Schuldspruch für den früheren deutschen SS-Mann Oskar Gröning: Das Landgericht Lüneburg hat den 94-Jährigen wegen Beihilfe zum Mord in 300’000 Fällen in Auschwitz zu vier Jahren Haft verurteilt.
Mit dem am Mittwoch verkündeten Urteil ging das Gericht über das von der Anklage geforderte Strafmass hinaus. Ob der gesundheitlich angeschlagene Gröning haftfähig ist, muss aber noch die Staatsanwaltschaft prüfen.
Gröning hatte im Prozess seine Beteiligung und moralische Mitschuld am Holocaust eingeräumt. In seinem letzten Wort an das Gericht hatte er am Dienstag Reue gezeigt und erklärt, Auschwitz sei ein Ort gewesen, «an dem man nicht mitmachen durfte». Das sei ihm bewusst.
Gröning hatte gestanden, Geld von Verschleppten gezählt und zur SS nach Berlin weitergeleitet zu haben. Dies brachte ihm später den Beinamen eines «Buchhalters von Auschwitz» ein. Er sagte aus, zwei- bis dreimal vertretungsweise Dienst an der Rampe getan zu haben, um dort Gepäck zu bewachen. Dort wurden deportierte Juden zur Ermordung selektiert.
Erschütternde Zeugenaussagen
Die Staatsanwaltschaft hatte dreieinhalb Jahre Haft gefordert, von denen 22 Monate als verbüsst angesehen werden sollten, weil eine Verurteilung schon vor Jahrzehnten möglich gewesen wäre. Erste Ermittlungen hatte es 1977 gegeben. Die Verteidiger plädierten auf Freispruch, weil Gröning den Holocaust im strafrechtlichen Sinne nicht gefördert habe.
Die Nebenkläger zeigten sich mit dem Urteil einverstanden. «Es erfüllt uns mit Genugtuung, dass nunmehr auch die Täter Zeit ihres Lebens nicht vor einer Strafverfolgung sicher sein können», hiess es in einer Erklärung von Anwalt Thomas Walther, der mit einem Kollegen viele der über 70 Nebenkläger – zumeist Auschwitz-Überlebende – vertritt.
In dem knapp drei Monate dauernden Prozess, der auch auf grosses Interesse im Ausland stiess, hatten etliche Holocaust-Überlebende in erschütternden Details ihre Verschleppung sowie den Massenmord in dem Vernichtungslager geschildert.
Dabei kamen unter anderem die menschenverachtenden medizinischen Experimente von Lagerarzt Josef Mengele sowie das Vergasen und Verbrennen von Juden im Takt der eintreffenden Züge zur Sprache. Auch die Schrecken der nächsten Generation, die mit dem Schatten ihrer in den Konzentrationslagern ermordeten Familien aufwuchsen, wurden eindringlich geschildert.
Erst Praxisänderung führte zum Prozess
In dem womöglich letzten Auschwitz-Prozess hatte Gröning eine Antwort auf die Frage zu geben versucht, was den Einzelnen zur Beteiligung an den Verbrechen hatte bringen können. Wegen der schlechten Gesundheit des 94-Jährigen stand der Prozess mehrmals auf der Kippe, mehrere Verhandlungstage fielen aus.
Gröning kam erst jetzt vor Gericht, weil die Justiz bis 2011 darauf bestand, dass KZ-Aufsehern eine direkte Beteiligung an den Morden nachgewiesen werden muss. Frühere Ermittlungen gegen Gröning waren daher 1985 eingestellt worden.
Erst nachdem die Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen ihre Beurteilung änderte, kamen die Ermittlungen und einige KZ-Aufseher wieder in Gang.
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem begrüsste das Urteil gegen Gröning als «wohlverdient». «Wir hoffen, dass dies die deutschen Behörden ermutigen wird, weitere Fälle zu verfolgen», sagte der Leiter Efraim Zuroff der Nachrichtenagentur dpa. Konkret nannte er beispielsweise ehemalige Mitglieder von Einsatzgruppen.