Vier von 100 jungen Männern in der Schweiz leiden an einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Dies zeigt eine Studie der Uni Zürich und der Unispitäler Zürich und Lausanne. Bei Betroffenen sind Depressionen, gestörtes Sozialverhalten oder Alkoholmissbrauch häufig.
Damit sei diese Störung bei Erwachsenen fast so häufig wie bei Kindern und Jugendlichen, von denen in der Schweiz rund sechs Prozent betroffen sind, schreiben die Forscher im Fachblatt «PLOS One». Personen mit ADHS, landläufig auch Zappelphilipp-Syndrom genannt, leiden an verminderter Aufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität.
Lange gingen Fachleute davon aus, dass die Störung nur Kinder und Jugendliche betrifft, weshalb ADHS bei Erwachsenen wenig erforscht ist. Dies hat das Team um Natalia Estévez vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Uni Zürich nun mit einer repräsentativen Studie bei 5656 Rekruten gemacht. Sie haben die jungen Männer anlässlich der Aushebung mit speziellen Fragenkatalogen auf ADHS-Symptome befragt.
Es zeigte sich, dass eine beträchtliche Zahl der an ADHS leidenden Männer zudem psychische Störungen wie starke Depressionen, gestörtes Sozialverhalten und Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit aufwies. «Unsere Resultate beleuchten die erheblichen psychischen Beeinträchtigungen, an denen junge Männer mit ADHS leiden können», schreiben die Forscher.
Auch die Familiengeschichte spielte eine Rolle. Hatten schon die Eltern an Alkohol- oder psychischen Problemen gelitten, begünstigte dies das Auftreten von ADHS, ebenso ein geringer Bildungsstand der Eltern. Die Forscher mutmassen, dass Eltern von ADHS-Betroffenen allenfalls selbst daran litten und deshalb geringeren schulischen Erfolg oder andere Probleme gehabt hätten.
Probleme im Alltag
Anders als erwartet trat die Störung häufiger bei Männern über 20 Jahren auf als bei jüngeren. Dies könnte laut den Forschern damit zusammenhängen, dass ältere Rekruten sich ihrer stärker bewusst sind, weil sie zunehmend Probleme im Alltag bereitet. Auch unter französischsprachigen Männern war ADHS häufiger, was auf kulturelle Unterschiede hindeute.
ADHS heilt nur bei einem geringen Teil der Betroffenen vor dem Erwachsenenalter vollständig aus, wie der Freiburger Psychiater Christophe Kaufmann vor einiger Zeit in der Schweizerischen Ärztezeitung schrieb. Unbehandelte ADHS-Patienten hätten oft massive Probleme im Arbeitsalltag, bei Beziehungen und sie lebten oft gefährlich und ungesund.
«ADHS bei Erwachsenen ist eine schwerwiegende Krankheit», schrieb er. Sie verursache – neben menschlichem Leid – hohe Kosten im Gesundheitswesen. Dennoch sei sie in Ausbildung, Forschung und Versorgung zu lange Brachland gewesen. «Die Krankheit muss bei der Ärzteschaft und den Behörden mehr Beachtung finden», urteilte Kaufmann. ADHS ist erst seit 2011 voll kassenpflichtig.