Die Medien stecken mitten in einer Identitätskrise. Gesucht ist die Antwort auf die Frage, was denn Medien tatsächlich anzubieten haben. Eine Annäherung.
Durch Zufall habe ich vor einigen Monaten von der Geschichte der Firma Trüb AG aus Aarau erfahren (ich war für ein Gastreferat eingeladen worden). Es ist eine spannende Geschichte, von der man einiges über die aktuellen Herausforderungen der Medienbranche ableiten kann.
Anfang der 90er Jahre verdiente die Trüb AG ihr Geld hauptsächlich mit der Herstellung von Wertpapieren. Mit einer Gesetzesänderung 1995 wurde der Druck von Aktien und Obligationen fakultativ und die Herstellung von physischen Wertpapieren praktisch obsolet. Die Trüb AG hatte ein langjähriges Erfolgsprodukt, aber plötzlich keine Abnehmer mehr.
Die Firma verlagerte den Fokus in der Folge auf Identifikationschips, wie sie in Kreditkarten oder biometrischen Pässen zum Einsatz kommen. Heute ist Trüb weltweit tätig und einer der führenden Anbieter von physischen und elektronischen Identifikationslösungen. Das entscheidende: Nur vordergründig hat sich die Firma auf ein anderes Produkt verlagert. Genauer besehen ist das Produkt dasselbe geblieben, es hat nur eine neue zeitgemässe Ausprägung erhalten: Die Trüb AG stellt Systeme zur Zertifizierung zur Verfügung. Wertpapiere waren nur vordergründig das Produkt der Firma, zeitlich begrenzt innerhalb eines technologischen Kontexts.
Zum Kern des Produkts vordringen
Die Medienbranche sieht sich genau mit diesem Problem konfrontiert. Das, was man jahrzehntelang als Produkt verkauft hat, auf Papier gedruckte Neuigkeiten von gestern, verliert zunehmend sein Publikum. Und auch hier gilt: Die Zeitung war gar nie das Produkt, sondern nur die zeitgemässe Ausprägung des Produkts.
Die zentrale Frage lautet also: Was ist denn eigentlich das Produkt, das die Medienbranche anzubieten hat (das einzigartig ist und sich verkaufen lässt)?
Meine These, die ich gerne zur Diskussion stelle: Das Produkt der Medien ist eine Dienstleistung: Sie stellen der Öffentlichkeit gesicherte Information zur Verfügung. Sie sind in einer immer schnellen wachsenden Menge an Information gewissermassen die «trusted dealers». Gemeint sind ganz verschiedene Arten von Information: Neuigkeiten, Zitate, Bilder, Videos, Datenbankinhalte, Links, Termine, Definitionen.
Drei Beispiele für diese Rolle von Medien. Die Economist Intelligence Unit, die Daten zu Ländern und der wirtschaftlichen Lage erstellt. Der Guardian Data Store, der Zugriff auf statistische Daten verschiedener Länder bietet. Das Projekt Einestages des «Spiegels», das Zeitgeschichten sammelt. Die Medienmarken garantieren mit ihrem Namen: Diese Information ist verlässlich. Zumindest in Teilbereichen besinnen sich Medien also bereits auf das, was ich als Kernkompetenz definieren würde.
Die Verwertungskette radikal hinterfragen
Von diesem Kern aus kann dann die ganze Verwertungskette neu gedacht werden. Ist es sinnvoll, dass Medien auch die Distribution der Inhalte übernehmen, die sie bereitstellen? Ist es sinnvoll, dass Medien auch die Vermarktung der Inhalte übernehmen, die sie bereitstellen? Ist es sinnvoll, dass Medien die Beschaffung von Rohmaterial übernehmen für die Inhalte, die sie bereitstellen? Ist es sinnvoll, dass Medien die Interpretation der Information übernehmen, die sie bereitstellen?
Ich kenne die Antworten nicht und will keinesfalls ein Nein als Antwort auf all diese Fragen suggerieren. Ich denke aber, dass dieser radikale Zugang nötig ist, um für Medien – und Journalismus – einen guten Platz in der Zukunft zu finden. Wir werden sie noch brauchen.
Hier schliesst sich hoffentlich irgendwann der Kreis zur Trüb AG, die das Papier hinter sich gelassen hat, ihrem Produkt im Kern treu geblieben ist – und damit offensichtlich Erfolg hat.