichen Wahrheit für die Sieger redigiert, blutige Bilder aus Vietnam vermieden, Greuel aus den Kolonialkriegen verniedlicht etc. Die Medien waren immer verlässliche Partner in einer Hinsicht: Sie haben immer ihre Quellen geschützt. Doch Assange wird zu einem unzuverlässigen medialen Partner für die Mächtigen und die Ohnmächtigen. Assange führt mit der Veröffentlichung der Hinterzimmer-Diplomatie der Welt plötzlich vor Augen, dass die Mächtigen in ihren Absichten doch recht billige Schweinebacken sind, aber tausende Mitläufer haben.

Das Wissen der Mitläufer über ihre Herren hat selten wie heute Einblick in die Hinterzimmer der Macht verschafft.

Damit wird die Wahrheit der Mächtigen noch nicht mit aller Macht ausgehebelt. Aber die Folgen sind schleichend. Wenn Bundeskanzlerin Merkels Telefonnummer plötzlich ans Licht kommt, kann sich jeder selbst einen eigenen Reim darauf machen. Zum ersten Mal erweist sich das oberste Machtwissen als ungenügend gesichert. Haben die totalitären Systeme ihre Informationsbeschaffung bei Bürgern noch geheimhalten können, sind heute selbst die Geheimdienste an einem Punkt angelangt, wo sie das Wahrheitsmonopol aufgeben müssen.

Wenn die Überwacher nicht überwacht werden können, werden sie halt enlarvt

Machtwissen ging immer auch durch die Hände der Mitläufer. Neu ist aber, dass dieses Machtwissen global gegen Tausende von müden Mitläufern verteidigt werden muss. Das Wissen der Mitläufer über ihre Herren hat selten wie heute Einblick in die Hinterzimmer der Macht verschafft. Die Wahrheit kann uns zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ungefiltert erreichen. Ob sie bei uns als Wahrheit ankommt, lässt der Film offen:

Wie der Film beginnt, so hat er seine Höhepunkte auch in seinen Bildkommentaren: Während wir die schreiende Armut in Kenya vor Augen haben, hören wir von den Daten der Milliarden-Konten der Bank Julius Bär. Ausgerechnet in den Kulissen des Künstlertreffs «Tacheles» in Berlin werden die Kontakte für den Beginn des grossen Informationsangriffs gestartet.

Die Mächtigen in ihrem Machtmonopol angreifen

Assange betont es im Film gleich mehrfach: Wer Machtverhältnisse ändern will, muss Opfer in Kauf nehmen. Selbst im Dienste der Gerechtigkeit oder des Humanismus haben Denker der Revolution nie widerspruchsfrei argumentieren können, höchstens etwas realistischer gehandelt. In der Geschichte der Menschheit hat nur selten ein Kampf um mehr Gerechtigkeit oder Aufklärung die Mächtigen freiwillig auf ihre Privilegien verzichten lassen.

  • «The Fifth Estate» läuft u.a. in Basel im Küchlin.

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