Asylgesuche wegen sexueller Orientierung nehmen zu

Schwule und Lesben werden in vielen Teilen der Welt verfolgt. Jedes Jahr beantragen Tausende Homosexuelle Asyl in Europa. Einer von ihnen ist Joseph B. Er wartet im Kanton Luzern auf die Antwort auf sein zweites Asylgesuch.

Solidarität mit Homosexuellen aus Uganda in Südafrika (Archiv) (Bild: sda)

Schwule und Lesben werden in vielen Teilen der Welt verfolgt. Jedes Jahr beantragen Tausende Homosexuelle Asyl in Europa. Einer von ihnen ist Joseph B. Er wartet im Kanton Luzern auf die Antwort auf sein zweites Asylgesuch.

Joseph B. entdeckt seine Homosexualität mit 22. Wäre er Schweizer, Deutscher, Franzose, würde er jetzt wahrscheinlich das Gespräch suchen mit seinen Eltern, seinen zwei Brüdern, seinen zwei Schwestern. Ein solches Gespräch kann unangenehm sein. Doch in Uganda, wo Joseph B. lebt, ist ein Coming-out lebensgefährlich. Das zeigt die Reaktion seiner Familie, als sie Jahre später von seiner sexuellen Orientierung erfährt: «If we get him, we kill him.»

Heute ist Joseph B. 29. Er wohnt im Kanton Luzern. Dort wartet er auf die Antwort auf sein zweites Asylgesuch in der Schweiz. Er befindet sich jetzt in einem Land, in dem gleichgeschlechtliche Paare nahezu die gleichen Rechte haben wie heterosexuelle.

Doch nur rund dreissig Staaten ermöglichen gleichgeschlechtlichen Paaren die vollwertige Ehe oder eine eingetragene Partnerschaft.

In über siebzig Ländern steht Homosexualität unter Strafe. Joseph B. drohte in Uganda eine Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren. Er ist ein LGBTI-Asylsuchender. Die Abkürzung steht für Menschen, die lesbisch, schwul, bisexuell, transgender oder intersexuell sind.

«Der Mensch ist frei geboren …»

Joseph B. spricht langsam und leise. Er erzählt, wie er sich eines Tages gesagt hat: Jetzt ist fertig mit dem Versteckspiel. Während seines Studiums der Kommunikationswissenschaft in Kampala verfasst er einen Beitrag für die Schulzeitung. Im Titel zitiert er Rousseau: «Der Mensch ist frei geboren und liegt doch überall in Ketten.» Ab sofort steht er unter Beobachtung.

Joseph B. spricht von «Tagen der Folter», die er in Uganda erlebt habe. Begonnen habe alles, als er und sein Freund in einem Hotel beim Sex erwischt worden seien. Deshalb sei er von der Universität geflogen und noch schlimmer: Die Schulleitung habe die Eltern über seine «Krankheit» informiert. Er sei daraufhin in sein Heimatdorf geflohen. Dort habe ihn der Militärgeheimdienst aufgespürt.

Die Männer hätten ihn verschleppt, mit heissem Wasser verbrüht und an den Geschlechtsorganen verletzt. Irgendwann sei er zurück nach Kampala gebracht worden. Dort wäre er früher oder später vor Gericht gelandet. Ein Freund habe dann seine Flucht organisiert. Und auch dafür bezahlt. Diese Flucht endet im Empfangszentrum Vallorbe im Waadtland.

Das Bundesamt für Migration BFM zweifelt am Wahrheitsgehalt seiner Geschichte. Es tritt im Oktober 2011 nicht auf sein Asylgesuch ein. Joseph B. habe nicht glaubhaft darlegen können, dass er von den ugandischen Sicherheitsbehörden wegen seiner Homosexualität behelligt worden sei. Erschwerend kommt hinzu, dass er keine Identitätspapiere vorweisen kann. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigt den Entscheid.

Joseph B. muss – wie jeder Asylsuchende – belegen können, dass er in seinem Heimatland verfolgt wird oder ihm Verfolgung droht, damit er als Flüchtling anerkannt werden kann. «Eine einfache Diskriminierung reicht nicht», so das BFM. Die Bedrohung muss nicht zwingend vom Staat ausgehen, sie kann auch von der Familie, vom Arbeitgeber kommen. «Dann stellt sich die Frage, ob die Person bei den Behörden Schutz suchen kann», sagt Liselotte Barzé-Loosli vom BFM.

Klare Zunahme

Seit den 80er-Jahren anerkennen Behörden und Gerichte weltweit, dass die Verfolgung wegen Homosexualität ein Asylgrund sein kann. Neu ist der Begriff LGBTI. Immer mehr betroffene Asylsuchende finden den Weg in die Schweiz.

«In den vergangenen fünf bis acht Jahren hat ihre Zahl klar zugenommen», sagt Barzé-Loosli. Sie leitet im BFM die Fachgruppe geschlechtsspezifische Verfolgung. Genaue Zahlen weist das Bundesamt nicht aus. Eine holländische Studie von 2011 geht von bis zu zehntausend LGBTI-Anträgen pro Jahr in der EU aus.

Zwischen den EU-Staaten bestehen grosse Unterschiede bei der Asylgewährung. Wo steht die Schweiz? «Die Rechtsprechung der Schweiz bei homosexuellen Asylsuchenden ist relativ restriktiv», sagt Seraina Nufer von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Das BFM hingegen erklärt, für LGBTI-Asylsuchende gelte, was auch für alle anderen Asylsuchenden gilt: Oft werde kein Asyl gewährt, weil die Schilderungen nicht glaubhaft seien. Es sei zudem einfach, sich im Asylverfahren als homosexuell auszugeben.

Spricht er mit hoher Stimme?

Früher behalfen sich die Migrationsämter mit Klischees: Wie gestikuliert der Asylsuchende? Spricht er mit hoher Stimme? Zumindest bis 2007 hielt das Bundesamt für Migration in Entscheiden fest, ob das Aussehen oder die Gestik derjenigen eines Homosexuellen entsprach. Es stellte zudem explizit sexuelle Fragen.

Wer sich nicht auskannte in der Schwulenszene seiner Heimatstadt, war nicht glaubwürdig. Dasselbe galt, wenn jemand erklärte, er habe bisher nur mit einer einzigen gleichgeschlechtlichen Person in einer Beziehung gelebt. Ein Schwuler wechselt seine Partner doch ständig, so das Stereotyp. Die tschechischen Behörden prüften schwule Asylsuchende, indem sie ihnen Pornos vorspielten. Erst 2009 wurde der Erregungstest gestoppt.

Auch in der Schweiz hat ein Umdenken stattgefunden. «Herauszufinden, ob der Asylsuchende wirklich homosexuell ist, steht nicht im Vordergrund», sagt Liselotte Barzé-Loosli vom BFM. Vielmehr gelte es abzuklären, ob die Person eine begründete Furcht hat, im Fall einer Rückkehr verfolgt zu werden.

«Untypische Homosexuelle»

Ob die Antworten als glaubwürdig erachtet werden, hänge nach wie vor von äusseren Merkmalen ab, sagt Pascale Navarra von Queeramnesty, einer Gruppe von Amnesty International, die LGBTI-Asylsuchende unterstützt. «Einem femininen Mann oder einer maskulinen Frau wird auf Anhieb mehr Glauben geschenkt als einem ‚untypischen‘ Homosexuellen.»

Flüchtlinge aus Ländern, in denen homosexuelle Handlungen als Straftat gelten, erhalten nicht automatisch Asyl. Das Bundesverwaltungsgericht hielt 2011 in einem Urteil fest: In Afghanistan würden homosexuelle Handlungen zwar kriminalisiert, «indessen berichten verschiedene seriöse Quellen, es seien seit dem Sturz der Taliban keine Todesstrafen wegen Homosexualität verhängt worden». Das Gesuch des homosexuellen afghanischen Asylsuchenden wurde abgelehnt.

Der Jurist Martin Bertschi zählte von 1993 bis 2007 in der Schweiz neunzig Asylgesuche, bei denen die sexuelle Orientierung als Verfolgungsgrund genannt wurde. Nur vier Personen erhielten Asyl. Queeramnesty hat seit 2010 rund fünfzig LGBTI-Asylsuchende betreut. Von ihnen wurden ebenfalls vier anerkannt.

Das macht acht Flüchtlinge auf rund 140 Asylgesuche. Die LGBTI-Anerkennungsquote liegt damit unter dem Durchschnitt. Über die letzten drei Jahre wurde in der Schweiz knapp jedes siebte Gesuch bewilligt. Die tiefe Quote hänge auch mit dem Asylgesetz zusammen, sagt Queeramnesty. Darin ist seit fünfzehn Jahren die Rede von frauenspezifischen Fluchtgründen. Gemeint sind unter anderem Zwangsheiraten. Die Forderung, auch die geschlechtsspezifische Verfolgung ins Asylgesetz aufzunehmen, lehnte der Nationalrat 2009 deutlich ab.

«Ugandas Top-Homos»

Oft sind es die Medien in der Heimat, welche die Stimmung gegen Homosexuelle anheizen. Diese Erfahrung macht auch Joseph B. Seine Erzählungen mögen schwer nachprüfbar sein, doch die Botschaft, welche die ugandische Zeitung «Daily Onion» am 21. November 2011 verbreitet, ist unmissverständlich.

Joseph B. – damals bereits in der Schweiz – habe die von ihm gegründete Organisation zum Schutz von Waisenkindern nur als Deckmantel benutzt, um Knaben in die Sex-Falle zu locken. Neben dem Artikel ein Foto von Joseph B. In den Wochen darauf folgen weitere Zeitungsberichte, in denen sein Name fällt.

David Kato, einer der prominentesten Schwulenaktivisten Ugandas, wurde ebenfalls zur Zielscheibe der homophoben Presse. Katos Bild war im Oktober 2010 unter den «100 Fotos von Ugandas Top-Homos» in der Boulevardzeitung «Rolling Stone» (nicht verwandt mit dem Rockmagazin). «Hang them: They are after our kids!», forderte das Blatt. Vier Monate später war David Kato tot. Erschlagen mit einem Hammer.

Nach Darstellung der Behörden wurde Kato Opfer eines Streits mit einem Callboy. Auch der «Rolling Stone»-Chefredaktor schloss einen Zusammenhang mit der Hetzkampagne aus. Schliesslich habe man dazu aufgerufen, Homos zu hängen. Kato aber sei erschlagen worden.

Anhörung wäre zwingend gewesen

Mit den Zeitungsartikeln in der Hand stellt Joseph B. im Dezember 2011 ein zweites Asylgesuch. Diesmal braucht das BFM länger für den Entscheid, es verstreichen neun Monate bis zur negativen Antwort: Die Zeitungsartikel seien zwar nicht gefälscht, doch enthielten sie keinen Hinweis auf eine Verfolgung in Uganda.

Weil Joseph B. keine Ausweispapiere besitze, sei zudem nicht klar, ob die Artikel von ihm handelten. Und es sei nicht auszuschliessen, dass es sich bei sämtlichen Artikeln um Gefälligkeitsartikel handle. Mit anderen Worten: Joseph B. könnte den «Daily Onion»-Journalisten von der Schweiz aus angestiftet haben, ihn als Pädophilen zu verunglimpfen.

Diesmal pfeift das Bundesverwaltungsgericht das Bundesamt für Migration zurück. Das BFM lasse durchblicken, dass im Fall von Joseph B. Hinweise auf Verfolgung bestünden, urteilt das Gericht im Oktober 2012. Dieser hätte deshalb zwingend zu einer Anhörung eingeladen werden müssen.

Die Anhörung fand vor über einem Jahr statt. Die Fragen der Beamten seien in Ordnung gewesen, sagt sein Anwalt Sven Gretler. «Die Atmosphäre war korrekt bis freundlich.» Seither wartet Joseph B. auf den Entscheid.

«Homosexuelle haben den Streit in Uganda verloren»

Ugandas Präsident Yoweri Museveni hat eben erst ein neues Gesetz unterzeichnet. Schwule und Lesben können nun bei mehrfachen Verstössen gegen das Anti-Homosexuellen-Gesetz zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt werden. «Homosexuelle haben den Streit in Uganda verloren», sagte Museveni. Im ursprünglichen Entwurf war gar die Todesstrafe vorgesehen. Wie in Mauretanien, wie im Sudan, wie in Teilen Nigerias und Somalias, wie im Iran, wie in Saudiarabien, wie im Jemen.

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