Englands fanatisierte Auguren machen ihn alleine für das EM-Viertelfinal-Out 2004 verantwortlich: Urs Meier, den Schweizer Star unter den Schiedsrichtern. Der 57-Jährige hält dem Druck stand.
Als Leisetreter wird Meier nicht in die Fussballgeschichte eingehen. Der frühere Topschiedsrichter fühlt sich wohl im öffentlichen Fokus. Der Name seiner Mitte April im deutschen Fussball-Museum vorgestellten Biografie ist Programm: «Mein Leben auf Ballhöhe».
Das Vorwort zum Buch kommt aus berufenem Munde – Jürgen Klopp widmet seinem Kollegen aus gemeinsamen ZDF-Stunden ein paar freundschaftliche Zeilen. Meier ist stolz: «Er zögerte keinen Moment.» Im Land des Weltmeisters wird er nicht nur wegen seines Emil-Dialekts geschätzt. Wenn der Mann, der 883 Spiele leitete, erfrischend ehrlich und im unterhaltsamen Stil über die Regelauslegung doziert, hört ihm dabei seit bald zehn Jahren ein Millionen-TV-Publikum zu; auch in diesem Sommer gehört Meier wieder zur ZDF-Crew.
Ein Engagement bei der BBC hingegen kommt für ihn seit der EM-Endrunde 2004 wohl auf Lebzeiten nicht mehr infrage. Im Viertelfinal Portugal – England (8:7 n.P.) annullierte Meier in der 90. Minute den vermeintlichen Siegtreffer der Three Lions – nicht der Torschütze Sol Campbell, sondern John Terry hatte den Keeper der Einheimischen behindert.
Die englische Hasskampagne
David Beckhams blamabler Penaltyfehlschuss in die zweite Etage des Stadions Da Luz ging vergessen, Meiers Pfiff hingegen sorgt auf der Insel noch immer für Aufregung. Der englische Boulevard veranstaltete eine beispiellose Hasskampagne. «What An Urs Hole», geiferte der «Daily Star». Für die «Sun» war der korrekte Schweizer einfach nur der «Swiss Banker».
In ihrem Treibjagdwahn übersahen die englischen Scharfrichter ein entscheidendes Detail: Meier fällte ein hartes, aber richtiges Urteil. Die TV-Bilder entlarvten Terry als Schubser und die britischen Hetzjournalisten als Ahnungslose.
«Ich fällte meinen damaligen Entscheid aufgrund meiner Intuition. Es war ein klassischer Bauchentscheid», sagt Meier in der Retroperspektive. Campbell habe sich sofort bei ihm erkundigt, weshalb er auf Foulspiel gegen ihn entschieden habe. Meier hat die kurze Konversation noch im Kopf: «Du warst es nicht, irgendjemand sonst behinderte den Goalie!»
Erst zehn Minuten nach der Partie übermittelte ihm seine damalige Lebenspartnerin (eine Schiedsrichterin) die gute Kunde: «’Alles korrekt, es war ein Foul‘. Ich atmete auf. Gott sei Dank, ich bin richtig gelegen.» Die Verunglimpfungswelle war aber längst angerollt, die Flut der Beschwerde-Mails nahm lange kein Ende. England bereiste Meier seither nur einmal: «Man erkennt mich immer noch.»
Von TV-Beweisen war vor zwölf Jahren keine Rede. Sepp Blatter hielt auf FIFA-Ebene nichts von technischen Hilfsmitteln. «Ich hätte allerdings gerne von einer Challenge Gebrauch gemacht. Hätte man sofort im Stadion die Bilder des Stossens gegen Ricardo gezeigt, wäre es gar nie zu einer solchen Kampagne gegen mich gekommen.»
Zwei Jahre nach seiner Nomination für den Champions-League-Final musste Meier ein weiteres Endspiel abschreiben. Der europäische Verband zog ihn zur Beruhigung der (englischen) Gemüter vom Turnier ab. Fünf Monate später beendete der siebenfache Schweizer Unparteiische des Jahres seine Karriere in Basel mit Tränen in den Augen und unter Ovationen.
Zufrieden in Marbella
Der Mann der Konstanz auf hohem globalem Referee-Level kehrte 2007 ins nationale Business zurück und leitete während knapp vier Saisons das Spitzenschiedsrichter-Ressort. Bewirkt hat er wenig, der innovative Selfmade-Man fühlte sich in den engen Strukturen nicht wohl. Für das verbandssportpolitische Corps eignete sich der undiplomatische Kommunikator nicht.
In Wirtschaftskreisen pfeifen sie nicht auf ihn. Als eloquenter Referent und passionierter Speaker an Tagungen blüht Meier regelmässig auf. Er denkt und handelt international. Seit über vier Jahren an der spanischen Costa del Sol in Marbella – in friedlicher Koexistenz mit den amtlich registrierten 5824 Briten.