Carl Baudenbacher, der Präsident des EFTA-Gerichtshofs, kritisiert den Bundesrat. Dass die Landesregierung bereit ist, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) als Schiedsinstanz bei Streitigkeiten zu akzeptieren, nennt er «unhaltbar».
Für ihn steht ein EWR-Beitritt der Schweiz im Vordergrund. Der Entscheid des Bundesrats vom 26. Juni könne, «bei allem Respekt, nur als unhaltbar bezeichnet werden», schreibt der Schweizer Rechtswissenschaftler Carl Baudenbacher in einem Gastbeitrag in der «Handelszeitung» vom Donnerstag. Der Beitrag lag der Nachrichtenagentur sda am Mittwoch als Vorabdruck vor.
Dass eine Mannschaft ihren eigenen Schiedsrichter mitbringe, sei nicht einmal an Grümpelturnieren denkbar, kritisierte Baudenbacher. Absurderweise sei der Vorschlag, Auslegungsfragen dem EuGH zu unterstellen, von der Schweiz gekommen und nicht von der EU. Diese habe bisher immer eine EWR- oder EWR-ähnliche Lösung favorisiert.
Der Bundesrat habe am 26. Juni «gestützt auf falsche Informationen» über den EWR und den EFTA-Gerichtshof entschieden und müsse allein deshalb noch einmal über die Bücher. Die Schweiz könne nur einen Gerichtshof anerkennen, in dem sie mit einem Richter oder einer Richterin vertreten sei.
«Schlechtreden des EWR»
«Nur ein eigener Richter wäre in der Lage, seinen Kollegen die politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Besonderheiten der einzigen Referendumsdemokratie Europas zu erläutern», begründete dies Baudenbacher.
Für die Schweiz müsse ein Beitritt zum EWR im Vordergrund stehen – die Bundesverwaltung sollte das Schlechtreden des EWR endlich aufgeben. Baudenbacher ist seit 1995 Richter am EFTA-Gerichtshof und seit Anfang 2003 dessen Präsident.
Der Bundesrat steckte Ende Juni den Rahmen für die Verhandlungen mit der EU über die Organisation der bilateralen Beziehungen. Wenn die Schweiz und die EU Differenzen bei der Auslegung von EU-Recht haben und der Gemischte Ausschuss keine Lösung findet, soll der EuGH beigezogen werden.
Entscheidet der Gerichtshof im Sinne der Schweiz, muss sich die EU danach richten. Entscheidet der Gerichtshof im Sinne der EU, soll es der Schweiz dagegen möglich bleiben, die Auslegung nicht zu akzeptieren.
Ursprünglich hatte der Bundesrat andere Lösungen vorgeschlagen. Da die EU nur ihren Gerichtshof als Instanz zur Streitbeilegung akzeptiert, gab er diese aber auf.
Schweiz bezieht keine Stellung
Das Aussendepartement EDA wollte zu Baudenbachers Artikel keine Stellung nehmen. Es hielt in einer Antwort vom Mittwochabend an die sda fest, dass dem Bundesrat als Basis für seinen Entscheid ein Papier gedient habe, das von Vertretern der Schweiz und der EU erarbeitet worden war.
Darin seien drei mögliche Lösungsansätze aufgezeichnet worden. Die EU-Kommission werde auf Grundlage der dritten Option ein Verhandlungsmandat erarbeiten. Gemäss dieser Option sei dem EuGH nicht die Rolle eines Schiedsgerichts zugedacht. Sie sehe vielmehr vor, dass er von einer der beiden Parteien beigezogen werden könne – zu Auslegungsfragen zum gemeinschaftlichen Besitzstand.
Die Streitschlichtung hingegen bleibe weiterhin dem Gemischten Ausschuss vorbehalten. «Die Streitschlichtung findet also auf politischer Ebene zwischen der Schweiz und der EU statt», schreibt das EDA.