«Återträff» – Operation am eignenen offenen Hirn

Klassentreffen sind Klasseee! Da sieht man sich selber wieder, wie man vor Jahren war! Bloss, will man sich überhaupt kennenlernen, wie man damals gesehen wurde? Die Schwedin Ann Ordell stellt in Venedig einen filmischen Selbstversuch vor. Eine Grenzgängerin. Anna Odell Klassentreffen sind Klasseee! Da sieht man sich selber wieder, wie man vor Jahren war! Mit […]

Klassentreffen sind Klasseee! Da sieht man sich selber wieder, wie man vor Jahren war! Bloss, will man sich überhaupt kennenlernen, wie man damals gesehen wurde? Die Schwedin Ann Ordell stellt in Venedig einen filmischen Selbstversuch vor.

Eine Grenzgängerin. Anna Odell

Eine Grenzgängerin. Anna Odell

Klassentreffen sind Klasseee! Da sieht man sich selber wieder, wie man vor Jahren war! Mit all den Fehlern, Macken, Träumen? Tatsächlich könnte man nirgendwo so ungefiltert auf sich selber treffen, wie wenn man sich noch einmal, wie als Kind, gegenüberstehen könnte. Bei Klassentreffen geht das fast: Zumindest steht man den Enttäuschungen und Erwartungen und Hoffnungen den Kindern von damals als Erwachsener gegenüber. Deshalb sind Klassentreffen meist übersteuert fröhliche Anlässe, die selten nüchtern enden. 

Wenn Anna Odell in ihrem «Återträff» gleich zu Beginn ihre Hauptfigur die Klasse-Party mit der nüchternsten Offenbarungsrede killt, dann hat das mit ihrer Geschichte zu tun. Sie ist als Kind gemobbt worden. Sie richtet also gleich zu Beginn der Klassenfeier alle Aufmerksamkeit auf die wunden Punkte. Sie weiss auch, wem sie etwas vorzuwerfen hat: den anderen, und sie fängt auch an Namen zu nennen, laut zu werden, bis an die Grenze des erträglichen. Bis sie einen Platzverweis erhält.

Erstes Zeil erreicht: Das nervt!

Wenn wir nun nach zwanzig Minuten unverhohlen zum Ausgang des Kinos schielen, hatt Ann Gardell als Ann wie als deren Schaupielerin (sie spielt die Hauptrolle selbst) ihr Ziel erreicht: Sie nervt. Dass wir dennoch bleiben ist der Regisseurin Anna Odell zu verdanken: Was interessiert uns an diesem Arengement?

Anna Odell hat 2009 bereits sich selbst gespielt. Nicht vor der Kamera. Nicht auf der Bühne. In Stockolm provozierte sie die Polizei zu einer Akut-Einlieferung in die Psychiatrie. Sie löste das Spiel erst auf, als sie zwangsmediziniert wurde. Als Kunstprojekt. Und wurde dafür postwendend angeklagt. Jahre zuvor war die selbe Anna bereits eingeliefert worden. Damals als echte Patientin.

Spielt diese Frau mit dem Feuer, sich selbst oder uns allen.   Bei dieser Frau ist Spiel von Wirklichkeit schwer zu unterscheiden.

Zweites Ziel erreicht: Wir fangen an, uns zu interessieren

Wir sind im nun im zweiten Drittel des Films: Jetzt fängt der Rückblick auf das Mobbing erst an. Was wir von heute gesehen haben, war bloss Fiktion. Anne stellt sich nun die wirklichen Figuren ihrer Fiktion gegenüber: Jetzt verhalten sich die zur Rede gestellten zur ihrer Rede wie Zuschauer ihres eigenen Lebens: Jetzt sind wir plötzlich mitten im Film, aus dem wir uns schon verabschieden wollten. Jetzt wollen die Darsteller von ihren Figuren wissen, wer bin ich?

Möglicherweise hat Anna nämlich recht: Sie ist zum Klassentreffen nicht eingeladen worden. Sie wird auch von den erwachsenen Schulkollegen gemieden. Sie ist es plötzlich, die die anderen zurechschreibt, indem Sie sie einer Wirklichkeit gegenüberstellt, in der das Mobbing anfängt: Wenn in einer Gruppe Hierarchien heimlich aufrecht erhalten werden. Mit einem Mal ist die Frage was sind wir mehr, das, wie die anderen uns sehen sollen, oder das, wie wir uns selber sehen?

Dritte Ziel: Jetzt interessieren wir uns für uns selbst

Als dann, im dritten Teil von «Återträff» gar die Schauspieler auf die Figuren treffen dürfen, um herauszufinden, wer sie im Film waren, wendet der Film noch einmal das Blickfeld: Jetzt ist die Frage, wie denn Kunst, Fiktion, sich zum privaten Leben verhalten darf, neu gestellt. Wie viel in diesem Spiel wohnt, wird dann in der einfachsten, letzten Szene plötzlich klar, wenn Annas Darsteller auf die echten Klassenkameraden treffen: Trifft eine Figur auf einen Schauspieler, sind wir wieder mitten im Klassentreffen:

Dort wo der Erwachsene auf sich selber als Kind traf. Oder zumindest auf das Bild, das die anderen Kinder sich von ihm gemacht haben. Kinder, die heute als Erwachsene sagen dürfen, sie seien damals halt Kinder gewesen. Und Kinder können grausam sein. An diesem geglückten Schluss widersetzt sich der Mobber von Damals der Meinung der anderen von heute. Er tut das vor seiner eigenen Haustür, ehe er in seine heutige Rolle zurückschlüpft. Als einer, der mit sich als Kind nichts zu tun haben will. Der Kreis schliesst sich.

Risiko wird nur teilweise belohnt

Der Film ist für ein Erstlingswerk mit höchstem Risiko auf Schauspieler-Arbeit gestellt. Da ist ein bravouröses Ensemble am Werk, das aus der soliden schwedischen realistischen Schauspieltradition kommt. Hätte Anna Odell als Hauptdarstellerin die gleichen Werkzeuge zur Verfügung, wie als Regisseurin und Drehbuchschreiberin, es wäre ein prächtiges Gesellenstück.

Da Anna Odell ihrer eigenen Figur als Schauspielerin aber nur wenig von der fiebrigen Verletzlichkeit geben kann, die jene vor der Kamera bräuchte, mag sie mit ihrem Film letztlich nicht unser Interesse zu fangen. Die spielende Ann begegnet ihrer wirklichen Ann nur so, wie wir meist bei einem Klassentreffen auch selber begegnen möchten: Ohne die letzte Ehrlichkeit gegenüber allen. Und selbst das wäre dann noch nicht Kunst: Die eben unterscheidet sich von Wirklichkeit dadurch, dass die Leidende in Wirklichkeit nur so tut als ab. 

Sich selber zu performen haben vor Anna Odell schon andere nicht glaubwürdig geschafft. Selbst Woody Allens Figuren sind vielschichtiger, wenn er sie nicht selber spielt.

Hätte sie die Performance ihrer selbst aus einer anderen herausgekitzelt, wäre es vielleicht weniger ein Film über sie selbst als Regisseurin, sondern über sie als Ratlose geworden. Eine Grenzgängerin bleibt sie allemal, auch als Regisseurin: Bleibt zu hoffen, dass die Künstlerin sich nicht selber in den Arm schneidet, wenn sie uns in einem Film Blut zeigen will.

Klassentreffen als fiktionales Spiegelbild von Anna Odell

Klassentreffen als fiktionales Spiegelbild von Anna Odell

Nächster Artikel