Wer eine geladene und entsicherte Waffe auf einen Menschen richtet, macht sich laut Bundesgericht auch dann der «Gefährdung des Lebens» schuldig, wenn er den Finger nicht am Abzug hat. Laut Gericht besteht immer die Möglichkeit, dass sich ein Schuss löst.
Das Zürcher Obergericht hatte im vergangenen März einen Mann vom Deliktsvorwurf der Lebensgefährdung freigesprochen, der mit einer durchgeladenen und schussbereiten Pistole aus drei Metern Entfernung auf die Körpermitte eines Gegners gezielt hatte. Seinen Finger hatte er nicht am Abzug.
Da die Waffe zudem in einem einwandfreien Zustand war, bestand nach Ansicht der Zürcher Richter keine Möglichkeit, dass sich ein Schuss hätte lösen können. Obwohl der Pistolenträger berauscht gewesen sei, habe für das Opfer keine konkrete Lebensgefahr bestanden.
Aufregung oder Defekt
Das Bundesgericht hat dieser Sicht der Dinge nun widersprochen und die Beschwerde der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft gutgeheissen. Laut den Richtern in Lausanne spielt es bei der Lebensgefährdung ebenso wenig wie beim Delikt des lebensgefährlichen Raubes eine Rolle, ob der Täter den Finger am Abzug hat oder nicht.
Die nahe Möglichkeit des Todes sei immer gegeben, wenn jemand mit einer geladenen und entsicherten Pistole aus kürzester Distanz einen Menschen bedrohe. Ein Schuss könne sich jederzeit auch ungewollt lösen, etwa infolge Aufregung, einer Reaktion des Opfers oder einer Drittperson oder wegen eines Defekts der Waffe. (Urteil 6B_317/2012 vom 21.12.2012)