Atommüll: Eine Reise ins Ungewisse

Der Basler Filmemacher Edgar Hagen hat sich auf die Suche gemacht nach einem möglichen Atomendlager. Während fünf Jahren ist er mit Wissenschaftlern rund um die Welt gereist und versuchte eine Frage zu beanworten: Wohin mit mit den hochradioaktiven Abfällen? Endlager müssen sicher sein. Sicherer noch als Atomkraftwerke. Hochradioaktive Abfälle müssen hunderttausend Jahre sicher unter der […]

Am sichersten Ort der Welt? Der Atomphysiker und Endlagerexperte Charles McCombie im Film «Die Reise zum sichersten Ort der Erde.»

Der Basler Filmemacher Edgar Hagen hat sich auf die Suche gemacht nach einem möglichen Atomendlager. Während fünf Jahren ist er mit Wissenschaftlern rund um die Welt gereist und versuchte eine Frage zu beanworten: Wohin mit mit den hochradioaktiven Abfällen?

Endlager müssen sicher sein. Sicherer noch als Atomkraftwerke. Hochradioaktive Abfälle müssen hunderttausend Jahre sicher unter der Erde lagern. Die ältesten von Menschen errichteten Gebäude haben erst etwa fünf Jahrtausende überlebt. Atommüll wird einiges älter. Mindestens zwanzigmal so alt wie die Pyramiden, die heute noch stehen.

Edgar Hagen hat sich auf die filmische Suche zu jenem «sichersten Ort der Erde» gemacht, wo ein solches Müll-Gebäude einst stehen könnte. Dabei ist er auf den Normalfall gestossen. Er ist Menschen begegnet, die für den Atommüll ein paar Jahrzehntausende vorausplanen. Menschen, die die Konsequenzen unseres Handelns über das Jahr 2013 hinaus denken sollten. Der Film feiert am 29. Oktober in Basel Vorpremiere.

Fukushima – wurde uns da ein Endlager vorgesetzt? 

Bevor wir mit Hagen die Grenzen unserer Wirklichkeitsauffassung überschreiten, betrachten wir kurz einen Sonderfall von Sondermüll: Vor Kurzem entstand ein unkontrolliertes, unkontrollierbares Endlager. Wir haben die Entwicklung in den Bildern verfolgt, die uns damals, als Dokumentarfilm in Etappen, täglich erreichten. Es war die Katastrophe von Fukushima.

Dokumentarfilme führen uns die Produktion von Wirklichkeit dramaturgisch geschickt vor Augen. Im Jahr 2011 wurden auf der Videoplattform «Youtube» täglich 50 000 Stunden ungeordnetes Videomaterial hochgeladen – Dokumente der Wirklichkeit. Auch zu Fukushima gab es millionenfach Bilder. Wie wurden sie geordnet?

Niemand wagte damals offiziell das Unfassbare zu benennen. Als der österreichisch-bristische Philosoph Ludwig Wittgenstein feststellte, «die Grenze der Welt ist die Grenze der Sprache», wusste er, dass wir weiter denken, als wir es sprachlich fassen können. Aber nur in der Sprache werden Gedanken fassbar. Welche Grenzen setzen wir dem Unfassbaren? Wie verhalten sich Sprecher zur Katastrophe, wenn sie eintritt? Die sprachlichen Erläuterungen waren vielfältig.

Sprache ordnet im Film die Bilder ein

Als sich der japanische Ministerpräsident Naoto Kan drei Tage nach dem Erdbeben im März 2011 medienwirksam für die Atom-Katastrophe von Fukushima entschuldigte, kommentierte der Regierungssprecher Yukio Edano – wie das in einem Dokumentarfilm üblich ist – die Bilder, die wir sahen, mit Sprache: Es sei zu einer «Wasserstoff-Verpuffung» gekommen, beschrieb er die Aufnahmen von der Explosion von Reaktor 1, die uns den Atem raubte. Niemand ahnte, dass Naoto Kan schon wusste, was wir sahen: dass die Kernschmelze in Gang war. Er nutzte eine Technik des nonfiktionalen Films und setzte mit der Sprache dem Bild eine Grenze.

Fukushima - ungeplantes Endlagerszenario

In Gorleben (BRD) muss man bereits nach zehn Jahren über ein Leck berichten. «Leck!» sagen vielerorts auch Anwohner in der Schweiz. Das ehemalige Gipsbergwerk Felsenau (AG) erwies sich bereits nach zwanzig Jahren als undicht: Es steht heute unter Wasser. 

In den USA hielten Experten lange den Yuca Mountain für geeignet und stellten nach immerhin 20 Jahren Stollenarbeit fest, was den Fährtensuchern der Indianer schon vor Jahrhunderten aufgefallen war: Der Berg war ein erloschener Vulkan. Das Projekt wurde daraufhin von Präsident Obama gestoppt.

Jedes Land mit Atomkraftwerken sucht nach einem Platz für ein Endlager.

In Officer Basin in Australien fand man immerhin eine flache Einöde. Das mindert das Risiko für Grundwasser. Doch auch dort gilt: Endlager müssten mehrere zehntausend Jahre lang halten. Dass da ein paar Probleme ausgeblendet wurden, wird immer klarer: Wir haben schlicht keine Erfahrung mit Bauten, die Jahrtausende überleben.

Die Akropolis weckt da keine überschwänglichen Hoffnungen. Selbst die drei niedlichen Spitzen der Pyramiden böten bloss für ein paar Tausendstel des Atomabfalls Platz. Darf man die Planung von Endlagern Menschen überlassen, die eine Lebenserwartung von 90 Jahren haben? Oder gar Politikern, die in vier Jahren wiedergewählt werden wollen?

Hat immerhin fast 2000 Jahre überlebt. Tempel von Baalbek. Endlager müssten ca dreissig mal so lange stehen.

Hat immerhin fast 2000 Jahre überlebt. Tempel von Baalbek. Endlager müssten ca dreissig mal so lange stehen.

«Wer ein Haus baut, wird doch nicht die Toilette vergessen», so beruhigt ein chinesischer Ingenieur im Film. Aber selbst der Gedanke, eine Toilette würde genügen, ist trügerisch: Eine Toilette macht nur Sinn mit einer funktionierenden Spülung. Aber gerade Spülung sollte ein Endlager nicht haben.

Dies alles macht Edgar Hagens «Reise» erschreckend wirklich. Beunruhigend ist an dieser Reise nicht der Pessimismus, der sich unterwegs bei den Zuschauern breit machen könnte. Sondern der Optimismus, mit dem die Experten weiterhin daran glauben wollen, die Kraftwerkbetreiber würden in den nächsten Hunderttausend Jahren für die Kosten der Endlagerung aufkommen.

Die «Reise zum sichersten Ort der Erde» endet an der Grenze unserer Erkenntnisfähigkeit: Wir stehen vor dem Unfassbaren. Der Atomausstieg kann so gar nicht stattfinden, wie wir ihn bislang gerne dachten, wenn das Wort «Ausstieg» aus den Mündern von Politikern erklang. «Atomausstieg» wirkt schlicht zu ungenau. Richtiger wäre vom «Einstieg in die Jahrtausende währende Abfallbewirtschaftung» zu sprechen und damit die Grenzen der Sprache um eine Erkenntnis zu erweitern. 

Naoto Kan entschuldigt sich für den Tsunami

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Lesen Sie mehr über den Filmemacher Edgar Hagen im grossen Interview in der Printausgabe vom 01. November.

 

 

 

 

 

 

 

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